Mit dem Wort Krieg assoziiert man militärische Aufrüstung, Leid und Tod. Dabei stehen meist zuerst die puren Zahlen im Mittelpunkt – die Anzahl der verlorenen Maschinerie, die Kriegs- und Wiederaufbaukosten, die Zahl der getöteten Soldaten und umgekommenen Zivilisten. Diese Zahlen mögen Beklemmung hervorrufen, vielleicht vermögen sie zu erschüttern, aber sie erlauben es nicht, einen Einblick in die Trostlosigkeit der Kriegstage zu erlangen, die menschlichen Tragödien fassbar zu machen. Hierfür bedarf es der Betrachtung eines Einzelschicksals. „Die letzten Glühwürmchen“ von Regisseur Isao Takahata ist einer der wenigen Filme, die es verstehen, das Leid, welches der Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutet, annähernd greifbar zu machen. Das Antikriegsdrama zeichnet die letzten Wochen im Leben eines Geschwisterpaares in Japan nach, das kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges auf sich allein gestellt ums Überleben kämpft. Der Animationsfilm aus dem Hause Ghibli erreicht dabei eine enorme emotionale Intensität, so dass sich unabdingbar ein Gefühl der Betroffenheit, Traurigkeit und Fassungslosigkeit einstellt.
Japan in den letzten Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation im Jahre 1945. Nach einem Brandbombenabwurf über Kobe liegt ein Großteil der vornehmlich aus Holzhäusern bestehenden Stadt in Flammen. Der 14-jährige Seita hat es geschafft, sich mit seiner etwa 4-jährigen Schwester Setsuko in Sicherheit zu bringen. Beide Kinder hoffen, dass auch ihre Mutter, die einen anderen Luftschutzbunker aufsuchen musste, überlebt hat. In einer Grundschule, die als erste Anlaufstelle für die ausgebombten Einwohner ausgewiesen wurde, muss der Junge dann aber erfahren, dass seine Mutter schwerste Verbrennungen erlitten hat und höchstwahrscheinlich bald sterben wird. Er entschließt sich, der kleinen Setsuko die Wahrheit zu ersparen und sagt ihr nur, dass sie ihre Mama erstmal nicht besuchen können. Die Kinder finden Unterschlupf bei ihrer Tante, die allerdings keinen Hehl daraus macht, dass sie über die Anwesenheit der Sprösslinge ihrer Schwester nicht sonderlich erfreut ist. Als die Mutter ihren Verbrennungen erliegt, die kaltherzige Tante die beiden Kinder vom Essen ausschließt und diese immer wieder schikaniert, beschließen Seita und Setsuko, in einen alten Bunker umzusiedeln. Ganz auf sich allein gestellt, müssen sie gegen Krankheit und Hunger ankämpfen, doch ihre Situation erscheint nach und nach immer aussichtsloser...
Isao Takahatas Werk besticht durch naturalistische Hintergründe, die vor allem bei Landschaftszeichnungen zum Einrahmen schön sind, und das realistische Charakterdesign, welches den Zuschauer zwingt, das gezeigte Grauen, das vor seinen Augen den unschuldigen Kindern widerfährt, als illustrierte Wirklichkeit des Japans in der Endphase des Zweiten Weltkrieges wahrzunehmen. Dabei stehen nicht die Kriegshandlungen selbst, sondern das alltägliche Dasein des Geschwisterpaares im Mittelpunkt des mit einem ruhigen Erzählstil aufwartenden Films. Beginnen lässt Regisseur Takahata sein Werk, welches im Jahre 1988 zusammen mit Hayao Miyazakis „Mein Nachbar Totoru“ als Double Feature in die japanischen Kinos kam, mit dem letzten Atemzug Seitas am 21.09.1945. In einer Bahnhofswartehalle, in der neben dem ausgemergelten Seitas noch viele andere verendete Menschen auszumachen sind, steht die Seele bzw. der Geist des Jungen, in einer in rot getauchten Szenerie neben seinem Körper. Die Seele Seitas setzt sich in einen Zug und nimmt den Betrachter mit auf die Reise in die letzten traurigen Wochen seines Lebens. Eingestreut in die Szenen der Geschwister bei ihrer Tante, sowie später in dem verlassenen Unterstand, sind Eindrücke vergangener Tage, als noch eine glückliche Familie existierte, die Mutter noch lebte und der Vater, ein Marineoffizier, noch nicht in den Krieg aufgebrochen war.
Der Film nimmt sich viel Zeit, um das Verhältnis der beiden Kinder zueinander, ihre Ängste und Wünsche zu illustrieren. So werden Seita und seine kleine Schwester differenziert und glaubhaft dargestellt, und schon bald kann der Zuschauer das Schicksal dieser beiden unschuldigen Wesen einfach nicht mehr ohne Anteilnahme verfolgen. Trotz der trostlosen Kriegstage gibt es immer wieder lichte Momente, in denen Seita und Setsuko die traurige Welt um sich herum vergessen und Freude empfinden, wieder Kinder sein können. In der letzten Szene des Glücks fangen die beiden Glühwürmchen, die ihre kleine Höhle die Nacht hindurch erhellen und in einen funkelnden Sternenhimmel verwandeln. Am nächsten Morgen liegen die glühenden Insekten leblos am Boden und werden von der kleinen Setsuko mit den Worten „Seita, warum sterben die Glühwürmchen so früh?“ begraben. Mit dem zu Grabe tragen der Glühwürmchen, die ein Symbol der Hoffnung für die beiden Geschwister darstellten, nimmt der tieftraurige Teil des Films, in dem die beiden Kinder Hunger und Krankheit ausgesetzt sind, seinen Anfang. Zugleich nimmt er das erschütternde Ende vorweg, denn in einer Welt ohne Hoffnung ist auch das Überleben unmöglich.
Auch wenn die Darstellung der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit des Krieges im Mittelpunkt steht, sind Verantwortung und Stolz weitere große Themen, die behandelt werden. Von dem Moment an, in dem Seita das Schicksal der Mutter klar wird, beschließt er alles in seiner Macht stehende zu tun, um der kleinen Setsuko beizustehen und für sie da zu sein. Er stellt seine eigenen Gefühle zurück und kümmert sich aufopferungs- und liebevoll um seine Schwester. Doch er wird sie letztlich nicht retten, die Last der Verantwortung nicht alleine stemmen können. Eine mögliche Rückkehr in das Haus der gefühlskalten Tante wird von Seita nie wirklich erwogen. Lieber beginnt er für seine Schwester auf den Feldern der Bauern Essbares zu stehlen. Dabei hätte das kleine Mädchen vielleicht durch die noch verbleibende Familienangehörige gerettet werden können, doch der Stolz des so schnell erwachsen gewordenen Jungen lässt eine reuige Rückkehr nicht zu.
Zu Recht gilt „Die letzten Glühwürmchen“ als einer der traurigsten Filme aller Zeiten. Der Film ist ein erschütterndes, zutiefst ergreifendes Meisterwerk, das der Thematik um die Entbehrungen und Leiden der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten voll und ganz gerecht wird. Das niemanden kalt lassende Kleinod beweist dabei eindrucksvoll, dass es auch Animationsfilme vermögen, menschliche Dramen adäquat zu erzählen und den Zuschauer zu berühren. Dabei ist es vollkommen unerheblich, dass es sich nicht um ein Geschwisterpaar aus Fleisch und Blut, sondern um zwei liebevoll gezeichnete Charaktere handelt - denn ihre Leidensgeschichte ist erzählenswert, berührend und von Regisseur Takahata eindrucksvoll mit Detailversessenheit und Feinfühligkeit inszeniert, so dass die zentrale Forderung nach mehr Humanität und weniger Leid in dieser kalten Welt sicherlich gehört wird.