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    Kifferwahn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Kifferwahn
    Von Jürgen Armbruster

    Wagen wir doch einmal einen Rückblick in die Zeit, als das Medium Film noch in den Kinderschuhen steckte. Wir befinden uns im Jahr 1936. Mit einer Reihe Laiendarsteller drehte Regisseur Louis J. Gasnier den Anti-Drogen-Propaganda-Film „Reefer Madness“. Anhand der fiktiven Geschichte der Teenager Bill Harper und Mary Lane sollten Eltern auf die Gefahren der Mode-Droge Marihuana aufmerksam gemacht werden. Das Ergebnis war dabei aus heutiger Sicht reichlich grotesk. Folgerichtig wurde der Film in den 60er- und 70er Jahren als Komödie wiederentdeckt. Insbesondere an amerikanischen Hochschulen entwickelte sich ein regelrechter Kult.

    Mittlerweile sind wir im Jahr 2004 angelangt. Ein gewisser Andy Fickmann erhält den Auftrag, für ein Theater in Los Angeles eine Musical-Variante von „Reefer Madness“ zu inszenieren. Gemeinsam mit Kevin Murphy (Buch) und Dan Studney (Songs) gelang Fickmann eine bitterböse, höchst amüsante Satire rund um die Wirkung der ach so bösen Reefers… was zu Deutsch nichts anderes ist, als ein Joint. Das Stück war ein voller Erfolg und schaffte es sogar ins Musical-Mekka New York. Zwar nicht an den Broadway, aber immerhin New York (Off-Broadway). Und genau dieses Musical wurde mit „Reefer Madness: The Movie Musical“ noch für die Leinwand adaptiert. Regie führte dabei wieder Andy Fickmann. Warum etwas ändern, das sich bewährt hat? Aber kommen wir nun erst einmal zur Handlung.

    1936, irgendwo in den USA. Die Schulbehörde möchte die Eltern des Landes auf die Gefahren der neuen Mode-Droge Marihuana aufmerksam machen. Zu diesem Zweck schickt sie einen ihrer Mitarbeiter (Alan Cumming) von einer Ortschaft zur nächsten. Mit Hilfe einer wahren Geschichte soll dem viel zu gutgläubigem Volk klar gemacht werden, in was für einer Gefahr ihre Kinder schweben. Einer Gefahr, der angeblich ein gewisser Jimmy Harper (Christian Campbell) einst erlag. Jimmy war der gefragteste Junge seiner Schule. Ein Musterschüler, politisch engagiert und überaus hilfsbereit. Der Traumschwiegersohn einer jeden Mutter. Auch seiner Freundin Mary Lane (Kristen Bell) war klar, was sie an ihrem Jimmy so hat. Doch die Idylle hat ein jähes Ende, als der Drogendealer Jack Stone (Steven Weber) in der Stadt auftaucht und Jimmy seinen ersten Joint raucht…

    Ein Versuch, das filmische Ereignis „Reefer Madness: The Movie Musical“ zu beschreiben, ist ein heikles Unterfangen. Eigentlich ist es unmöglich, dem Film damit gerecht zu werden. Aber versuchen wir es trotzdem. Man nehme die Charaktere aus „Pleasantville“ und verfrachte diese in Danny Boyles „Trainspotting“. Auf tiefschürfende Dialoge verzichte man weitestgehend. Stattdessen lasse man Andrew Lloyd Webber einige Songs zu dem Film beisteuern. Und für all jene, denen dies allein noch nicht amüsant genug ist, wird George A. Romero als Gastregisseur verpflichtet. Wer die famose Musical-Folge aus der letzten Staffel der TV-Serie „Buffy – Im Bann der Dämonen“ kennt, kann sich wohl am ehesten ein Bild davon machen, was hier auf der Leinwand los ist.

    Aber der Reihe nach: „Reefer Madness: The Movie Musical“ lässt sich in zwei klare Handlungsstränge unterteilen. Einerseits der in Schwarz/Weiß gehaltene Part rund um den Lehrfilm „Reefer Madness“, andererseits die farbige Geschichte von Billy Harper und Mary Lane. Eines haben beide Episoden allerdings gemeinsam: den grandiosen schwarzen Humor, der vor absolut nichts zurückschreckt. Zunächst beginnt alles recht eigen. Dieses seltsame Gelaber rund um das ach so böse, böse Marihuana während eines Elternabends lässt sich nicht so recht einschätzen. Wenn dann allerdings der erste Song geträllert wird und 20 eingeschüchterte Eltern in Chor zur Wirkung von Marihuana zu einem turning our children into hooligans and whores anstimmen, beginnt ein Gagfeuerwerk, das seines gleichen sucht.

    Eine Idee ist dabei schräger als die andere. Nach einem Zug von einem Joint werden die Teenager in Massen zu hirnlosen Zombies. Jawohl, Zombies! Mary Lane trifft es dabei gar noch schlimmer. Aus dem schüchternen, naiven Mauerblümchen wird eine sexgierige Domina in Lederkluft. Als sich Jimmy auf der Suche nach Geld die Kollekte in der Kirche unter den Nagel reißen möchte, darf sogar Jesus (Robert Torti) höchst selbst ein Liedchen singen. Ohne zu viel verraten zu wollen, aber dieser Jesus Christ darf sich wirklich Superstar schimpfen. Zwischen drin mutiert „Reefer Madness: The Movie Musical“ gar zu einem waschechten Splatter-Movie! Das hört sich nun natürlich arg wüst an (ist es auch), aber dieser derbe Stilbruch fügt sich nahtlos ins Gesamtbild ein und ist auch nur lediglich das Vehikel für weitere Lach-Attacken.

    Auch die Musical-Komponente des Films ist auf höchstem Niveau. Die insgesamt 16 Songs wurden allesamt von den jeweiligen Darstellern selbst gesungen. Da ist es natürlich von Vorteil, dass mit Kristen Bell, Christian Campbell, John Kassir und Robert Torti viele Darsteller aus dem New Yorker Musical auch für den Film verpflichtet werden konnten. Insbesondere Kristen Bell, der Star aus der US-Serie „Veronica Mars“, ist dabei (nicht nur dank ihrer fast schon unverschämten Attraktivität) eine echte Entdeckung. Für den notwendigen Star-Appeal sorgt Neve Campbell („Scream“, „The Company“, „When Will I Be Loved“) mit einem kleinen, aber feinen Auftritt. Auch ansonsten wird bei den Produktionswerten nicht gekleckert, sondern geklotzt. Für den Film wurden eigens über 800 Kostüme angefertigt und beim Casting für die Background-Tänzer 400 Bewerber genauestens unter die Lupe genommen.

    Seine Premiere feierte „Reefer Madness: The Movie Musical“ im Januar beim Sundance Film Festival und entwickelte sich sofort zu einem der heimlichen Publikumslieblinge. Allerdings winkte im prüden Amerika ein R-Rating. Von einem flächendeckenden Kinostart wurde daher abgesehen. Stattdessen wurde der Film als großes TV-Event vermarktet und heimste prompt drei der begehrten Emmy-Nominierungen ein. Nach langem Warten hat es nun auch mit der deutschen Kinoauswertung geklappt. Das ist nur konsequent, schließlich wurde der Film mit deutschem Geld mitfinanziert. Ein schrulligeres, unkonventionelleres und doch kurzweiligeres Vergnügen mit derartigem Kult-Potenzial gab es schon lange nicht mehr.

    Link-Tipp: „Reefer Madness“ (1936) kostenlos als Download.

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