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    Separated
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Separated

    Wichtiges Thema, enttäuschender Film

    Von Patrick Fey

    Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Filmlandschaft, insbesondere das Dokumentarkino, verdankt Errol Morris viel. Wenn dieser Tage sein Film „Separated“ bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere feiert, ist der gebürtige New Yorker bereits 76 Jahre alt — ein Alter, in dem man gern schon mal zurückblickt. Bei Morris bedeutet dieses Zurückblicken vor allem, daran zu erinnern, wie uns seine Filme dazu bewegt haben, mehr über die Mechanismen des Dokumentarfilms nachzudenken. Das bedeutet auch: Die Fiktionen zu erkennen, mit denen ein jeder Film arbeitet, seien sie auch noch so subtil und versteckt.

    Denken wir nur an seinen großen Klassiker „Der Fall Randall Adams“. Augenscheinlich darum bemüht, den undurchsichtigen Tathergang eines Mordes an einem Polizisten zu entflechten, werden genretypische ‚Talking Heads‘ und unbeholfene Reenactment-Szenen gemischt. Damit würde er nicht weiter aus dem Rahmen fallen – wenn uns nicht die zunehmend auftretenden Widersprüche und Undurchsichtigkeiten dazu anhalten würden, ein Misstrauen gegenüber dem Gesagten, aber auch dem von Morris Gezeigten zu entwickeln.

    Der spannendste Gesprächspartner in Nafis Azad
    Der spannendste Gesprächspartner in "Separated": Jonathan White kämpfte von Innen gegen die Pläne der Trump-Administration.

    Und um es gleich vorwegzunehmen: „Separated“, sein mittlerweile neunzehnter Film in Spielfilmlänge (für die Academy of Motion Pictures ist ein solcher mindestens 40 Minuten lang), fällt nicht darunter. Das mag daran liegen, dass das Thema, dessen sich Morris hier annimmt, längst die Dimensionen eines nationalen Traumas angenommen hat. Sobald nämlich Donald Trump 2017 in das Weiße Haus eingezogen war, dauerte es nicht lange, bis er wahrzumachen begann, worüber er zuvor nur getönt hatte: Migration mit aller Macht — was hier heißt: mit aller Brutalität — zu verhindern. Bereits im Jahr 2018 hatte er Homeland Security mit der Migrationsbekämpfung beauftragt, was eine beispiellose Form der Gewalt zur Folge hatte. In „Separated“ zeigt Morris, wie die Trump-Administration geltende Gesetze kaperte und neu definierte.

    Im Rahmen einer sogenannten Zero-Tolerance-Policy gab es eine neue Marschrichtung: Die an der mexikanisch-amerikanischen Grenze aufschlagenden Familien — vornehmlich Migranten aus den sogenannten Northern-Triangle-Staaten Guatemala, Honduras und El Salvador — seien zu trennen. Während die Eltern/oder Vormünder an der Grenze inhaftiert wurden, riss man ihnen die Kinder aus den Händen. Sie wurden in ein Programm überführt, welches eigentlich zur Unterbringung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Einwander*innen existiert und das schnell an seine Grenzen kam. So landeten die Kinder bald in lagerartigen Unterkünften, die mehr an haftähnliche Umstände denn kindgerechte (oder auch nur menschenwürdige) Unterbringung erinnern. Dort blieben sie so lang, wie es dauern würde, eventuelle legale Verwandte in den USA ausfindig zu machen.

    Ein Problem, das immer noch existiert

    Dass das Thema nicht nur über Monate hinweg die nationalen Nachrichten dominierte, sondern auch international Wellen der Empörung lostrat, macht der Film an mehreren Stellen deutlich (wobei es den meisten Zuschauer*innen ohnehin noch vor Augen sein dürfte). Bekanntlich meldete sich 2020 sogar Papst Franziskus zu Wort und ließ verlauten, dass die gewalttätige Trennung von Kindern und ihren Eltern an der mexikanisch-amerikanischen Grenze gegen die Werte der katholischen Kirche verstoße. Auch in der Literatur wurde das Thema von Gegenwartsautor*innen aufgegriffen. Im Jahr 2019 etwa endete der hochgelobte Roman des Amerikaners Ben Lerner, „The Topeka School“, damit, dass der Protagonist seine selbst verordnete politische Unmündigkeit aufgibt und sich, lautstark gegen die Familientrennungen anbrüllend, einem Protest gegen die amerikanische Immigrationsbehörde ICE anschließt.

    Die Vergangenheitsform suggerieren hier vielleicht, dass es mit diesem Spuk mittlerweile ein Ende hat. Schließlich knickte sogar Trump öffentlich ein und setzte dem Vorgehen per Executive Order ein Ende. Doch „Separated“ ruft uns in Erinnerung, dass alles ein bisschen komplizierter ist. Denn von den rund 5500 Kindern (so schätzt es die Zivilrechtsorganisation ACLU), die auf diese Weise ihren Familien entrissen wurden, sind auch heute immer noch viele nicht mit diesen wiedervereint worden. Gleichzeitig, und darauf geht Morris‘ Film nur sehr kurz ein, lässt sich das starke Ansteigen der Gewalt durch die Grenzbeamten bereits auf die Bill-Clinton-Administration zurückführen, die durch ihre Abschreckungspolitik und insbesondere Pushbacks viele der potenziellen Einwander*innen in tödliche Gefahr brachte. Das 2002 unter George W. Bush neu installierte Homeland-Security-Ministerium führte dann Grenzkontrollen in einem zuvor nicht dagewesenen Ausmaß ein. Und unter Barack Obama wurden bekanntlich so viele Deportationen wie nie zuvor in der Geschichte des Landes durchgeführt.

    Die fiktiven Spielszenen sind eine große Schwäche von Kamen Velkovsky
    Die fiktiven Spielszenen sind eine große Schwäche von "Separated".

    All dies, und vieles mehr, bildet den Kontext und auch den Inhalt des Bestsellers „Separated: Inside an American Tragedy“, auf dem Morris Dokumentation basiert. Geschrieben wurde er von NBC-Politik-Korrespondent Jacob Soboroff, der darüber hinaus einen der zahlreichen Interviewpartner*innen darstellt, die in „Separated“ im klassischen Talking-Head-Format befragt werden. Im Film heißt es an einer Stelle, es habe vermutlich seit der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King in den 1960er-Jahren keinen gesellschaftlichen Aufschrei solchen Ausmaßes gegeben, wenngleich dabei die Proteste nach dem Tod George Floyds unnötigerweise ignoriert werden.

    Angesichts der gesellschaftlichen Wahrnehmung war es indes nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand vom Rang eines Errol Morris dieses Themas annimmt. Der liefert uns zum einen einen regelrechten Exkurs über all die Fakten. Gleichzeitig folgt der preisgekrönte Regisseur aber in einem separaten Handlungsstrang einer Mutter und ihrem Sohn, die versuchen, unbemerkt die amerikanische Südgrenze zu überqueren. Womöglich handelt es sich bei diesen fiktionalisierten Reenactment-Szenen um Morris Versuch, bei all den Interviews nicht die Menschen aus den Augen zu verlieren, die in der ganzen Angelegenheit nicht zur Sprache kommen und überdies am schutzbedürftigsten sind. Allerdings bleibt wenig ersichtlich, welche Funktion jenen Szenen wirklich zukommt. Wenn etwa der Junge Diego, der nach der Festnahme an der Grenze von seiner Mutter getrennt wird, später mit dieser telefoniert und sie beschuldigt, ihn nicht beschützt zu haben, schleicht sich plötzlich ein Drama in die ansonsten so auf Fakten beharrende Dokumentation. Es sprengt förmlich das Format, als der Junge das „Ich liebe dich“ seiner Mutter nicht mehr erwidern kann.

    Botschaftskino von gestern

    Zu diesem Zeitpunkt ist Morris Film so stark zum Botschaftskino verkommen und sich seines eigenen Standpunktes so gewiss (und mit ihm des Standpunktes des Publikums), dass er kaum mehr für ein aktives Zuschauen taugt. Schließlich sind die Grenzen der Erkenntnisse, die sich aus dem Film gewinnen lassen, sorgsam abgesteckt. Auch die Interviews, präsentiert im goldenen Schnitt und Hochglanzformat, geraten auf Dauer vor allem redundant. Bei einem Thema, das automatisch so emotionalisiert, das überdies so viele Verletzungen — physische wie emotionale — mit sich trägt, mögen einige an dieser kühlen und starren Art des Filmemachens womöglich Halt finden. Doch andere unter uns werden feststellen müssen, dass sie dieser Art des Filmemachens entwachsen sind.

    Fazit: „Separated“ von Errol Morris enttäuscht trotz des wichtigen Themas. Der einst innovative Dokumentarfilmer verfällt in vorhersehbare Muster aus Talking Heads und ungeschickten Reenactments. Nicht zuletzt aufgrund der starren Präsentation und redundanten Interviews bietet Morris uns wenig Raum für kritische Reflexion und verunmöglicht uns, was seine früheren Filme einst auszeichnete: ein aktives Zuschauen!

    Wir haben „Separated“ im Rahmen des Venedig Filmfestival 2024 gesehen.

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