+++ Meinung +++
Der Horrorfilm „Get Out“ nahm bei einem Budget von nur 4,5 Millionen Dollar weltweit über 255 Millionen Dollar an den Kinokassen ein. Außerdem wurde er mit euphorischen Kritiken überschüttet und mischte ordentlich bei prestigeträchtigen Filmpreisen mit. Unter anderem winkten ein Oscar für das beste Original-Drehbuch sowie Academy-Award-Nominierungen für die beste Regie, den besten Hauptdarsteller und sogar den besten Film.
Mit dem erst vor wenigen Wochen gestarteten Sci-Fi-Thriller „Nope“ generierte „Get Out“-Regisseur Jordan Peele bislang leider nur etwas mehr als 165 Millionen Dollar. Und das, obwohl er mit seinem audiovisuellen Bombast wie dafür gemacht ist, ein echter Publikumsrenner zu werden. Das ist der erste kleine Rückschlag für den Horror-Auteur - denn auch seine zweite Regiearbeit „Wir“ konnte „Get Out“ ebenbürtige 255 Millionen Dollar einnehmen.
Peeles hochspannender Sci-Fi-Horror „Wir“ geht aber nicht nur unter die Haut, sondern ist auch das bislang verkopfteste Werk des Filmemachers. Umso kurioser, wo die schaurige Gesellschaftssatire ihre deutsche Free-TV-Premiere feiert: „Wir“ läuft heute, am 18. September 2022, ab 22.30 Uhr bei RTL II, dessen Programm ansonsten nicht gerade ein intellektuelles Image anhaftet. Aber das kann allen, die „Wir“ gratis im TV sehen wollen, herzlich egal sein. Und wer nicht nur den Film sehen möchte, sondern auch Einblicke darin gewinnen will, was sich Peele mit dem Horrorstoff gedacht hat, greift zur Blu-ray voller informativem Bonusmaterial:
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"Wir": Peeles atmosphärischer Gesellschaftsspiegel
Adelaide Wilson (Lupita Nyong'o) plant mit ihrem Mann Gabe (Winston Duke) und ihren Kindern Zora (Shahadi Wright Joseph) und Jason (Evan Alex) einen ruhigen Sommerausflug an der Küste Nordkaliforniens. Auch die mit Adelaide und Gabe befreundete Tyler-Familie, bestehend aus Kitty (Elisabeth Moss), Josh (Tim Heidecker) und den Zwillingstöchtern Becca (Cali Sheldon) und Lindsey (Noelle Sheldon), macht es sich dort am Strand bequem.
Die Ferienidylle wird allerdings schlagartig zum reinsten Albtraum, als furchteinflößende, sonderbare und gewaltbereite Gestalten im Ferienhaus der Wilsons aufkreuzen. Die aggressive Familie ähnelt den Wilsons frappierend und macht Jagd auf sie...
Ein Horror-Meisterwerk, wie ihr es noch nie gesehen habt: Ultimativer Zombie-Klassiker bekommt Neuauflage im HeimkinoViel wurde schon über Jordan Peeles Können als Spannung und komisch-bittere Gesellschaftskritik vereinender Drehbuchautor geschrieben, ebenso über sein Auge für stimmungsvolle Bilder. Allerdings hat Peele ein weiteres Talent, das für das Gelingen seiner Filme entscheidend ist, jedoch vergleichsweise selten in den Fokus gerückt wird: Der Ex-Comedian stützt seine Stoffe stets auf mitreißende, vielschichtige Performances.
Was in „Get Out“ Daniel Kaluuya war, ist in „Wir“ Lupita Nyong'o mit einer atemberaubenden Doppelrolle: Als verängstigte, aber durchsetzungswillige Adelaide und als ihre schmerzverzerrte, vor Wut brodelnde Doppelgängerin! Nyong'o tänzelt vor allem in ihrem Doppelgänger-Part mit einer heiseren, dennoch großen Druck machenden Stimmlage denkbar nah an dem Bereich, wo „beängstigend“ endet und „fremdschämig“ beginnt. Aber Nyong'o überschreitet zu keinem Zeitpunkt diese Grenze, weckt stattdessen Mitgefühl für diese verbissen-finstere Person, die Gerechtigkeit einfordert.
Nyong'os flammende Doppelperformance und Peeles mit Metaphorik, popkulturellen Querverweisen und sozialpolitischen Beobachtungen gespicktes Skript sorgen dafür, dass sich enorme Spannung vor allem aus einer Frage generiert: Wäre es nicht gerecht, wenn die Angreiferin ihr Ziel erreicht? Denn „Wir“ entwickelt sich sukzessive zu einem Generalumschlag gegen ausbeuterische Systeme und Wertvorstellungen.
Der finale Twist, auf dem „Wir“ endet, spaltete zwar die Gemüter, hat es aber verdient, nicht vorschnell als billige Überraschung abgehakt zu werden. Denn was an der Oberfläche eine kurze, genrekonforme Gemeinheit ist, hat im erzählerischen Unterbau viel mehr auszusagen. Allein schon, wenn man ins Grübeln kommt, ob man die Auflösung als traurig-ernüchterndes oder beißend-frohes Ende betrachten sollte, stolpert man in einen tiefen thematischen Kaninchenbau, den Peele clever hintersinnig für sein Publikum konstruiert hat...
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