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    Gewagt, provokant und ungekürzt – ein Skandal-Klassiker des Erotikkinos feiert sein Heimkino-Comeback!
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Das Erotikdrama „Der Nachtportier“ sorgte für aufgebrachte Reaktionen, in Italien wurde es sogar verboten. Doch hinter der gewagten Provokation steckt eine faszinierende Auseinandersetzung mit den Traumata der NS-Zeit.

    Weltkino Filmverleih

    +++Meinung+++

    Egal wie abseitig sie ist – jede Nische wird bedient. Das ist längst kein Geheimnis mehr, dennoch dürften manche florierende Film-Subgenres durchaus auch für Verwunderung sorgen. Etwa das Genre des Erotikfilms mit NS-Ästhetik, wie es in der Schundkino-Hommage „Grindhouse“ parodiert wird. Doch selbst dieses Genre hat mit dem berühmt-berüchtigten „Der Nachtportier“ einen Eintrag, der sich nicht auf seiner Geschmacksverirrung ausruht, sondern auch außerhalb der Trashfilm-Fancommunity als Klassiker gefeiert wird.

    Seinem brisanten Thema zum Trotz hatte „Der Nachtportier“ in Deutschland überraschenderweise nie Probleme mit der Zensur – anders als in seinem Entstehungsland Italien, wo er zeitweise sogar verboten war. Allerdings wurde der Film hierzulande nach dem Video-Zeitalter bislang nur in kleiner Auflage veröffentlicht, weshalb es auch ohne Verbot kein Leichtes war, in guter Qualität an ihn heranzukommen. Jetzt aber gibt es das skandalöse Erotikdrama endlich als Neuauflage auf DVD und Blu-ray:

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    Bereits im Herbst 2021 erschien „Der Nachtportier“ auf Blu-ray und auf 4K-Disc, allerdings bloß in Form streng limitierter Mediabooks. Deren Preise liegen mittlerweile bei vielen Händlern bei über 70 Euro. Wer damals also nicht zugeschlagen hat, und den Film nicht zwingend in 4K benötigt, ist also mit der wesentlich günstigeren Standard-Edition bestens bedient.

    Das ist "Der Nachtportier"

    1958 in Wien: Jüdin Lucia (Charlotte Rampling) begegnet in einem Hotel einem Mann, den sie aus ihrer Erinnerung verbannen wollte. Der Nachtportier Max (Dirk Bogarde) war einige Jahre zuvor noch SS-Offizier und wählte im KZ Lucia als eines der Ziele seiner sexuellen, sadistischen Gelüste aus. Auch zahlreiche weitere Kriegsverbrecher gastieren in dem Hotel und halten geheime Treffen ab. Obwohl Lucia die Gelegenheit hätte, vor Gericht gegen Max auszusagen und ihn für seine damaligen Taten büßen zu lassen, verzichtet sie auf diese Chance. Stattdessen beginnt sie eine sadomasochistische Beziehung mit ihm...

    Provokant. Treffender kann man nicht ausdrücken, wie „Der Nachtportier“ seit seiner Erstaufführung 1974 beworben wird. Das Marketing setzt nahezu ausnahmslos auf laszive Bilder von Charlotte Rampling, einzig bekleidet in SS-Mütze, Hosenträgern, langen Handschuhen und übergroßer Hose.

    Zweifelsohne operieren die Trailer, Poster, Heimkino-Cover und, so selbstkritisch müssen wir sein, Artikel wie dieser, die einen der reißerischen Filmmomente als Titelbild wählen, unter dem Motto: „Skandalöse Aufmachung zieht!“ Der Film selbst dagegen ist keine reine Provokation aus Selbstzweck, selbst wenn seine schockierenden, im Marketing genutzten Aspekte dazu führen, dass er bei oberflächlicher Betrachtung genau diesen Anschein erweckt.

    Geschmacklosigkeit mit Hintersinn

    Regisseurin Liliana Cavani vermeidet in „Der Nachtportier“ die frivole Tonalität des sogenannten Nazisploitation-Genres. Stattdessen beginnt ihre Mixtur aus Erotikfilm, Psychodrama und dramatischer Kriegsverarbeitung in distanziertem Luxus: Das Hotel, in dem die nun als Dirigentin tätige Lucia Max wieder begegnet, hat eine verblasste, traurige Eleganz an sich. Egal, wie viel Plüsch und Prunk in den Zimmern steht, die Schauplätze sind betrüblich und geben so den Takt für den Film an.

    Wenn sich Lucia und Max wieder annähern, ist ihre schwer erklärliche Beziehung zueinander distanziert, kühl, befremdlich. Cavani zeigt sie als groteske Tragödie, bei der völlig außer Frage steht, dass dieses Zusammensein nicht gut enden kann. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die in kränklichen Farben gehaltenen Rückblenden, die aufzeigen, mit welcher Verbissenheit Menschen in traumatisierenden Umständen bemühen, einen Funken der Geborgenheit und des Glücks zu erzwingen. Dieser Funken verglimmt stets rasant und lässt eine erdrückende Leere zurück.

    Die Regisseurin ist sich also sichtbar der anstößigen Wirkung von „Der Nachtportier“ bewusst, doch statt damit zu kokettieren, wie sehr ihr Material verärgern kann, nutzt sie dies, um Erkenntnisse zu erzwingen: Ihr Erotik-Psychodrama dreht sich darum, dass Schmerz und Schandtaten nicht enden, wenn das Elend nicht mehr ausgeführt wird. Es ist ein Film über nachhaltige Verstörung – wie etwa die emotional hoch komplexe Performance von Charlotte Rampling vorführt.

    Obwohl die „Der Nachtportier“-Neuauflage eine Standard-Edition darstellt, weist sie einige Extras auf, die die Filmerfahrung ergänzen. Das ausführliche Blu-ray-Bonusmaterial vertieft nicht nur die hier ausgeführte und andere Perspektiven auf den Film, sondern fasst auch seine turbulente Rezeptionsgeschichte zusammen.

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