Nach der großartigen Porträtierung des Charakters in Daredevil Staffel 2, war es nur eine Frage der Zeit bis Frank Castle alias der Punisher seinen eigenen Serien-Ableger spendiert bekommt. Und während die ersten Trailer noch auf eine etwas Klischee-beladene Serie mit primären Fokus auf die Actioneinlagen vermuten ließ, so ist das Endprodukt doch vielseitiger ausgefallen. Gleich der Anfang der ersten Episode macht klar, dass Castle noch nicht die Mentalität des Punishers vollends angenommen hat. Das Verbrennen seiner Totenkopfweste hat also nicht nur eine symbolische Bedeutung, sondern ist gleichzeitig auch ein Ausblick auf den weiteren Verlauf der Staffel. Keine Punisher-Story, sondern eine weitere Rache-Tour Frank Castles. Der Pilot fühlt sich dabei noch wie ein schwarzes Schaf in der Familie an. Castle wird mehr als ein vom Krieg zerfressenes Monster dargestellt, eine Zeitbombe, die nur eine Rechtfertigung braucht, um wieder in den Krieg gegen das Verbrechen zu ziehen. Gewalt wird mit Gewalt bekämpft, und manch einem Zuseher wird der Doppelmoral zu schaffen machen. Umso interessanter wird es dann allerdings, wenn die nachfolgenden Episoden eine komplett andere Richtung einschlagen. Diese erkunden nämlich viel mehr die Psyche der Figur und zeigen uns dabei genug Gegenbeispiele von ebenfalls unter PTSD leidenden Personen auf, als dass wir Frank noch als ausrangierten Psycho abstempeln würden.
Ebenfalls lernt man Frank's Partner für die erste Staffel kennen. David Liebermann alias Micro, welcher eine wirklich ausführliche Charakterzeichnung bekommt und zumindest mir, von der ersten Minute an sympathisch war. Der Fokus der Serie liegt größtenteils auf Franks Rache an den Leuten, die für den Tod seiner Familie verantwortlich waren und Micro's verzweifelte Versuche wieder sein altes Leben zurück zubekommen. Während Frank und Micro als Duo wirklich gut funktionieren (und tatsächlich sogar einige sehr lustige Situationen zwischen ihnen aufkommen), so ist das zweite wichtige Paar der Staffel, Agent Madani & Sam Stein, leider ein Reinfall: Ihre Beziehung bleibt sehr kalt und generisch, dadurch kommen auch keine Emotionen auf, obwohl die Serie es verzweifelt versucht. Auch diverse Subplots sind, wenn auch für sich genommen interessant und gut ausgearbeitet, doch sehr schleppend erzählt und bremsen das Pacing der ersten Staffel erheblich aus. Apropos Pacing: Dieses hätte man schnell verbessern können, indem man mehr Actionszenen in die Folgen integriert. So sehr ich auch für Charakterbau und komplexe Plotpunkte einstehe, so ist das hier letztlich doch eine Comicbuchserie (obwohl sie sich nicht danach anfühlt). Wenn die Actioneinlagen kommen, dann meistens sogar mit interessanten Ideen, beispielsweise Folge 5, welche diverse first person view-Sequenzen einfließen lässt oder in Folge 10, die versch. Versionen der selben Ereignisse (alle geschildert von anderen Figuren) aufzählt. Dennoch ist die Action leider schlecht auf die 13 Episoden aufgeteilt worden. Ein anderer Kritikpunkt den ich mit der Serie (und früher eigentlich mit fast allen Filmen/Serien etc. hatte) sind die Kinderdarsteller. Es schmerzt mich besonders, da Stranger Things dieses und letztes Jahr zeigen konnte, welch besondere Jungtalente so alles auf uns warten und noch in dieser Branche zu finden sind. Punisher hingegen macht es seinen Kinder darstellern auch nicht gerade leicht und enthält echte, für Kinder geschriebene Dialogzeilen wie: "Mir tut es immer weh. Ich wollte doch nur, dass es den anderen auch mal weh tut! Nur einmal!". Da kann man nur den Kopf schütteln und sich fragen, welch ein Kiddo so einen Quatsch von sich geben würde. Bis auf ein paar Nitpicks (die offensichtlich leeren Teetassen Anfang Episode 9 sind lächerlich) kann ich die Serie aber sonst nur loben. Sie enthält hauptsächlich interessante, sympathische Figuren, praktisch alle Set-Ups erfahren ihr Pay-Off (ja sogar die konstanten Traumsequenzen), die Action sitzt besonders in Episode 11+13, und obwohl die Serie deutlich brutaler hätte ausfallen können, so ist doch für einen gewissen Gewaltgrad gesorgt worden. Evtll. hätte ich mir nur einen etwas eigeneren Stil erhofft, gerade Voice Overs hätten in diesem Fall gut funktioniert. Dennoch: Diese moderne Version des Punishers ist eine, mit der ich mich gerne weiter beschäftige und von den Netflix-Marvelserien ist diese, nach DD 1+2, tatsächlich meine Liebste.