Ein zentraler Teil von „Avengers: Endgame“ ist die Reise der Helden durch die Zeit. An den verschiedensten Orten und vor allem zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten sammeln sie die Infinity-Steine ein, um mit deren Macht ihren eigenen Schnipser zu tätigen, der Thanos‘ Untat rückgängig macht. Doch das hat einige Zuschauer etwas verwirrt. Deswegen wollen wir einige Kernaussagen aus dem Film noch einmal aufgreifen und einige auftauchende Fragen kurz beantworten.
Fangen wir mit den zwei Kernaussagen zum Thema Zeitreisen im Film an.
Zeitreisen: Nicht wie in "Zurück in die Zukunft"
Zeitreisen funktioniert im MCU nicht, wie wir es aus den meisten Filmen kennen. Was in der Vergangenheit passiert ist, ist bereits passiert. Man kann es nicht mehr ändern. Es ist eben nicht wie in „Zurück in die Zukunft“, wo Marty McFly sich selbst auslöschen kann, wenn seine Handlungen dafür sorgen, dass seine Eltern nie ein Paar werden. Es gibt keinen Schmetterlingseffekt. Was du in der Vergangenheit machst, kann die Gegenwart und Zukunft nicht ändern.
Daher wird auch Rhodeys (Don Cheadle) Vorschlag, Thanos (Josh Brolin) als Baby zu töten, gleich abgewiegelt. Es würde rein gar nichts ändern, wie es auch nichts geändert hat, als Tony Stark (Robert Downey Jr.) mit seinem Vater sprach, sich Captain America (Chris Evans) als Hydra-Mitglied ausgab oder Thor (Chris Hemsworth) den Hammer von seinem alten Ich stahl. Konsequent weitergedacht, hätte Cap im Kampf mit sich selbst sogar sein altes Ich töten können – ohne Auswirkungen auf die Gegenwart. Zeitreisen funktioniert im MCU damit übrigens auch komplett anders als im „X-Men“-Filmuniversum.
Nur die Infinity-Steine erschaffen neue Realitäten
Dass selbst Bruce Banner (Mark Ruffalo) und Co. aber nicht hundertprozentig über die Auswirkungen ihrer Zeitreise Bescheid wissen, wird klar, als Professor Hulk auf The Ancient One (Tilda Swinton) trifft. Hier wird Marvels – übrigens bereits in der Serie „Agents Of S.H.I.E.L.D.“ eingeführtes – Zeitreise-Konzept am deutlichsten und ausführlichsten erklärt.
Die Vorgängerin des magischen Wächters Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) erklärt dem Hulk, dass die Infinity-Steine überhaupt erst dafür verantwortlich sind, dass der Fluss der Zeit existiert. Nimmt man einen dieser Steine weg, teilt sich der Fluss auf. Erst dann entsteht eine neue Realität. Wenn The Ancient One ihm den Zeitstein gibt, erschafft sie eine neue Realität für sich (und die Welt aus diesem Moment), in der Millionen von Menschen leiden werden, weil sie diese nicht verteidigen kann. Wichtig ist noch einmal die Klarstellung: Nur eine Veränderung der Infinity-Steine sorgt für eine neue Realität.
Keine andere Veränderung der Vergangenheit kann diese Auswirkung haben. Daher muss Captain America am Ende des Films die Steine an exakt jenen Zeitpunkt zurückbringen, wo sie weggenommen wurden. Dass er Thors Hammer auch noch mit zurück bringt, ist dagegen nur ein nettes Gimmick (er muss ja ohnehin an diesen Punkt), hat aber null Auswirkungen.
Thanos Zeitreise bleibt ohne Effekt
Teilweise wird diskutiert, dass Thanos und seine Töchter Gamora (Zoe Saldana) und Nebula (Karen Gillan) nun ja in der Vergangenheit fehlen, da ihre Versionen aus dem Jahr 2014 in „Endgame“ ins Jahr 2023 reisten und dort starben bzw. im Fall von Gamora nun dort leben. Aber wie die vorherigen Ausführungen deutlich machen, ist genau das nicht der Fall. Alles, was Gamora, Nebula und Thanos nach 2014 gemacht und erlebt haben, haben sie trotzdem getan und erfahren. Durch die Wegnahme der Steine ist 2014 eine neue Realität entstanden, aus der Thanos und seine Töchter ins Jahr 2023 reisen konnten. Der Thanos aus der Hauptrealität ist also nie durch die Zeit gereist. Dass Gegenwarts-Nebula nicht stirbt oder verschwindet, als sie ihr eigenes Ich aus der Vergangenheit umbringt, sollte nach diesen Ausführungen jedem einleuchten.
Der Infinity War ist passiert
Eine andere Frage, die uns besonders auf YouTube sehr oft gestellt wurde: Sind der „Infinity War“ und Thanos‘ berühmter Schnipser nach den Zeitreisen und der Vernichtung von Thanos überhaupt passiert? Ja! Auf Tonys Drängen hin entscheiden sich die Avengers, das nicht rückgängig zu machen. Der Hulk holt mit seinem Schnipser nur all die verwehten Wesen in allen Winkeln des Universums zurück, die Thanos fünf Jahr vorher weggeschnipst hat. Er verändert aber ausdrücklich nicht, dass es diesen Schnipser gab und vor allem auch rein gar nichts, was in den fünf Jahren passiert ist, weil Tony seine Tochter behalten will und diese Null-Veränderung zur absoluten Bedingung macht (womit Iron Man auf eine gewisse Art Gott spielt, was eine sehr interessante andere Debatte ist).
Eine verrückte neue Welt
Mit diesem durchaus überraschenden Kniff erschaffen die „Avengers: Endgame“-Macher übrigens eine besonders komplexe Welt. Schließlich leben in diesem neuen Universum Menschen, die fünf Jahre getrauert haben, neben Menschen, für die keine Zeit verstrichen ist. Früh illustriert wird dies durch einen von Regisseur Joe Russo unter seinem Schauspieler-Künstlernamen Gozie Agbo gespielten, trauernden Mann. Der erzählt in Captain Americas Selbsthilfegruppe von seinem ersten Date seit dem „Tod“ seiner großen Liebe vor fünf Jahren. Doch sein Mann, um den er fünf Jahre getrauert hat, ist am Ende von „Endgame“ wieder da. Man kann sich ausmalen, wie verrückt das ist: die Freude über das Treffen mit der alten Liebe, die fünf Jahre Erinnerungen, die dieser nicht hat, die schon vorhandenen Gefühle für einen neuen Mann.
Diese neue Welt bietet viele interessante Möglichkeiten. Zwillinge können nun plötzlich fünf Jahre Altersunterschied aufweisen, Ehepartner neu geheiratet haben und Eltern (wie „Ant-Man“ Scott Lang) haben fünf Jahre im Aufwachsen ihrer Kinder verpasst. Deswegen findet der Autor dieser Zeilen zum Beispiel plötzlich eine Hawkeye-Serie, die ihn vorher null interessiert hat, richtig vielversprechend. Schließlich sehen wir dort womöglich einen Mann, der fünf Jahre lang ein eiskalter und ziemlich durchgeknallter Mörder war und der nun mit seiner Familie wiedervereint ist, die ihn als liebenden (und ziemlich ausgeglichenen) Vater und Ehemann in Erinnerung hat (worauf wir zu Beginn von „Endgame“ auch noch einmal ausdrücklich hingewiesen werden).
Und dann haben wir da womöglich noch ein paar sehr gefährliche mexikanische Kartell-Mitglieder, japanische Yakuza und Gangster aus allen Winkeln der Welt, die „zurückgeschnipst“ wurden und erfahren müssen, dass in den vergangenen fünf Jahren ihre (im Gegensatz zu ihnen nie weggeschnipsten) Freunde von einem amoklaufenden Rächer niedergemetzelt wurden. Da kann sich der Autor dieser Zeilen eigentlich eine ziemlich coole Hawkeye-Serie ausmalen. Doch das ist ein Thema für einen anderen Artikel, denn hier soll es ja um Zeitreisen und alternative Realitäten gehen, weswegen ein Punkt noch einmal beleuchtet werden muss: Loki (Tom Hiddleston).
Lokis neue Realität
Denn Loki erschafft in „Avengers: Endgame“ tatsächlich eine alternative Realität. Als ihm der Tesseract vor die Füße fällt, nutzt er ihn, um zu fliehen. Damit wird ein Infinity-Stein, der Raumstein, wirklich aus unserer bisher bekannten Realität genommen und anders eingesetzt. Wie dieses neue Universum aussieht, können wir uns aktuell bislang nur ausmalen. Da Loki sich hier dann aber nicht in Asgard verantworten muss, dürften zum Beispiel die Ereignisse in „Thor 2: The Dark Kingdom“ ganz anders ablaufen und Loki wird sich dort womöglich nie mit seinem Bruder versöhnen.
Vielleicht sehen wir dieses andere Universum in der Zukunft – schließlich ist eine Loki-Serie in Arbeit. Lange wurde darüber gerätselt und mit einem Prequel gerechnet. Die Ereignisse von „Avengers: Endgame“ scheinen aber nun eher eine Serie in einem alternativen Universum vorzubereiten, in dem vieles ganz anders abgelaufen sein kann (und Loki womöglich auch über das Jahr 2018 hinaus noch lebt).
Wir hoffen, dass wir damit alle eure Fragen zum Thema Zeitreisen im MCU geklärt haben. Falls doch noch Fragen offen sind, schreibt sie uns gerne in die Kommentare.