Vera Farmiga (Betonung auf der zweiten Silbe), die Frau mit den Katzenaugen, hat sich seit ihrem viel beachteten Auftritt anno 2006 in Martin Scorseses "Departed: Unter Feinden" zusehends an die Hollywood-A-List herangespielt. Dabei zeichnet sich die versierte, ukrainischstämmige Darstellerin durch eine mutige und vielseitige Film- und Rollenwahl aus. So sah man sie in so verschiedenen Werken wie im gepriesenen KZ-Drama "Der Junge im gestreiften Pyjama", im Horrorstreifen "Orphan" oder an der Seite George Clooneys in der grandiosen Drama-Komödie "Up in the Air", die ihr die erste Oscar-Nominierung einbrachte. Mit ihrem zurückhaltendem und dennoch eindringlichem Spiel, das sich in starkem Maße auf ihre Präsenz und ihre scheinbar Geheimnisse hortende Physiognomie verlässt, hat sie nicht nur das anspruchsvolle Mainstream-Publikum, sondern auch amerikanische Kritikergrößen wie Roger Ebert oder David Edelstein für sich gewonnen.
Lehrjahre
Vera Ann Farmiga, als zweites von sieben Kindern am 6. August 1973 in New Jersey geboren, feierte 1996 ihr Broadway-Debüt und ergatterte im Jahr darauf eine wiederkehrende Rolle in der TV-Serie "Conor der Kelte" mit Heath Ledger in der Hauptrolle. Nach weiteren TV-Arbeiten war sie in 1998 in einer Nebenrolle in ihrem ersten Kinofilm "Für das Leben eines Freundes" mit Vince Vaughn und Joaquin Phoenix zu sehen. 2001 spielte sie erstmals eine größere Nebenrolle in "15 Minuten Ruhm" gegenüber Robert De Niro als osteuropäische Prostituierte, die Zeugin eines Mordes wird. Nachdem die TV-Serie "UC: Undercover" mit ihr in einer der Hauptrollen 2002 nach nur 13 Folgen eingestellt wurde, spielte Farmiga im New Yorker Episodenfilm "Love in the Time of Money" im selben Jahr ihre erste Hauptrolle.
"Die beste amerikanische Schauspielerin, von der sie noch nichts gehört haben."
Mit "Down to the Bone" heimste Vera Farmiga 2004 als drogenabhängige Mutter, die versucht ihren Kindern und ihrer Ehe gerecht zu werden, mehrere Festivalpreise ein, unter anderem den Spezialpreis der Jury in Sundance. Nach einer kleinen Rolle in Jonathan Demmes gleichnamigem Remake des Klassikers "Der Manchurian Kandidat" spielte sie Paul Walkers zunächst wehrlos erscheinende Frau im Action-Thriller "Running Scared", die indes, als es darauf ankommt, nicht zimperlich ist. Anders als viele ihrer Schauspielkollegen nimmt Farmiga nur selten an Vorsprechen teil und schickt indes lieber selbst gedrehte Kurzfilme als Rollenreferenz ein. Auf diesem Wege überzeugte sie auch Martin Scorsese, der ihr in seinem oscargekrönten Thriller-Drama "The Departed" die Rolle der Polizeipsychologin Madolyne anvertraute, die zwischen die Fronten der von Leonardo DiCaprio und Matt Damon gespielten rivalisierenden Spitzel gerät. Nach mehreren Auftritten in kleineren Independent-Produktionen spielte Farmiga 2008 in "Der Junge im gestreiften Pyjama" die Frau eines KZ-Kommandanten, deren Sohn sich mit einem jungen Insassen anfreundet. Farmiga wurde für die schwierige Rolle im Rahmen der British Independent Film Awards als Beste Schauspielerin ausgezeichnet.
Durchgestartet, angekommen: Hollywoods Charakterfrau.
Nachdem sie schon 2007 im Psychohorror "Joshua" Erfahrung als Mutter eines außergewöhnlichen Kindes sammeln konnte, sah man Vera Farmiga 2009 in Jaume Collet-Serras unterhaltsamen Horrorkind-Streifen "Orphan". Auch hier wusste die Darstellerin ihrem leidgeplagten Charakter neue Nuancen abzugewinnen. Einmal sitzt sie am Bett ihrer kleinsten Tochter und spricht mit ihr über den Tod des Geschwisterchens: Ohne große Gesten oder gar Tränen scheint es sie förmlich zu zerreißen. 2010 feierte sie mit "Up In The Air" nicht nur ihren größten kommerziellen Erfolg, sondern erhielt auch eine Oscar-Nominierung als Beste Nebendarstellerin, musste sich mit ihrer täuschend unterkühlten Darstellung der Karrierefrau mit Bindungsscheu letztlich aber Mo'Niques Wucht in "Precious" geschlagen geben. Wie ihr Part im Sci-Fi-Thriller "Source Code" mit Jake Gyllenhaal ist auch ihre Alex Goran aus "Up In The Air" den Männern mindestens ebenbürtig. Vera Farmigas erster Versuch im Regiefach, das Glaubensdrama "Higher Ground", feierte unterdessen auf dem Sundance-Festival 2011 seine Premiere und wurde wohlwollend aufgenommen. Für 2012 kann man sich schon auf die Verfilmung des Arthur-Miller-Stücks "A View from a Bridge" mit Sam Neill, Tim Burtons Alice Mia Wasikowska sowie der Frau mit den Katzenaugen freuen.