Affären mit dem Hauptverdächtigen, das ist im Prinzip nichts neues; unter anderem "Luther" basiert fast vollständig auf diesem Grundkonflikt. Morven Christie legt ihre Figur glücklicherweise komplex genug an, um halbwegs daneben bestehen zu können, auch wenn dieser Serie vorerst nur eine Staffel spendiert wurde. Die titelgebende Bucht zeichnet dazu ein Bild vom Verfall einer Stadt vom Seebad zum sozialen Brennpunkt, während es den Menschen ganz ähnlich geht.
Zum Glück konzentrieren sich die Serienschöpfer Daragh Carville und Richard Clark nicht nur auf die Klischees, von denen es hier trotz aller guten Dinge auch manches gibt - von der üblichen dysfunktionalen Polizisten-Familie über Lisas mäßige Begeisterung für ihren neuen Partner bis hin zur obligatorischen und offensichtlich falschen Spur in Folge eins. Strukturell ist "The Bay" ein klassischer Krimi ohne weltbewegende Neuerungen, doch an entscheidenden Stellen gibt es interessante Unterschiede. So ist Lisa als Opferbeauftragte der Polizei einfach mal ein neuer Ermittlertyp, der nicht viel mit den ewig deprimierten männlichen Kollegen zu tun hat. Zusätzlich hält das Polizei-Team hier fast immer zusammen, alle potenziellen Reiberei gehen von Lisa aus. Damit wird ihre Stellung als Sympathieträgerin ebenso wie durch die Affäre mit dem bald hauptverdächtigen Sean bewusst auf die Probe gestellt.
Ein Wagnis, aber zum Spannungserhalt gibt es ja auch noch den Fall. Der keilt mal in die eine, mal in die andere Richtung aus, so dass man bis zur vorletzten Folge kaum noch weiß, ob es nun ein Familiendrama, Mord durch das organisierte Verbrechen, ein Racheakt oder einfach nur ein schlimmes Unglück war. Letztendlich erzählt die Geschichte vor allem von dem, was unter der Oberfläche scheinbar heiler Familien brodeln kann und dass Macht und Manipulation nicht nur von Berufsverbrechen ausgeübt werden. Dazu noch etwas Selbstjustiz und undurchsichtige Verdächtige plus ein Schuss Sozialdrama - fertig ist ein ansehlicher Krimi der das Genre (wie so oft) nicht neu erfindet, Fans von melancholischem Brit-Crime aber einige interessante Variationen bietet.
Mittlerweile wurde übrigens eine zweite Staffel angekündigt, in der es allerdings eine neue Hauptdarstellerin geben soll. Falls das Niveau gehalten und ein paar Klischeefallen umgangen werden, könnte sich hier eine neue Anthologie auftun, die sich zu verfolgen lohnt.