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    Nur für einen Tag zurück im Kino: Eine Liebeserklärung an einen Film, den damals wirklich alle vergöttert haben

    Jeder liebt Amélie. Denn sie liebt das Leben. Ein Dankeschön an den Film, der mir beibrachte, dass wirklich in allem das Potential für das Fantastische schlummert - wenn man nur richtig hinsieht. Am 3. Mai 2022 für einen Tag zurück im Kino!

    StudioCanal

    Wie könnte man Amélie und ihrer fabelhaften Welt für das „Das-Leben-ist-schön“-Plädoyer besser danken als mit einem symbolischen Liebesbrief? Also mach ich zum eintägigen Re-Release im Rahmen der Reihe Best Of Cinema (alle weiteren Infos auf der offiziellen Website) am 3. Mai 2022 jetzt genau das…

    So wie viele Kids im präpubertären Alter bescherte auch mir kaum etwas verlässlicher funkelnde Augen als ein über die Leinwand segelnder Drache oder ein epochales Schlachtengetümmel zwischen Elfen und Orks. Ich war der Auffassung, cineastische Fantastik sei umso cooler, desto abgefahrener die CGI-Monster und außerirdischer die Welten sind. Doch dann entdeckte ich „Die fabelhafte Welt der Amélie“ – und damit stellte sich meine Welt auf den Kopf: Ausgerechnet eine Liebeskomödie über eine Pariser Kellnerin sollte mich eines Besseren belehren – ganz ohne Orks. Jean-Pierre Jeunets Meisterwerk zeigte mir, dass Fantasie eine Frage der Perspektive ist und aus dem richtigen Blickwinkel auch die kleinsten Dinge magisch und sinnreich erscheinen können.

    Zwar bezeichne ich den Film oberflächlich als „Liebeskomödie“, in Wahrheit aber ist „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ein viel zu eigensinniges Werk für jegliche Genre-Zuordnung. In der ersten Filmhälfte lernen wir zunächst primär die Titelheldin und ihr alltägliches Umfeld kennen: Als einsames Homeschooling-Kind mit distanzierten Eltern fängt sie schon früh an, fantasievolle Geschichten zu spinnen, welche die Realität romantisieren und dramatisieren. So schläft die im Koma liegende Nachbarin beispielsweise nur „vor“, um anschließend nie wieder ins Bett zu müssen – oder Amélies Kamerablitz ist derart ablenkend, dass dieser Flugzeugabstürze, Entgleisungen und Brände verursacht.

    Diesen instinktiven Einfallsreichtum legt Amélie auch als Erwachsene nicht ab. Nun spekuliert sie eben ganz unschuldig, wie viele Personen wohl gerade gleichzeitig einen Orgasmus haben. Und zu ihren größten Hobbies zählen: Steine springen lassen und Zuschauer im Kino beobachten. Der Film ist ein verzauberndes Werk mit ansteckender Detailverliebtheit, der die kindliche grundpositive Einstellung im Zuschauer reaktivieren möchte, welche leider allzu gerne spöttisch als Naivität abgetan wird.

    Amélie in "Game Of Thrones" wäre Game Over

    Die mit unendlichem Charme von Audrey Tautou gespielte Träumerin Amélie entführt uns in eine romantisierte Variante unserer Welt, bei der jede einzelne Figur zum unikaten Pinselstrich eines bunten Räderwerks wird. Und wenn eines dieser Zahnräder klemmt, dann findet die junge Frau dank überbordender Nächstenliebe eben die Stelle, welche es zu ölen gilt: Ihren daheim eingerosteten Vater motiviert sie endlich auf Reisen zu gehen, indem sie seinen Gartenzwerg mit Hilfe einer Stewardess heimlich um die Welt reisen lässt und ihm davon Fotos zukommen lässt. Der ständig klagenden Hypochonder-Kiosk-Verkäuferin und dem Stalker-Ex einer Kollegin haucht sie neues Leben ein, indem sie die beiden miteinander verkuppelt. Amélie ist so etwas wie die gutherzige Version von Petyr Baelish a.k.a. „Kleinfinger“ aus „Game Of Thrones“ - eine Fädenzieherin im Hintergrund, die sich als oberstes Ziel gesetzt hat, das Glück ihrer Mitmenschen zu maximieren.

    Während das Honigkuchenpferd für andere als Schutzengel durch die Welt hüpft (und gelegentlich auch als Streiche spielender Racheengel gegenüber einem bösartigen Obstverkäufer), ist sie bezüglich ihres eigenen Glück wesentlich unbeholfener: Sich ihrem Schwarm Nino (Mathieu Kassovitz) einfach direkt vorstellen? Dafür ist Amélie zu schüchtern. Stattdessen bastelt sie eine Schnitzeljagd und steckt ihm Rätsel zu, denen der ebenso Abenteuerlustige begeistert nachgeht. Doch jedes Mal, wenn die beiden schließlich aufeinandertreffen würden, macht Amélie vor Scham die Fliege. Zum Glück hat sie mit ihren vielen gutherzigen Aktionen einige Freunde gesammelt, die dem anstehenden Glück den letzten Schubser zu geben wissen.

    StudioCanal

    In „Die fabelhafte Welt der Amélie“ scheint gefühlt immer die Sonne. Es ist ein modernes Märchen, das so alltägliche Orte wie ein Café, einen Bahnhof oder ein Wohnzimmer zur lebhaften, mit Überraschungen gespickten Bühne und Teil eines komplex verflochtenen Mikrokosmos macht. Die tagträumerischen Einschübe lenken Amélie indes nie vom „echten Leben“ ab, sondern sind geradezu Stützpfeiler ihrer pfiffigen und letztendlich auch geerdeten Person: Mal kommt ihr spontan ein Einflüsterer aus dem Gully zu Hilfe - mal wird sie zum Degen-herumfuchtelnden Zorro voller Tatendrang. Mal wird schlicht ihre Gefühlswelt akzentuiert, wenn sie beispielsweise vor Scham buchstäblich dahinschmilzt. Amélies fantastische Welt ist nicht von der Wirklichkeit abgekapselt, sondern direkt von dieser inspiriert - in Harmonie mit ihr.

    Bei dem rundum kreativen Erguss gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken. Und die verspielte Kamera von Bruno Delbonnel, der zackige Schnitt von Hercé Schneid, die preisgekrönte legendäre Filmmusik von Yann Tiersen und ein perfekt schrulliger Cast runden diesen ab. „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ist nicht ohne Grund ein cineastischer Klassiker: Es ist der perfekte Schuss Lebensbejahung, den man manchmal einfach braucht - eine Erinnerung daran, dass unsere gar nicht so graue Welt manchmal eine echte Wundertüte ist.

    Die fabelhafte Welt der Amelie

    P.S.: Drachen finde ich trotzdem immer noch cool...

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