+++ Meinung +++
Dass man mit einem Adelstitel nicht plötzlich ein Märchenleben führt, sollte nicht überraschen. Und doch nehmen sich nur wenige Filme der psychologischen Tortur an, die mit einem prominenten Namen und royaler Erwartungshaltung einhergehen kann. Noch seltener war das Ergebnis derart denkwürdig wie in „Spencer“ mit Kristen Stewart in der Titelrolle der Princess of Wales, Diana.
Regisseur Pablo Larraín nimmt sich darin der realen Person, der Ikone und dem Schicksal Lady Di an, und formt daraus (wie es in einer Einblendung zu Filmbeginn heißt) eine Fabel. Doch es ist eine bittere, beklemmende Fabel, die trotz großem Presse- und Branchenlob vom Kinopublikum nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Ab sofort ist „Spencer“ im Abo bei Amazon Prime Video abrufbar – und wird so hoffentlich endlich ein größeres Publikum finden.
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"Spencer": Lady Di und ihre Horror-Weihnacht auf Prime Video
Heiligabend 1991: Die Royal Family macht sich für ein traditionelles, streng durchgeplantes Fest bereit – und wartet ungeduldig auf Diana. Endlich im geschichtsträchtigen Sandringham House angekommen, hinterfragt sie alte Angewohnheiten und wirkt fahrig. Was zu erwarten war, schließlich ist sie seit einiger Zeit weder über ihre Prominenz, ihre festgefahrene Rolle im englischen Königshaus, noch ihren Ehealltag mit Prinz Charles (Jack Farthing) erfreut. Während der Feiertage steigert sich die gestresste Lady Di in einen Wahn hinein, zugleich wehrt sie sich immer eifriger gegen die Obsessionen der restlichen Royals. Kann das gut gehen?
Regisseur Pablo Larraín zeigte bereits mit dem Jackie-Kennedy-Biopic „Jackie“, wie soghaft und abgründig er das Wesen komplexer, ikonischer Frauen der Zeitgeschichte einfangen kann: Das von „Black Swan“-Regisseur Darren Aronofsky produzierte Natalie-Portman-Vehikel zeigt, wie die Stilikone die Ermordung ihres Gatten John F. Kennedy verarbeitet – und wie sie ihre eigene Position im US-Politzirkus verteidigt. Das Ergebnis ist ein intelligentes Drama, das jedoch dank der Kameraarbeit und des finsteren Scores teilweise wirkt wie ein neuer Aronofsky-Horrorfilm.
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Mit „Spencer“ reicht Larraín ein fesselndes Ergänzungsstück zu „Jackie“ nach: Von einem Mitglied der Politfamilie, die gerne als Amerikas Royal Family bezeichnet wird, geht es rüber ins britische Königshaus, das Diana Spencer unter anderem mit ihren wohltätigen Engagements neu politisiert hat. Ein komplexes, potentiell sprödes Thema – das der Regisseur aber so packend umsetzt, dass es unter die Haut geht.
Dass „Spencer“ sich als Fabel nach wahren Begebenheiten bezeichnet, ist keine leichtfertige Entscheidung: „Spencer“ verdichtet die facettenreiche Persönlichkeit Dianas und ihr umfangreiches, schwieriges Vermächtnis auf weniger als zwei Filmstunden, die wiederum bloß ein einzelnes, metaphorisch aufgeladenes Weihnachtsfest nacherzählen. In dieser Zeit rauscht „Spencer“ durch Dianas in die Modegeschichte eingegangenen Looks, während die Titelheldin, von Kristen Stewart herausragend gespielt, einen emotionalen Whiplash nach dem nächsten erleidet.
Als wäre sie zeitgleich der Mittelpunkt einer Geisterhaus-Geschichte, die hinter jeder Ecke ihren Mörder erwartende Hauptfigur eines Slashers und die sich selbst zermürbende Protagonistin eines Psychothrillers, wandelt Diana eingeschüchtert, verschreckt, niedergeschmettert durch das Anwesen. Laute Geräusche schrecken sie auf, absolute Stille schüchtert sie ein, die Blicke der Adelsfamilie und ihrer Angestellten suchen sie heim – all das, während sie sich einfach einen Ruhemoment und ihren Kindern ein besseres Umfeld erkämpfen will. Der Film zeigt in diesen Passagen Diana, die Zielscheibe.
Jetzt streamen: Einen der besten Horrorfilme aller Zeiten gibt's ab heute kostenlos (!) bei AmazonWenn Diana mal Glücksmomente findet (und das ist in „Spencer“ selten genug), sind sie umso herrlicher, da sie auch uns als Publikum von der emotionalen Folter erlösen. Und sie erinnern an Diana, das Vorbild und Diana, die Kämpferin. Nicht umsonst wird „Spencer“ in der FILMSTARTS-Kritik als „düsteres, fast schon horrorhaftes, aber im selben Moment trotzdem auch ansteckend-optimistisches Märchen“ bezeichnet. Ein ungewöhnlicher Ansatz, den Larraín langsam zu seinem Markenzeichen werden lässt – und dank dem „Spencer“ auch für Leute spannend wird, die die Klatschseiten über Royals stets energisch wegblättern.
Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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