+++ Meinung +++
Spektakuläre Kinoproduktionen, die den Schrecken des Zweiten Weltkriegs schonungslos einfangen, gibt es eine ganze Reihe – zu den berühmtesten, erschütterndsten und besten der jüngeren Vergangenheit zählen etwa Steven Spielbergs grausames Frontgemetzel „Der Soldat James Ryan“, Roman Polanskis bewegendes Ghettodrama „Der Pianist“ oder Christopher Nolans bildgewaltiges Spektakel „Dunkirk“, das 2017 die Kinosäle auf dem ganzen Globus erbeben ließ.
„The King’s Choice – Angriff auf Norwegen“ fällt schon allein budgetär zwei Nummern kleiner aus als die genannten Filme – und ist dennoch unbedingt sehenswert. Der norwegische Filmemacher Erik Poppe („Utoya 22. Juli“) hat sich eine hierzulande wenig bekannte und dennoch unheimlich packende Geschichte seines Heimatlandes herausgepickt, das im Zweiten Weltkrieg eigentlich neutral bleiben wollte, aufgrund seiner strategisch günstigen Lage und der üppigen Bodenschätze aber von der deutschen Wehrmacht überfallen wurde.
Und genau mit diesem Überfall beginnt der Film auch: Nach erläuternden Texteinblendungen, die die Geschichte im Jahr 1940 verorten, und historischem Schwarz-Weiß-Bildmaterial von der Ankunft des Königs in Norwegen begegnen wir der Hauptfigur direkt persönlich: Der 1905 ins Amt gewählte Haakon VII. (Jesper Christensen) ist vom Leben und von schlimmen Rückenschmerzen gezeichnet – was das fast 70-jährige Staatsoberhaupt allerdings nicht davon abhält, mit seinen drei Enkelkindern im Schnee zu spielen. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Films schließen wir Haakon ins Herz – was allerdings nicht heißt, dass die Filmemacher ihn künstlich zum jederzeit souveränen und untadeligen Vorbild stilisieren würden.
SO ELEKTRISIEREND STARTET "THE KING’S CHOICE"
Mit dem trauten Familienleben und der Unbeschwertheit am Hof ist es jedoch schnell vorbei: Haakon erreicht die besorgniserregende Meldung, dass deutsche Kriegsschiffe Kurs auf Norwegen nehmen und das Land angegriffen wird. Binnen Minuten verändert sich alles. Wir sind live dabei, wenn der Schauplatz wechselt, die einheimischen Verteidiger an der Küstenlinie des Oslofjords Position beziehen und ihre Scheinwerfer in pechschwarzer Nacht über das Wasser tasten. Als der Lichtkegel die finsteren Silhouetten der deutschen Zerstörer nach quälenden Minuten der Ungewissheit erstmalig erfasst und der für den Film typische, düster-dröhnende Score einsetzt, ist das der erste ganz große Gänsehautmoment.
Von nun an überschlagen sich in „The King’s Choice“, den Kunden von Amazon Prime Video ohne Zusatzkosten streamen können, die Ereignisse. Ein deutsches Schiff geht nach schweren Treffern in Flammen auf und versinkt in den Fluten, während Haakon sich mit seinem Sohn, dem Kronprinzen Olav (Anders Baasmo Christiansen), seiner Schwiegertochter und den drei Kindern per Zug in Sicherheit bringen will. Doch die Königsfamilie kommt nicht weit: Auch die deutsche Luftwaffe überfliegt Norwegen bereits und nimmt die verzweifelten Flüchtigen direkt ins Visier. Die Besatzer kennen keine Gnade.
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Derweil bemüht sich der von den Drehbuchautoren Jan Trygve Røyneland und Harald Rosenløw Eeg angenehm differenziert gezeichnete deutsche Gesandte Curt Bräuer (Karl Markovics), der den Überfall der Nazis keineswegs gutheißt, nach Kräften um eine diplomatische Lösung – wird von der Realität des Angriffskriegs aber jäh überholt. Außerdem muss er sich mit dem sturen Oberstleutnant Hartwig Pohlman (Andreas Lust) herumschlagen, dem das drohende Blutvergießen in Skandinavien als menschenverachtender Vorzeige-Nazi herzlich egal ist, solange die Rüstungsindustrie durch die Ausbeutung des Landes ihren Eisenerznachschub sichert.
VERZWEIFELTE DIPLOMATIE STATT BLUTIGEM GEMETZEL
„The King’s Choice“, der bei der Berlinale 2017 in der Sektion „Panorama Special“ seine Deutschlandpremiere feierte, punktet weniger mit aufwändigen Materialschlachten oder spektakulären Feuergefechten als vielmehr mit einem starken Drehbuch und einer Geschichte im Stile von „Die dunkelste Stunde“, das den Scheinwerfer auf ein hochspannendes Kapitel norwegischer Politik richtet.
Das eigentliche Kriegsgeschehen, bei dem die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Verteidiger sich verzweifelt gegen die deutsche Übermacht zur Wehr setzen, macht im Film unterm Strich nur wenige Minuten aus. Antriebsfeder des auf der realen Historie basierenden Geschehens ist stattdessen die Frage, ob es König Haakon tatsächlich gelingt, sich vor den Nazis in Sicherheit zu bringen – und wie der nimmermüde Curt Bräuer die norwegische Regierung davon überzeugen will, in seine Forderungen für einen Waffenstillstand einzuwilligen.
Dennoch ist das Kriegsdrama von Filmemacher Erik Poppe jederzeit mitreißend arrangiert, was nicht zuletzt am erstklassigen Cast liegt. Neben „James Bond 007 - Casino Royale“-Darsteller Jesper Christensen, der in seiner Hauptrolle als skandinavischer Nationalheld eine starke Performance abliefert, glänzt auch sein österreichischer Kollege Karl Markovics als tapferer Diplomat, der erschrocken stramm steht, wenn plötzlich „der Führer“ am Telefon ist. Mit Juliane Köhler (die im Bunkerdrama „Der Untergang“ ironischerweise Adolf Hitlers Gattin Eva Braun mimte) und Katharina Schüttler, die hier Bräuers Gattin Anneliese spielt, zählen auch zwei renommierte deutsche Schauspielerinnen zum Cast – sie erhalten aber bei Weitem nicht so viel Raum zur Entfaltung.
Das ist zwar schade, ändert aber nichts am positiven Gesamteindruck: „The King's Choice“ ist einer der besseren Kriegsfilme, die ihr aktuell bei Amazon Prime Video ohne Zusatzkosten sehen könnt.
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