Es gibt gute und es gibt schlechte Filme. „Wintermärchen“, der heute, am 15. Februar 2022 um 22:55 Uhr auf 3sat seine Free-TV-Premiere feiert, ist definitiv ein guter - gehört jedoch zu den Seherfahrungen, die zwar absolut grandios, aber kaum erträglich sind. Wer sich dem verstörenden Albtraum aus Sex und Gewalt von Jan Bonny einmal gestellt hat, wird sich noch lange an diesen zurückerinnern. Schön ist das ganz und gar nicht, aber es lohnt sich.
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Darum geht es in "Wintermärchen"
Becky (Ricarda Seifried) und ihr Freund Tommi (Thomas Schubert) leben in einer viel zu kleinen und furchtbar heruntergekommenen Wohnung in Köln. Ihr Leben ist dominiert von Frustration und Langeweile. Das überträgt sich auch auf ihr Sexleben, denn von Lust und Leidenschaft ist hier keine Spur zu finden. In Wahrheit hält es das Paar kaum noch zusammen aus. Der „Traum“, als Terrorzelle Ausländer zu bekämpfen, vereint die beiden jedoch.
Sie wollen sogar so groß damit werden, dass sie landesweite Aufmerksamkeit erregen. Als der rechtsradikale Maik (Jean-Luc Bubert) zu ihnen stößt, nehmen die lange geschmiedeten Pläne schlagartig Gestalt an. Die Dynamik der Gruppe ändert sich von Grund auf und das Trio, das angeblich nach Ehre, Stolz und Loyalität strebt, ermordet willkürlich Ausländer. Mit ihren radikalen und menschenverachtenden Vorstellungen überschreiten sie alle Grenzen...
Deutsches Hasskino - unerträglich und notwendig
Mit „Wintermärchen“ geht Jan Bonny genau dorthin, wo es richtig, richtig wehtut. Sein grausam-authentisches Porträt einer Nazi-Terrorzelle, die natürlich an den NSU erinnert, ist eines der erschreckendsten Abbilder der deutschen Gegenwartsgesellschaft. Dabei geht es ihm nicht darum, die Protagonist*innen in Schubladen zu packen, vielmehr beobachtet und analysiert Bonny die gruppendynamischen Strukturen eines auf seine niedersten Triebe zurückgeworfenen Trios.
Im Fazit der offiziellen FILMSTARTS-Kritik, die „Wintermärchen“ 4 von 5 möglichen Sternen gibt, heißt es: „Jan Bonny wirft einen schmerzhaft schonungslosen Blick in eine Terrorzelle, die wahllos mordet, vögelt und sich selbst zerfleischt.“
WintermärchenTatsächlich ist genau DAS der Film. Eine endlose Aneinanderreihung von Sex, Gewalt und Leere. Jan Bonny aber geht nicht voyeuristisch zu Werke, sondern erschafft eine unausweichliche Eskalationsspirale, der es in ihrer Kompromisslosigkeit gelingt, der (in diesem Fall) nationalen Perspektiv- und Hilflosigkeit auf den erbärmlichen Zahn zu fühlen. „Wintermärchen“ ist widerwärtig, grausam und, ja, auch angsteinflößend. Purer Terror.
Verstörend ist „Wintermärchen“ nicht nur aufgrund der Unerbittlichkeit, das Geschehen in langen Einstellungen einzufangen, bis die Schmerzgrenze endgültig überschritten wurde. Jan Bonnys rast- und ratlose Innenansicht der sozialen Verwahrlosung im rechten Milieu macht auch betroffen. Letztlich scheinen sich auch die Protagonist*innen nur nach Nähe zu sehnen, auch wenn sie keine Ahnung davon haben, wie man diese wirklich ausdrückt.
Fest steht, dass „Wintermärchen“ zu den provokantesten, herausforderndsten und unbequemsten Filmen des deutschen Kinos zählt. Es ist eine durch und durch quälende, ekelerregende Angelegenheit, diese zwei Stunden über sich ergehen zu lassen. Aber es lohnt sich, weil Jan Bonny keine Erlösung, eine rettende Hand oder einfache, abschließende Antworten bietet. Die gibt es in diesem Fall nicht. Vergessen wird man diesen Film so schnell nicht.
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