Im MCU geht es immer wieder darum, sich zu toppen. Immer größer werden Bedrohungen, immer mächtiger die Heldinnen und Helden, die sich diesen in den Weg stellen – und auch immer vielfältiger und abgefahrener die Welten, die sie dafür durchschreiten müssen. Doch nun kommt „Hawkeye“ zu Disney+ – und scheint ein bewusster Schritt zurück. Und damit könnte „Hawkeye“ die richtige MCU-Serie zur richtigen Zeit sein.
Vorab müssen wir noch darauf hinweisen, dass uns nur die ersten beiden Serienfolgen gezeigt wurden, die ab dem 24. November auf Disney+ zur Verfügung stehen. Die folgenden vier Episoden kennen wir noch nicht. Dieser Text ist daher keine vollständige Serienkritik, sondern nur ein erster Eindruck zu diesen beiden Folgen. Es kann natürlich sein, dass sich die Serie noch in eine ganz andere Richtung entwickelt – doch der Auftakt begeistert vor allem als kleine, temporeiche, humorvolle, aber trotzdem in den richtigen Momenten ernste Erzählung.
Einstieg mit "The Avengers"
Dabei geht es ganz anders los – mit dem lange Zeit größten Moment im MCU: der Schlacht von New York in „The Avengers“. Dort beobachtet die kleine Kate Bishop den Bogenschützen Clint Barton alias Hawkeye (Jeremy Renner) beim Kampf gegen Aliens – und will so werden wie er. Jahre später hat Kate (nun: Hailee Steinfeld) zwar Bogenschießen und Kämpfen gelernt, kann das aber nur für dumme Streiche mit ihren Freundinnen anwenden … bis der jungen New Yorkerin aus reichem Haus das Verhalten des zwielichtigen Jack (Tony Dalton), dem neuen Verlobten ihrer Mutter (Vera Farmiga), verdächtig vorkommt.
Sie verfolgt ihn zu einer illegalen Geheimauktion, wo Superhelden-Memorabilia versteigert werden. Als dort ein Überfall von Verbrechern beginnt, schnappt sich Kate einen der zur Auktion stehenden Anzüge, um ihre theoretischen Kenntnisse in die Praxis umsetzen. Doch weil es sich um das Ronin-Outfit handelt, denken die Verbrecher, dass der einstige Mörder der Unterwelt zurück ist – und machen Jagd auf Kate.
» "Hawkeye" auf Disney+*
Dies ruft Clint Barton auf den Plan. Der will eigentlich nur ein paar Tage mit seinen Kindern vor Weihnachten in New York verbringen. Doch als er den Nachrichtenreport sieht, der zeigt, wie sich jemand in seinem alten Ronin-Anzug mit Verbrechern prügelt, macht er die Trägerin Kate Bishop und einen ihr plötzlich folgenden Hund ausfindig. Eigentlich will Clint nur schnell das Missverständnis aufklären und die junge Frau aus der Schusslinie nehmen. Doch Kate denkt gar nicht daran, sich wieder in die zweite Reihe versetzen zu lassen...
Die Mysterien müssen warten
Die ersten beiden Episoden von „Hawkeye“ dienen vor allem dazu, die Figuren einzuführen. Die größere Erzählung wird nur angedeutet – über eine mysteriöse Uhr, hinter der alle her sind, den zwielichtigen dubiosen Jack oder eine Gruppe russischstämmiger Mafiosi in Trainingsanzügen. Doch die Erzählung der beiden Hauptfiguren wirkt nie wie eine reine Etablierung, sondern ist selbst schon eine ungemein kurzweilig-geradlinige und spaßige Angelegenheit.
Denn es gibt in den ersten zwei Folgen keinen Durchhänger. Es gibt immer wieder eine neue Idee. Da sitzt Clint sichtlich genervt in einem Musical über die Abenteuer der Avengers und muss beim Toilettenbesuch noch den Spruch lesen, dass Thanos im Recht gewesen sei. Und in der zweiten Folge hat er eine absurde Actionszene, als er an einem Ort kämpfen muss, an dem er absolut nicht sein will – und das auch deutlich zeigt.
Die Kampfszenen wurden von Heidi Moneymaker choreographiert. Seit Jahren gehört sie zu den besten Stuntfrauen im Geschäft, war das Double für Scarlett Johansson als Black Widow und schuf mit ihrem Ex-Mann Chad Stahelski einige der herausragenden Actionszenen in der „John Wick“-Reihe. Die Action in „Hawkeye“ zeugt von ihrer Erfahrung.
Passend zu den beiden Figuren ist die Action sehr bodenständig und kommt in den beiden Auftaktfolgen ohne große Special Effects daher. Hier werden Schläge ausgeteilt und eingesteckt. Und dazwischen gibt es immer wieder auflockernde Momente. Da hält sich die unerfahrene Kate an einer Stange fest, um einen Gegner besonders cool auszuschalten. Doch weil die Halterung dafür nicht gemacht ist, kracht sie zu Boden, nutzt aber diesen Unfall aber direkt für einen neuen Move.
Humor ist die Grundlage, Drama die Würze
Dass mit dem langjährigen „Saturday Night Live“-Macher Rhys Thomas ein Comedy-Experte als Ausführender Produzent die Serie verantwortet und die ersten beiden Episoden sowie das Finale inszenierte, ist zu merken. In „Hawkeye“ dominieren die amüsanten Momente – ob es Kates Tollpatschigkeit und Unerfahrenheit in den Kämpfen ist oder die absurden Situationen, in welche Clint geschickt wird. Auch beim Konflikt zwischen den beiden Hauptfiguren dominiert zu Beginn der Witz. Denn Clint ist sichtlich angenervt von Kate, die wiederum ihrem Idol begegnet. Er will sie nur loswerden, sie will alles lernen. Das sorgt für amüsante Kabbeleien im Stil klassischer „Odd Couple“-Szenarios.
Darum erinnert die neue MCU-Serie "Hawkeye" an "Stirb langsam" und so entstand das erste Marvel-MusicalDoch schon früh deutet sich an, dass „Hawkeye“ auch ernstere Themen in Angriff nimmt. Nachdem wir bislang eigentlich nur in „Avengers: Age Of Ultron“ und „Avengers: Endgame“ ein wenig Einblick in Clints Innenleben bekommen haben, erfahren wir nun deutlich stärker, was ihn das Heldendasein gekostet hat. Hier bleibt abzuwarten, wie dies in den weiteren Folgen ausgebaut wird.
Das gilt natürlich auch für die gesamte Story, die nach zwei Folgen wie gesagt nur zu erahnen ist. Ob sie dann zu fesseln weiß, können wir noch nicht sagen. Der Auftakt ist aber vielversprechend – gerade auch weil alles eine Nummer kleiner ist, hier mal Menschen menschliche Probleme lösen und sich nur auf der Straße, im Park und im Keller mit anderen Menschen prügeln. Der erste Eindruck verspricht so kurzweiligen Spaß, der mit seinem Weihnachtssetting und Anspielungen auf Klassiker wie „Stirb langsam“ und „Kevin - Allein zu Haus“ perfekt in die Vorweihnachtszeit passt.