Beim Genre des Italo-Westerns denkt man an die Close-Ups auf die Augen, mit denen Sergio Leone die Duelle seiner Protagonisten zelebriert, an dreckigen Staub, blutige Schießereien, an Trash genauso wie an visuelle Spielereien und ungewöhnliche inszenatorische Einfälle und sicherlich an die Musik von Ennio Morricone. Doch an politische Statements und an Sozialkritik denken viele sicher nicht sofort. Dabei entstanden gerade zur Hochzeit der 68er viele politische, meist zur Zeit der mexikanischen Revolution angesiedelten Italo-Western. Vor allem der intellektuelle Filmemacher Sergio Sollima nutzte Western, weil er damit eine größere Masse erreichen konnte, als mit kleinen Politfilmen. Und politische Statements sind neben viel Spannung, starker Musik (auch von Morricone), exzellenten Darstellern und einer guten Regie die Prunkstücke von „Töte Amigo“, Damiano Damianis erstem, zur Blütezeit des Genres entstandenen Italo-Western. Der beeinflusste sogar Sergio Leone und ließ diesen mit Todesmelodie ebenfalls einen politisch angehauchten Revolutionswestern drehen.
Ein Zug fährt durch das Mexiko zur Zeit der Revolution. Doch jäh werden die Maschinen gestoppt, als ein General der Armee an ein Kreuz auf den Gleisen gekettet ist. Es ist ein Hinterhalt der Banditen um den legendären Revolutionär El Chuncho (Gian Maria Volonté), die aus sicherer Deckung nach und nach die Soldaten, die den Zug schützen, erschießen. Doch als der Zug dennoch zu entkommen droht, bekommen die Banditen unerwartete Hilfe. Ein junger Weißer (Lou Castel), der als Mitreisender im Zug war, erschießt den Lokführer und stoppt die Maschinen erneut. Dann legt er sich Handschellen an und stellt sich dem großen Banditen als gefangener Verbrecher vor, der die Möglichkeit zur Flucht nutzen will. Die Revolutionäre, unter denen auch der infernalische Prediger El Santo (Klaus Kinski) weilt, nehmen ihn in ihrer Mitte auf und ziehen ihre Raubzüge fort. Doch schnell stellen sich Fragen: Ist El Chuncho wirklich der Revolutionär, als der er vom Volk gefeiert wird, oder nur ein einfacher Bandit? Und welches Ziel verfolgt sein neuer weißer Freund?
Damiano Damiani ist einer der wichtigsten italienischen Politfilmer, vor allem der 60er und 70er Jahre (u.a. Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?). Nur zwei Ausflüge unternahm er ins Western-Genre. Einmal mit Nobody ist der Größte, bei dem er allerdings am Gängelband der Produzenten gehalten wurde, und dann schon 1966 mit diesen Film: „Töte Amigo“, der nach Aussage des Regisseurs gar kein Western sei. Damiani meint, er habe keinen Western gemacht, da er nicht die Absicht hatte, das US-Kino zu imitieren. Viel mehr ist auch „Töte Amigo“ durch und durch politisches Kino im Geist der 60er Jahre. Das Setting inmitten der sozialistisch geprägten mexikanischen Revolution dient als Allegorie auf die Zustände in der realen Welt. Die armen Bauern, die für die kapitalistischen Großgrundbesitzer schuften, setzt Damiani in Bezug zu den Ländern der dritten Welt, die durch die reichen Staaten ausgebeutet werden. Und die Bande um El Chuncho steht für die gegen diese Zustände aufbegehrenden Kräfte in Europa und den USA. Dabei beweist Damiani mit seiner Zeichnung der Revolutionäre ungemeinen Weitblick. Im einen Moment sind sie noch gefeierte Befreier des Volkes, im nächsten Moment schon wieder Banditen und Mörder. Da kommen natürlich sofort Parallelen zu den Studentenunruhen in aller Welt auf, aus denen sowohl Terrorgruppen, wie auch gewalttätiger und friedlicher Protest entstand. Diese politische Sprengkraft wurde „Töte Amigo“ in Deutschland wohl auch zum Verhängnis. Zum Kinorelease 1968 radikal zusammen gekürzt, wurde der Film nicht nur stark verharmlost, sondern erfuhr, wie Filmkritiker Wolfgang Luley in einer Textbeilage zur neuen, ungekürzten deutschen DVD (siehe DVD-Kritik) richtig schreibt, eine Wandlung: „Aus einem politischen Thriller im Gewande des Italo-Western wurde ein auf Gewalt und Töten reduzierter Genrefilm, dessen differenzierte Handlungs– und Typenzeichnung zum Teil unter den Tisch gefallen sind.“ Besonders massiv schlagen sich die Kürzungen in einer Szene nieder, in der die Banditen und die Bauern gemeinsam die Hacienda eines Großgrundbesitzers stürmen. In der gekürzten deutschen Fassung wird nicht nur die komplette, dort zur Sprache kommende und den Hass der Bauern erklärende Vorgeschichte ausgeblendet, sondern auch die zwiespältige Diskussion, wie man mit seiner Frau verfahren soll. Mit einer Wendung zum Finale hin zeigt sich „Töte Amigo“ – ohne viel spoilern zu wollen – auch noch als klare Kritik an der US-Außenpolitik der damaligen Zeit, die sogar heute noch aktuell ist.
„Töte Amigo“ hat neben seinem sozialkritischen Aspekt vor allem auch eine spannende Seite. Die beiden neuen Freunde ziehen von Raubzug zu Raubzug, eine ihrer Ideen ist dabei aberwitziger als die andere, was viele hochkarätige Szenen mit sich bringt. Unterschwellig ist beim Zuschauer aber immer – Hitchcock-like - ein Misstrauensgefühl da, denn nur der Zuschauer weiß, dass sich Nino, wie der Weiße von den Banditen genannt wird, unter falschen Vorgaben in die Bande geschlichen hat und so bleibt die Frage, welches Ziel er verfolgt. Ist er ein Spitzel oder einfach ein gelangweilter Abenteuersucher? Daneben streut Damiani einige wunderbare Szenen ein, in denen den Revolutionären vor Augen geführt wird, dass die Befreiung von einigen Bauern schwieriger ist als erwartet, weil sie die politische Dimensionen unterschätzt haben. Und schließlich ist „Töte Amigo“ noch ein Film über Freundschaft und Treue, der in seinem Verständnis und seiner Ausgestaltung dieser Werte sehr an die Werke von Sam Peckinpah (The Wild Bunch, Pat Garret jagt Billy The Kid erinnert.
Mit Italo-Western-Star Gian Maria Volonté (Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr) als rauem Banditen und Milchgesicht Lou Castel (Der amerikanische Freund, Der Leopard) sind die beiden Hauptrollen außergewöhnlich gut besetzt. Daneben darf sich noch „Enfant terrible“ Klaus Kinski (Leichen pflastern seinen Weg, Nosferatu – Phantom der Nacht, Fitzcarraldo) austoben, der in Priesterkleidung gleich mehrere denkwürdige Auftritte hat, die genau zu seiner explosiven Art passen. Kinski-Fans sei allerdings gesagt, dass er nichtsdestotrotz eine Nebenrolle bekleidet. Man sollte sich da nicht vom Cover der deutschen DVD, die sein Konferfei groß ziert, täuschen lassen. Da sich ein Italo-Western mit Kinski auf dem Cover aber massiv besser verkauft, kann man diesen „Trick“ des deutschen Verleihs nachvollziehen. Eine wichtige Figur verkörpert noch das doppelte Bondgirl Martine Beswick („James Bond 007 - Liebesgrüße aus Moskau“, James Bond 007 – Feuerball). Sie ist der einzige Banditin und bringt noch eine Prise Eifersucht in die Figurenkonstellation, wobei es Damiani glücklicherweise mit diesem Subplot nicht übertreibt.
Ein Prunkstück von Damianis Polit-Western ist der Soundtrack, für den sich zwei der Größten ihres Faches verantwortlich zeigen. Mit Luis Bacalov und Ennio Morricone arbeiteten zwei Meister der musikalischen Filmuntermalung gemeinsam an diesem Film und kombinieren ihre jeweiligen Stile perfekt miteinander. Das ergibt insgesamt einen hochkarätigen Film, der von Italo-Western-Fans nicht umsonst fast auf Augenhöhe mit Filmen von Leone (Spiel mir das Lied vom Tod, Sollima („Der Gehetzte der Sierra Madre“), Corbucci („Django“) oder Castellari (Keoma) gesehen wird. Wie stark „Töte Amigo“ ist, zeigt sich auch noch durch einen Blick auf die zeitgenössische Kritik. Selbst dem Italo-Western nicht gerade freundlich gesonnene Publikationen wie Filmecho/Filmwoche oder der konservative Film-Dienst lobten die „brillante Darstellung“, die „überzeugende Regie“ und vor allem den „sozialkritischen Aspekt“. Und dabei fällten sie dieses Urteil nur anhand der verstümmelten Fassung.