+++ Meinung +++
Fast alle Filme des Marvel Cinematic Universe (MCU) haben bislang davon profitiert, dass sie in den Kontext einer größeren Erzählung eingebettet waren. Die Portal-Szene am Ende von „Avengers: Endgame“ wäre etwa kein derartiger Gänsehautmoment, wenn davor nicht 21 andere MCU-Filme erschienen wären, die alle mal mehr, mal weniger stark auf dieses Finale zusteuerten. Doch bei „Eternals“ erweist sich das große MCU in zahlreichen Momenten als Ballast.
Mit dem nun insgesamt 26. Film der Reihe stößt die über viele Jahre etablierte und bewährte MCU-Formel nämlich an ihre Grenzen. Die frisch mit zwei Oscars (Bester Film und Beste Regie für „Nomadland“) ausgezeichnete Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Chloé Zhao erzählt hier zwar eine berührende, packende und hervorragend inszenierte Superhelden-Geschichte über Liebe, Verrat und Menschlichkeit. Doch wann immer „Eternals“ auch ein MCU-Film sein soll, bremst das die Handlung unnötig aus und droht sie stellenweise sogar ganz entgleisen zu lassen.
Ohne dieses ganze Drumherum wäre „Eternals“ womöglich der rundere Film geworden. Selten hat es sich dermaßen erzwungen und falsch angefühlt, wenn die Helden und Heldinnen auch in ärgster Not oder größter Trauer noch Witze reißen, oder nebenbei schon mit Anspielungen und Easter Eggs der nächste MCU-Film vorbereitet wird.
Das Problem mit "Eternals"
Die an mehreren Stellen eingestreuten Hinweise auf die Zukunft sind dabei noch das geringere Problem, auch wenn Zhao in „Eternals“ eine vom restlichen MCU (noch?) sehr losgelöste Geschichte erzählt, die genauso gut für sich stehen könnte. Die den Menschen zugewandte Eternal Sersi (Gemma Chan) etwa führt eine Beziehung mit Dane Whitman (Kit Harington). Wer die Marvel-Comics kennt (oder die Berichterstattung bei FILMSTARTS verfolgt), weiß, dass Whitman eigentlich ein Superheld mit dem Namen Black Knight ist.
Und so gibt es in „Eternals“ natürlich eine ganze Reihe mal mehr, mal weniger geschickt eingebauter Verweise auf Haringtons Marvel-Zukunft. In anderen MCU-Filmen würde es womöglich nicht weiter stören, wenn etwas ungelenk ein Hinweis auf einen Onkel und ein Ring mit dem Wappen der Familie Whitman in die Handlung eingebaut werden, hier lenkt es immer wieder von der die Jahrtausende umspannenden Geschichte und den zentralen Figuren ab, die das Herz von „Eternals“ bilden.
Noch irritierender fallen die vielfältigen Versuche aus, „Eternals“ den typischen MCU-Humor zu injizieren. Ein eher müder Running Gag im Film dreht sich so etwa um die süchtig machende Wirkung von Smartphones und sozialen Medien, der sich auch einige Eternals nicht entziehen können. Das ist weder besonders einfallsreich noch besonders witzig.
Und dass der Bollywood-Star-Eternal Kingo (Kumail Nanjiani) fast den ganzen Film über von seinem persönlichen Kammerdiener und Kameramann begleitet wird, ist ein sehr offensichtlich während der Arbeit an den Drehbuchfassungen entstandener Versuch, den Film lustiger zu machen – der aber krachend scheitert. Die Figur Karun (Harish Patel) trägt nichts zu „Eternals“ bei, bremst die Handlung dafür aber immer wieder aus.
Ein typischer Chloé Zhao
Wenn sich Zhao hingegen von den formalen Zwängen eines MCU-Blockbusters frei machen kann, ist „Eternals“ ein wirklich starker Superheldenfilm – im Kleinen wie im Großen. Bereits im Vorfeld haben etwa MCU-Mastermind Kevin Feige oder Ayak-Darstellerin Salma Hayek betont, dass Chloé Zhao bei „Eternals“ ihre im Arthouse-Fach erprobte Arbeitsweise übernehmen durfte und viel mit einer relativ kleinen Crew an echten Drehorten und bei natürlichem Licht gedreht habe (anstatt vor Greenscreen im Studio). Und das merkt man „Eternals“ auch an:
Als sich die Eternals am Anfang des Films erstmals auf der Erde mit den Deviants messen, geschieht das vor der beeindruckenden Kulisse einer Küste mit steil aufragenden Klippen und schäumenden Wellen, die vom Licht der aufgehenden Sonne beschienen werden. Wenn sich hier nicht gottgleiche Superhelden und -heldinnen mit den monströsen Deviants prügeln würden, könnten diese Bilder auch aus Zhaos vorherigen Filmen „Nomadland“ oder „The Rider“ stammen.
Und als es nach einem späteren Kampf zu einem überraschenden Tod kommt, sind Zhao und ihr MCU-erfahrener Kameramann Ben Davis (u.a. „Captain Marvel“) mit ihrer Handkamera ganz nah am Geschehen und fangen die Emotionen in den Gesichtern der Darstellerin*innen in Großaufnahmen ein. Und es genügen nur wenige Minuten Leinwandzeit und eine Handvoll kleiner, zärtlicher Momente, dass man mit dem Tüftler-Eternal Phastos (Brian Tyree Henry) fühlt, der seinen Ehemann und den gemeinsamen Sohn zurücklassen muss, um mit den anderen die Welt zu retten.
Zehn Eternals plus eine Handvoll Nebenfiguren in einem einzigen Film zu etablieren und auszuarbeiten, ist eine Mammutaufgabe, der sich Zhao, ihr Cast und ihre Co-Drehbuchautoren über weite Strecken aber mehr als gewachsen zeigen. Selten hat man bei einem Superheldenfilm so sehr die Trauer und den Schmerz der Figuren gespürt.
Ein starker Superheldenfilm
Dass Zhao sich auf solche emotionalen, menschlichen Momente versteht, sollte angesichts ihrer bisherigen Filmographie niemanden überraschen. Doch sie stellt in „Eternals“ auch ihr Händchen für Actionszenen unter Beweis, die teilweise erstaunlich rabiat geworden sind, wenn Köpfe explodieren und Körper durchbohrt werden. Besonders Eternal Ikaris (Richard Madden), der mit seinen Fähigkeiten an Superman erinnert, erweist sich hier als großer Trumpf: Zhao lässt das Publikum immer wieder mit ihm durch die Luft fliegen, während er Deviants durch die Gegend prügelt und mit seinen Laseraugen in Stücke schneidet. Das erinnert fast schon an „Man Of Steel“, nur ohne die Häuserschluchten von Metropolis.
Gleichzeitig bereichern Zhao und ihr Team das Genre des Superheldenfilms auch hinsichtlich der Dramaturgie – und hier schließt sich der Kreis zum MCU: „Black Widow“ lebte vom tollen Cast und dem trockenen Humor, spulte abgesehen davon aber eine relativ routinierte Story ab. Und im direkten Vorgänger „Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“ war irgendwann klar, wohin die Reise geht, weswegen das Finale dann zu einer einer gigantischen, aber wenig begeisternden CGI-Orgie verkam.
In „Eternals“ macht sich Zhao hingegen frei von solchen erwartbaren Abläufen. Sie unterläuft immer wieder geschickt die Erwartungen, die Handlung schlägt mehrere Wendungen und am Schluss gibt es – so viel sei verraten – weder eine gewaltige Schlacht (wie in „Shang-Chi“) noch stürzt irgendwas vom Himmel (wie in „Black Widow“). Viel frischer Wind im MCU also eigentlich – noch erfrischender wäre es nur ohne den aufgesetzten Humor und die erzwungen Easter Eggs gewesen.
„Eternals“ startet am 3. November 2021 in den deutschen Kinos.