+++ Meinung +++
Ob „Dogville“ oder „Der König der Löwen“, „mother!“ oder „Little Miss Sunshine“, „Tree Of Life“ oder „Warrior“ – die Filme, die es schaffen, mich mit ihren Geschichten, Figuren und besonderen Momenten emotional aufzuwühlen, lassen sich nur schwer in eine Schublade stecken. Sie sind nämlich nicht nur rar gesät, sondern vor allem auch sehr unterschiedlich.
Das zeigt auch eines meiner Jahres-Highlights 2020: Während mich als ehemaliger Sozialpädagoge im Vorjahr nämlich vor allem „Systemsprenger“ mit seiner unbändigen Energie umgehauen hat, war es in diesem Jahr ein leiser, fast schon unscheinbarer Film, der mir langsam unter die Haut kroch – und der mit seinen ruhigen Tönen einen ins Mark gehenden Knalleffekt erzeugt hat, der selbst Monate nach meinem Kinobesuch im vergangenen Februar nachhallt.
Der härteste Film 2019: Wie mir "Systemsprenger" den Boden unter den Füßen wegriss„The Assistant“ war mein persönliches Highlight auf der diesjährigen Berlinale, an dem ich bis heute zu kauen habe – und dem ich zum heutigen Heimkinostart deswegen noch einmal ganz besonders Aufmerksamkeit schenken will.
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Ein stiller Aufschrei
„The Assistant“ ist eine klassische A-day-in-the-life-Geschichte um die junge College-Absolventin und aufstrebende Filmproduzentin Jane (Julia Garner, „Ozark“), die ihren Traumjob als Junior-Assistentin eines mächtigen Entertainment-Moguls bekommt – und dabei nach und nach erkennen muss, wo sie hier überhaupt hineingeraten ist.
Basierend auf den Missbrauchsfällen rund um Hollywood-Magnat Harvey Weinstein, zeigt Kitty Green in ihrem Film, wie tief Machtmissbrauch, Diskriminierung und Erniedrigung im Arbeitsalltag der Betroffenen verankert sind – und zwar mit derselben Beiläufigkeit, mit der die meist jungen Frauen in der Industrie ausgebeutet und missbraucht werden.
The AssistantNatürlich hätte Green die physischen Grenzüberschreitungen ungeniert und explizit zeigen können, bis ihr Publikum schließlich die Hände vors Gesicht hält, weil es irgendwann schlicht zu viel, zu unangenehm wird. Stattdessen verzichtet die Regisseurin komplett auf derart plakative Mittel – und lädt nicht etwa zum Wegschauen, sondern im Gegenteil, zum ganz genauen Hinschauen ein.
Denn auf den ersten Blick sind die meisten Kollegen von Jane gar nicht mal so übel. Hier und da vielleicht mal ein Scherz auf ihre Kosten, ab und an eine Gefälligkeit, die eingefordert wird – aber hey, sie ist ja auch die Neue, oder nicht?
Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ zeigte bereits, dass die Bedrohung in Filmen dann besonders groß ist, wenn einem das Böse nicht ständig aufs Auge gedrückt wird. Viel schlimmer ist, seine Präsenz zu spüren, aber eben nicht genau zu wissen, wann und wie es einen erwischt. Nach demselben Prinzip funktioniert auch „The Assistant“ – nur dass es Jane gleich mit mehreren Haien auf einmal zu tun kriegt.
Bin ich auch so?
Wer keinen Bock auf eine ruhige, subtile Charakterstudie hat, keinen Bock darauf, zwischen den Zeilen zu lesen, könnte fast den Eindruck bekommen, in „The Assistant“ würde eigentlich gar nichts passieren. Und ganz falsch würde man damit ja nicht einmal liegen – immerhin bekommen wir auch nur einen „ganz normalen Arbeitstag“ einer jungen Frau mit Bürojob zu sehen. Spannend wird das aber eben erst mit der erschreckenden Feststellung, was „normal“ mittlerweile bedeutet. Und zwar nicht nur im Film, sondern wohl auch in vielen, vielen Büros dieser Welt.
„'The Assistant' lässt einem das Blut in den Adern gefrieren - und bringt es gleichzeitig zum Kochen“, so mein Fazit in der offiziellen FILMSTARTS-Kritik. Der Grund, warum ich den Film (neben „Systemsprenger“ und einigen anderen) besonders ins Herz geschlossen hab, ist aber schlicht die Tatsache, dass er mich dazu brachte, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen.
Als Spaßvogel bin ich nämlich durchaus für meine Witzeleien bekannt, die auch mal unter die Gürtellinie gehen. Und die meisten lachen ja auch drüber. Aber wie sieht's mit denen aus, die meine Sprüche nicht so lustig finden, sich vielleicht sogar angegriffen, beleidigt oder erniedrigt fühlen? Darüber macht man sich irgendwann einfach keine Gedanken mehr. Sollte man aber vielleicht.
„The Assistant“ lässt einen nachdenken, zweifeln und reflektieren – und in weiterer Folge vielleicht sogar an sich selbst arbeiten. Für einen besseren Büroalltag, irgendwann, wenn der ganze Corona-Quatsch vorbei ist…
Ein Wendepunkt für das deutsche Kino: Erster Trailer zum Berlinale-Geheimtipp "Futur Drei"*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.