Anmerkung: Weil „Alias“ ursprünglich schon am 16. April bei Disney+ erscheinen sollte, ist dieser Artikel erstmals bereits vor zwei Wochen erschienen. Da die Serie jetzt tatsächlich da ist, veröffentlichen wir ihn nun erneut.
+++ Meinung +++
Es war eine völlig andere Serienära: Horizontal erzählte Formate, also solche mit einer fortlaufenden Handlung über eine ganze Staffel oder gar die komplette Serie hinweg, waren noch Ausnahmeerscheinungen und mussten sich häufig den Vorwurf gefallen lassen, das Publikum zu überfordern. Und die viel besungene „Mystery Box“, mit der notorische Geheimniskrämer wie J.J. Abrams allerlei Mysterien in ihren Produktionen aufbauten und so wildeste Spekulationen entfachten, war unverbraucht.
Was ab 2004 „Lost“ zum globalen TV-Phänomen machen sollte, ließ ab 2001 eine andere Produktion des späteren „Star Trek“- und „Star Wars“-Regisseurs J.J. Abrams noch irgendwo zwischen Quotenbringer und Geheimtipp pendeln: „Alias - Die Agentin“. Die actionreiche, mit Mysterien vollgepackte Agentenserie wird diesen Herbst 20 Jahre alt – und passend zum Jubiläumsjahr landet sie nun in der Star-Sektion auf Disney+.
Alle fünf Staffeln von „Alias“ können ab dem heutigen 30. April 2021 bei Disney+ gestreamt werden.
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Und ich kann euch die unglaublich abwechslungsreiche und hochspannende Serien-Wundertüte trotz einiger Höhen und Tiefen definitiv auch heute noch ans Herz legen.
Darum geht's in "Alias"
Sydney Bristow (Jennifer Garner) führt ein Doppelleben, das sich bald massiv verkomplizieren soll: In den Augen ihrer Freunde ist sie eine gute, aber im Einhalten von Abgabefristen schluderige Studentin, die nebenher als Bankangestellte tätig ist. Doch der Job bei der Bank ist nur eine Fassade: In Wahrheit ist sie Agentin für SD-6, einen Geheimdienst, den sie für einen Teil der CIA hält.
Was Sydney nicht weiß: Ihr Chef Arvin Sloane (Ron Rifkin) führt alle ihm Unterstellten an der Nase herum. Er ist ein gewissenloser Schurke, der seine Belegschaft unwissentlich terroristische Handlungen ausführen lässt, und sie außerdem benutzt, um an die potentiell gefährlichen Artefakte des Propheten und Erfinders Milo Rambaldi zu gelangen. Als Sydney nach einem brutalen Ereignis Sloanes wahre Gesinnung erfährt, beschließt sie, bei der echten CIA anzuheuern, um als Doppelagentin SD-6 zu unterwandern…
Viele bekannte Namen
Neben Jennifer Garner, die später u.a. in Jason Reitmans „Juno“, der Feel-Good-Komödie „30 über Nacht“ und der Jugendromanze „Love, Simon“ mitspielen sollte, gibt es in „Alias“ noch viele weitere Stars zu sehen. So spielt Bradley Cooper (vor seinem „Hangover“-Ruhm) Sydneys besten Freund Will, einen neugierigen Journalisten, der sich unwissentlich in große Gefahr bringt, weil er dem Rätsel nachgeht, wer sich hinter SD-6 verbirgt. Victor Garber, den DC-Fans mittlerweile als wichtigen Bestandteil des Arrowverse kennen, gibt wiederum eine großartige Darbietung als Sydneys liebender, jedoch auch beunruhigend-geheimnisvoller Vater.
Noch mysteriöser ist „Alias“-Fanliebling Lena Olin („Die neun Pforten“) als Sydneys totgeglaubte Mutter, die in Staffel 2 wirklich jede Szene an sich reißt. Und die Liste an Gaststars ist einfach schwindelerregend gut: Unter anderem schauen die Regielegenden Quentin Tarantino und David Cronenberg vorbei, ein Pre-„How I Met Your Mother“ Jason Segel, „Lost“-Star Terry O'Quinn, „Mile 22“-Macher Peter Berg, „Saw“-Superschurke Tobin Bell, „Kill Bill“-Antagonist David Carradine, Robert-Rodriguez-Dauerkollaborateur Danny Trejo, Isabella Rossellini, Ethan Hawke, Faye Dunaway sowie der frühere James Bond Roger Moore.
Eine Serie, die sich immer wieder neu erfinden musste
In den USA durchlief „Alias“ eine wacklige Erfolgsgeschichte: Durchaus vielversprechend gestartet und mit euphorischem Presseecho gesegnet, brachte es die Serie in ihrer Debütstaffel dennoch nur auf Rang 60 der meistgesehenen Sendungen des Fernsehjahres. Da der ausstrahlende Sender ABC jedoch zu diesem Zeitpunkt ein Quotentief durchmachte, war die Serie paradoxerweise Flop (im Gesamtvergleich) und Hit (für ABC) zugleich.
Der Sender orderte somit eine zweite Staffel mit inhaltlichen Umstrukturierungen, in der Hoffnung, das Format so endlich einem größeren Publikum schmackhaft machen zu können. So ging es in späteren Seasons wiederholt weiter – und auch wenn diese Sender-Einflussnahme gelegentlich die Serienverantwortlichen frustrierte, erwies sie sich zugleich als Segen: Durch die mit viel Schneid umgesetzten, radikalen Richtungswechsel blieb „Alias“ unvorhersehbar und ständig frisch.
Staffel 4 ließ im Frühjahr 2005 sogar streckenweise die horizontale Erzählweise sausen, um stattdessen Folge für Folge völlig andersartige Fälle zu erzählen. Ironischerweise lief „Alias“ damals im Anschluss an das komplex erzählte „Lost“ und fuhr von diesem Programmvorlauf befeuert Rekordzahlen ein.
Die fünfte Staffel erwies sich hingegen, unter anderem aufgrund schlechter Sendeplätze und damit einhergehender Quotenabstürze, als der unerwartete Schwanengesang von „Alias“. Und das, obwohl die Staffel noch mit dem Gedanken begonnen wurde, ein neues Team einzuführen, das dem Format ein frisches Figureninventar für die längere Serienzukunft verschafft. Wenigstens gab ABC den Serienverantwortlichen während einer längeren Drehpause Zeit, ein alle wichtigen Handlungsstränge abrundendes Ende zu planen.
Lange Wartezeiten in Deutschland
In Deutschland hatte „Alias“ einen (noch) schwierigeren Stand als in den USA: Die erste Staffel bekam von ProSieben im Frühjahr 2003 zwar einen prominenten Sendeplatz am Dienstagabend zur besten Sendezeit spendiert, jedoch ging mit der Ausstrahlung um 20.15 Uhr auch einher, dass einzelne Episoden geschnitten werden mussten. Denn die härteren „Alias“-Folgen verdienten sich mit ihren Folter- und Kampfsequenzen eine Altersfreigabe ab 16 Jahren, sodass sie im Free-TV in voller Länge erst ab 22.00 Uhr gezeigt werden dürften.
Das sollte aber das geringste Problem des Jennifer-Garner-Vehikels bleiben: Die Einschaltquoten ließen sukzessive nach, sodass Staffel 2 vom 14. April 2004 an auf einem späteren Sendeplatz gezeigt wurde. Dort konnte sich „Alias“ keine ausreichend große, treue Fanbase aufbauen, weshalb ProSieben im Laufe der Season auf Doppelfolgen umschwenkte, damit man das Quotenelend schneller hinter sich bringt. Zudem rückte „Alias“ immer tiefer in die Fernsehnacht.
Neu bei Disney+ im April 2021: Nachschub zu "The Falcon And The Winter Soldier" und noch viel mehr Serien/FilmeDanach mussten „Alias“-Fans in Deutschland lange bangen: Aufgrund der schwachen Quoten von Runde 2 verlor die Serie für ProSieben an Priorität, zugleich sah es monatelang so aus, als würde somit auch die DVD-Veröffentlichung gestoppt. Letztlich erschienen Staffel 3 und 4 hierzulande aber fürs Heimkino, noch bevor ProSieben die TV-Ausstrahlung am 11. Juni 2007 am Programmrand fortsetzte.
Die DVD-Sets waren wohl vergleichsweise erfolgreich (Staffel 5 erschien schließlich noch während der hiesigen TV-Auswertung der vierten Season), trotzdem lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man mutmaßt, dass „Alias“ in Deutschland nur eine kleine Fangemeinde hat. In den DVD-Charts war die Serie nicht allzu dominant, und die Quoten waren spätestens ab Staffel 3 alles andere als erfreulich. Aber das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass es noch viele Serienfans gibt, die „Alias“ ab sofort neu entdecken können.
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Stunts, Kostüme, Mystery!
Das stärkste Argument dafür, „Alias“ erstmals oder wieder zu sehen, ist Jennifer Garner in der Hauptrolle: Sie spielt Sydney als Frau mit großem Herz und immensem Durchsetzungsvermögen, die andauernd in Windeseile Täuschungen, Doppeltäuschungen und Dreifachtäuschungen durchdenken muss. Als Undercover-Agentin Sydney muss sie teils Rollen-in-ihrer-Rolle spielen und schwere Gewissenskonflikte durchleben, ohne es ihrem Umfeld gegenüber zu deutlich zu machen. Darüber hinaus bringt Sydneys Agentinnendasein immer neue Gelegenheiten, markante Kostüme und ausgefallene Hairstylings zur Schau zu stellen – ein Aspekt, der der Serie völlig verdient einige Auszeichnungen einbrachte.
Doch auch Ron Rifkin als Superschurke Sloane ist eine wahre Wucht – man weiß nie, ob er einem einen Schritt oder zehn Schritte voraus oder ob er schlicht ein Meister der Improvisation ist. Aber auf jeden Fall ist Rifkins Sloane ein Schurke, den man zu hassen liebt. Seine Rambaldi-Obsession, die während der Erstausstrahlung noch das Publikum spaltete, dürfte im heutigen Serienzeitalter (und noch dazu im Streaming) zudem auf mehr Begeisterung stoßen als damals.
Das zunehmend komplexe Mysterium um Rambaldis Pläne und Prophezeiungen sowie seine verschachtelten Artefakte, zeigt Abrams und Co. bei einer Art Fingerübung für „Lost“. Und selbst wenn manche Details aus frühen Episoden später zwecks immer neuer Twists neu ausgelegt werden: Die Rambaldi-Mystik wird in „Alias“ konsequent sowie zufriedenstellend durchgezogen, was ja leider nicht Serienalltag ist.
Fesselndes "Familiendrama"
Und noch etwas hat „Alias“ mit „Lost“ gemeinsam: Die Musikuntermalung stammt vom späteren Oscarpreisträger Michael Giacchino („Oben“, „Ratatouille“), der dank der Serie – genau wie Abrams – einen Karriereturbo zünden konnte.
Seine „Alias“-Stücke sind zwar nicht ganz so einprägsam wie die Leitthemen aus „Lost“, trotzdem begleiten sie die Serie durchweg effektiv – egal ob in den mit gelungenen Stunts gespickten Actionszenen oder in den vielen dramatischen Momenten rund um Sydneys Privatleben, das nach und nach von ihrer Arbeit eingenommen wird. Der größte Ohrwurm ist aber die Vorspannmusik – komponiert von J.J. Abrams selbst, in der Titelsequenz untermalt mit bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Homevideos seiner Familie.
Das kommt nicht von ungefähr: Denn hinter all den spektakulären Twists, spannenden Kämpfen und außergewöhnlichen Mysterien verbirgt sich ein fesselndes Drama über eine Agentin, die unentwegt dafür kämpft, endlich verlässliche Familienverhältnisse zu haben. Der komplexe Bristow-Stammbaum mit stetig verworrener werdenden Sympathie- und Antipathie-Dynamiken sowie Sydneys Erstellen, Riskieren und Verteidigen einer Arbeitsfamilie sind die emotionale Grundlage dieser Serie.
Und diese Grundlage ist auf Skriptebene sowie schauspielerisch so gelungen, dass „Alias“ einfach süchtig macht. Daher ist sie perfekt für's Streaming: „Noch 'ne Folge!“ lässt sich auf Disney+ deutlich leichter denken (und umsetzen) als im Free-TV. Oder auf DVD, als man nach dem Durchschauen einer Staffelbox zunächst in Ungewissheit lebte, ob die nächste überhaupt erscheinen wird...
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