Knapp zwölf Jahre liegt die Kinopremiere des Wolfgang-Petersen-Actioners „Air Force One“ mittlerweile zurück – dennoch gewinnt der Film, der sich nahtlos in die Reihe der 90er Jahre-Blockbuster Con Air, The Rock oder Armageddon einreiht, 2009 wieder an Relevanz. Während Barack Obama in den Vereinigten Staaten für einen in der US-Politik seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Personenkult sorgt, ist es in „Air Force One“ Präsident James Marshall, der vor der Umsetzung seiner populären Vorstellungen von neuer Außenpolitik im Alleingang das sicherste Flugzeug der Welt aus den Händen von Entführern befreien muss. Politisch tiefsinnige Fragen gehen dabei im patriotischen Weichspülgang und Kugelhagel beinahe vollkommen unter. So ist „Air Force One“ letztlich nicht mehr als kurzweiliges Popcornkino, das man genauso schnell wieder vergessen wird wie die ehemaligen US-Präsidenten Harding oder Coolidge.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Nach einem Friedensgipfel in Moskau kapern russische Terroristen unter Leitung von Ivan Korshunov (Gary Oldman) die Air Force One und nehmen Besatzung und Passagiere als Geiseln, um gewaltsam die Freilassung des inhaftierten Generals und Putschisten Radek (Jürgen Prochnow) zu erzwingen. Einzig US-Präsident James Marshall (Harrison Ford) kann sich im Frachtraum der Maschine verstecken. Unter den Geiseln sind auch die First Lady (Wendy Crewson), Präsidententochter Alice (Liesel Matthews) sowie mehrere hohe Staatsmänner. Da der im Weißen Haus verbliebene Teil der US-Regierung während der Abwesenheit des Staatsoberhauptes nicht zur Kooperation mit den Erpressern bereit ist, erschießen die Terroristen nach und nach ihre Geiseln. Die Zeit verrinnt, und der mächtigste Mann der Welt muss es schließlich allein mit den Verbrechern aufnehmen…
Wäre es nicht gerade der amerikanische Präsident, der den Terroristen höchstpersönlich im Nahkampf die Stirn bietet, könnte man „Air Force One“ getrost als soliden Actionfilm bezeichnen, der zwar keine neuen Wege geht und selten mit guten Einfällen glänzt, aber über die komplette Spieldauer unterhält und mit einem passablen Spannungsbogen punktet. Die Ausgangslage raubt dem Film jedoch bereits vor den Credits jene Ernsthaftigkeit, die für ein Mindestmaß an Identifikation mit Marshall vonnöten wäre. Der mächtigste Mann der Welt, bewaffnet mit einem Maschinengewehr, allein gegen ein Dutzend russischer Terroristen an Bord der Air Force One. Einen Elitekämpfer nach dem nächsten töten? Eine Boeing fliegen? Yes he can!
John McClane oder Jason Bourne würde man eine derartige One-Man-Show vielleicht noch abkaufen – nicht aber dem liebevollen Familienvater Marshall, der dem Publikum von Beginn an einfach zu fehlerlos und krampfhaft sympathisch verkauft wird. Natürlich gibt der mächtigste Mann der Welt den kumpelhaften Chef, der mit seinen Angestellten scherzt und zähneknirschend feststellen muss, dass seine 12-jährige Tochter langsam erwachsen wird. Und wie jeder Mensch ärgert er sich, wenn ihm ein Crewmitglied versehentlich das Endergebnis eines aufgezeichneten Footballspiels verrät, das er sich gerade bei einem kühlen Gläschen Bier anschauen wollte. Einzig die Indiana Jones-Vergangenheit von Harrison Ford (Krieg der Sterne, Blade Runner, Crossing Over) garantiert einem derartigen Alleingang ein Mindestmaß an Authentizität.
Der Bösewicht des Films, Ivan Korshunov, ist wie so häufig die wesentlich interessantere Figur. Während Marshalls außenpolitischer Neuanfang nur in einer kurzen Rede auf dem Friedensgipfel angerissen wird, erfährt der Zuschauer deutlich mehr über die politischen Motive seines rücksichtslosen Kontrahenten. Gary Oldman (Leon – Der Profi, The Dark Knight) blüht dabei in der Rolle des fanatischen Kommunisten förmlich auf und wechselt oft blitzschnell zwischen emotionalem, stellenweise verzweifeltem Kämpfer „für Mütterchen Russland“ und eiskaltem Profikiller. Leider kratzen auch seine Seitenhiebe auf die amerikanische Politik im Irak nur an der Oberfläche. Die übrigen Terroristen werden charakterlich kaum skizziert. Da dies weitestgehend auch für den Krisenstab im Weißen Haus und die Geiseln zutrifft, entwickelt sich der Film mehr und mehr zu einem Duell der beiden Ex-Soldaten an Bord des Flugzeugs.
Diese begegnen sich von Beginn an auf Augenhöhe. Während sich der US-Präsident stets etwas cleverer verhält und die zahlreichen Attacken im Bauch des Flugzeugs dank seiner Kämpferqualitäten abwehren kann, sitzt der Terroristenführer am längeren Hebel und stellt den Staatsmann regelmäßig vor die schwierige Entscheidung, sich zu ergeben oder eine Geisel sterben zu lassen. Harrison Ford (Krieg der Sterne, Auf der Flucht) gelingt es dabei durchaus, Marshalls innere Zerrissenheit glaubhaft zu vermitteln. Dennoch bleiben die konstruierte Ausgangslage und das Heroisieren des Vorzeige- Präsidenten die größten Handicaps des Films.
Das Handlungsschema ist weitestgehend vorhersehbar und folgt den üblichen Spielregeln. Leere Handy-Akkus und unaufmerksame Wachleute sind ebenso fest im Plot verankert wie die Frage, welches Kabel wohl das richtige zum Durchschneiden ist. Die Möglichkeit eines späten Wendepunkts der Geschichte – die Terroristen haben an Bord einen Maulwurf eingeschleust – wird leider verschenkt, weil dieser sich dem Zuschauer früh zu erkennen gibt. Die Tatsache, dass das Publikum aber im Gegensatz zu Präsident und Besatzung um diesen letzten Trumpf weiß, wirkt sich positiv auf die Spannung aus. Langweilig wird es selten. Und ähnlich wie in Con Air oder Flightplan ist es der Mikrokosmos Flugzeug, der die Lage überschaubar macht und „Air Force One“ von anderen Filmen des Genres abgrenzt. Physikalische Grundsätze werden natürlich dennoch mit Füßen getreten. Wer allerdings Realismus erwartet hat, schaut ohnehin den falschen Film. Warum auf Seiten der Geiseln, die gleich mehrfach die Möglichkeit zur ungestörten Lagebesprechung erhalten, keinerlei Ursachenforschung betrieben und der Verräter in den eigenen Reihen nicht gesucht wird, bleibt offen. Und dass US-Vizepräsidentin Kathryn Bennett (Glenn Close, Gefährliche Liebschaften, Mars Attacks) erst den Justizminister persönlich antanzen lassen muss, um über die Kompetenzenfrage in Krisensituationen aufgeklärt zu werden – nun denn.
Dies alles wäre noch zu verschmerzen, wäre da nicht das letzte Filmdrittel, das „Air Force One“ unter geradezu penetrantem Einsatz von bedeutungsschweren Bläserklängen und Marschmusik schließlich endgültig zu patriotischem Kitsch verkommen lässt. Hier wird nicht nur die Opferbereitschaft von US-Regierung und Air-Force-One-Besatzung für Präsident Marshall deutlich überstrapaziert, sondern auch das selbstlose Denken des unerträglich zum Volkshelden stilisierten Staatsoberhauptes, das das Leben seiner Familie und Kollegen stets über sein eigenes setzt. Gleich einem Kapitän, der als Letzter das sinkende Schiff verlässt.
Dass „Air Force One“ keinen vollkommenen Schiffbruch erleidet, liegt in erster Linie an der schauspielerisch überzeugenden Leistung der beiden Hauptdarsteller, die aus ihren stereotypen Figuren noch das Maximum herausholen. Auch das konstant hohe Tempo und die meist gelungenen Actionsequenzen garantieren ein Mindestmaß an Unterhaltung. Doch spätestens, wenn in der letzten Einstellung des Films amerikanische Kampfjets vor einem malerischen Sonnenuntergang am Himmel ihre Bahnen ziehen, wünscht man sich, US-Präsident Marshall hätte an diesem Tag die Fahrt in seiner Limousine einer Flugreise vorgezogen…