Videospiele haben in den vergangenen Jahrzehnten eine erstaunliche Evolution durchlaufen, die wohl noch lange nicht an ihrem Ende angekommen ist. Bei seiner rasanten Entwicklung hat das vergleichsweise junge Medium vor allem zum Film ein spannendes Verhältnis aufgebaut.
Ästhetik, Bildsprache, Soundkulisse, Inhalte: Mit dem technischen Fortschritt und immer ausgefeilteren Darstellungsmöglichkeiten adaptierten Spiele zunehmend versierter viele Elemente des Films. Und damit nicht genug: Auch in Sachen Personal gab es bald Überschneidungen. Mehr und mehr Schauspieler wagten den Sprung von einem Medium ins andere.
Eines der jüngeren Beispiele dafür ist zweifellos das außergewöhnliche Action-Adventure „Death Stranding“, dessen von „The Walking Dead“-Star Norman Reedus angeführte Besetzung auch jeden Film veredeln würde. Das neueste Spiel des gefeierten „Metal Gear Solid“-Erfinders Hideo Kojima war 2019 bereits DER PlayStation-Blockbuster. Nun erscheint es auch für den PC – was wir einmal zum Anlass nehmen wollen, euch einen kleinen historischen Abriss über die Digitalisierung von Hollywood-Stars und ihres Schauspieltalents zu geben...
Vorläufer: Reale Darsteller in digitaler Umgebung
Das Bestreben, echte Darsteller in Videospielen einzusetzen, erreichte schon in den 90er Jahren einen ersten Höhepunkt – aufgrund der damals noch starken technischen Einschränkungen jedoch in sehr eigenwilliger Form. So wurden bei allerlei Titeln real gefilmte Darsteller einfach in virtuelle Umgebungen gepackt, entweder für bloße Zwischensequenzen abseits der eigentlichen Spielabschnitte oder tatsächlich für den Verlauf des Spiels, das dann allerdings nur recht rudimentäre Spielmechaniken aufwies (so etwa die Rätselspiele der Firma Sierra wie „Phantasmagoria“).
Während hierbei oftmals auf Laiendarsteller zurückgegriffen wurde, gaben sich vereinzelt auch schon profilierte Hollywood-Schauspieler die Ehre. Man denke nur an die Star-Besetzung der „Wing Commander“-Zwischensequenzen (u.a. Mark Hamill und Malcolm McDowell) oder an das Adventure „Ripper“ von 1996, in dem Christopher Walken und Paul Giamatti auftraten.
Wenn sich das Ganze nicht ohnehin auf Zwischensequenzen beschränkte, handelte es sich hierbei allerdings eher um interaktive Filme als um wirkliche Spiele. Der Grundstein für eine Entwicklung, die über zwei Jahrzehnte später mit „Death Stranding“ ihren vorläufigen Höhepunkt finden sollte, war aber definitiv gelegt.
Pionierarbeit: Bruce Willis wird zur Videospielfigur
Kunden – ganz wie im Kino – mit großen Schauspielernamen anzulocken, wurde bald auch für Spieleentwickler immer attraktiver. Dafür musste aber auch das Ergebnis stimmen. Statt arg simplifizierte Software mit in Fleisch und Blut abgefilmten Darstellern, sollten nun digitale Abbilder von Schauspielern erstellt und nahtlos in eine komplexe Spielwelt eingebaut, sie also selbst erkennbar zur frei steuerbaren Spielfigur gemacht werden.
Einer der ersten Vertreter für dieses Vorhaben kam 1998 mit dem Third-Person-Shooter „Apocalypse“, in dem niemand Geringeres als Bruce Willis die Hauptrolle übernahm (womit auch groß geworben wurde). Der direkt in die Entwicklung involvierte Willis lieh dabei der Hauptfigur nicht nur seine Stimme und sein Antlitz, sondern lieferte mittels Motion Capture auch die Grundlage für ihre Bewegungen.
Auch wenn Willis’ markiger Charme dabei durchaus durchblitzte, musste man aufgrund der grafischen Limitierungen zu jener Zeit aber ein paar Augen zudrücken, um die Action-Ikone auch wirklich im Spiel erkennen zu können, eine tatsächliche Überführung schauspielerischer Leistung fand so noch nicht statt.
Erweiterung von Filmerlebnissen
Virtuell nachempfunden werden Schauspieler natürlich auch für begleitende Videospiele zu großen Film-Releases. Zwar näherte man sich durch die grafischen Schritte über die Jahre den Vorbildern stärker an, jedoch entstanden entsprechende Titel oftmals auch ganz ohne Beteiligung der Original-Darsteller. So bekam man nur bedingt deren Performance und Eigenheiten, sondern lediglich bloße digitale Kopien bestehender Filmversionen geboten.
Einen Sonderfall bilden aber immerhin solche Spiele, die über eine simple Film-Nacherzählung hinausgehen und in enger Zusammenarbeit mit den Kreativen hinter der jeweiligen Vorlage entwickelt wurden. Die „Chronicles Of Riddick“-Spiele „Escape From Butcher Bay“ und „Assault On Dark Athena“ von 2004 und 2009 etwa erzählen die Vorgeschichte zur gleichnamigen Sci-Fi-Reihe. Hier wie da mimt Vin Diesel den Protagonisten.
In dem von den „Matrix“-Machern selbst geschriebenen „Enter The Matrix“ von 2003 wird eine parallel zum Film-Sequel „Matrix Reloaded“ spielende Nebenhandlung präsentiert, für die u.a. die aus dem Film bekannte Jada Pinkett Smith ihrem virtuellen Pendant mit Motion Capture und ihrer Stimme Leben einhauchte. Und mit „Ghostbusters: The Video Game“ haben Fans der kultigen Geisterjäger 2009 endlich eine Fortsetzung der beiden Kinofilme mit der Original-Besetzung in ihren altbekannten Rollen bekommen – während es auf der großen Leinwand nie dazu kam.
Doch Titel wie „Death Stranding“ gehen hier noch einen großen Schritt weiter: Statt bloß an bestehende Marken und bereits bekannte Rollen anzuknüpfen, erleben wir berühmte Darsteller und ihr tatsächliches Schauspiel in einer gänzlich neuen Umgebung und einer unverbrauchten Original-Geschichte.
Digitale Emotionen
Mit der Zeit hat Hollywood die Strahlkraft von Videospielen mehr und mehr für sich entdeckt. Während bis heute zahlreiche Stars Videospielfiguren zwar nicht ihr Aussehen, aber zumindest ihre Stimmen leihen, halfen die großen Technik-Sprünge im Gaming-Bereich auch dabei, nicht nur das Antlitz von Schauspielern, sondern auch ihre tatsächliche Darbietung immer verlustfreier in die Spielwelt zu übertragen.
Gestik und Mimik von Videospielfiguren wurden so immer nuancierter – und seit Spielen wie „L.A. Noire“ von 2011 sogar zu einem ganz wesentlichen Spielelement. Bald gingen Gamer in „Quantum Break“ mit Shawn Ashmore und Aidan Gillen auf Zeitreise, sagten in „Call Of Duty“ Kit Harington und Kevin Spacey den Kampf an, durchlebten mit Hayden Panettiere und Rami Malek einen Horror-Albtraum in „Until Dawn“ und ließen sich von Ellen Page und Willem Dafoe in „Beyond: Two Souls“ auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnehmen. Und „Death Stranding“ legt hier schließlich nochmal eine ganze Schippe drauf…
Höhepunkt: "Death Stranding"
Heute ist der Einsatz von Schauspielern in Videospielen über den reinen Marketingzweck hinausgewachsen. Ihre digitalen Kopien sind nicht zuletzt dank ihres tatsächlichen Mitwirkens inzwischen so nah ans Original gerückt, dass Präsenz und schauspielerische Leistung von ganz entscheidender Bedeutung sind. Im Spiel eindeutig erkennbare Darsteller, die man aus der realen Welt kennt, können dem Ergebnis zusätzliches Gewicht verleihen und für stärkere Verbundenheit zu den verkörperten Figuren sorgen.
Das führt uns auch zum Paradebeispiel „Death Stranding“. Schon beim intensiven ersten Teaser-Trailer im Jahr 2016 verblüffte der Titel mit einem berührenden und täuschend echt anmutenden Auftritt des digitalen Norman Reedus. Und obwohl das Video damals nicht in der tatsächlichen Game-Engine angefertigt wurde, stand das fertige Spiel dieser atemberaubenden Optik beim Erscheinen drei Jahre später dann in nichts nach.
Wenn sich der von Reedus gespielte Sam Bridges als etwas anderer Paketzusteller auf eine epische Reise durch ein zersplittertes, postapokalyptisches Amerika, das es wieder zu vereinen gilt, begibt, nimmt man ihm seine Stimmungen und Gefühle zu jeder Zeit ab. Gleiches gilt für die an seiner Seite agierenden Mads Mikkelsen, Léa Seydoux und Margaret Qualley.
Innerhalb von nur 20 Jahren hat die Videospielbranche vom klobigen Bruce Willis zum erstaunlich wirklichkeitsnahen Norman Reedus einen gewaltigen Sprung gemacht. Und mit höherer Bildrate und größeren Auflösungen erscheinen „Death Stranding“ und seine Hauptdarsteller in der PC-Version nun sogar in noch schönerem Glanz.
Seit dem 14. Juli 2020 ist „Death Stranding“ unter anderem bei Amazon für den PC erhältlich.