In „Avengers 4: Endgame“ präsentiert sich das MCU zum Showdown in seiner geballten Weiblichkeit. Die „Women Of Marvel“ reiten, fliegen oder marschieren Seite an Seite in die Schlacht gegen Thanos. Ein inspirirender Moment oder nur peinliche Heuchelei? Die FILMSTARTS-Redakteure Christoph Petersen und Christian Fußy sind da unterschiedlicher Meinung:
--- Meinung und Spoiler ---
Pro: Der beste Actionmoment in „Endgame“
Von Christoph Petersen
Schon in einer der ersten Szenen von „Avengers 4: Endgame“ reicht Tony Stark (Robert Downey Jr.) den metaphorischen Staffelstab an Captain Marvel (Brie Larson) weiter. Nachdem der von Thanos (Josh Brolin) geschlagene Iron Man hilflos im Weltall herumgetrieben ist, hatte Captain Marvel ihn und das Guardians-Schiff Benatar mit einer fast schon beleidigenden Leichtigkeit zur Erde abgeschleppt. Im anschließenden Avengers-Meeting begrüßt Tony den Neuling mit den Worten, dass sie dringend „neues Blut“ bräuchten, selbst nur noch ein Haufen „alter müder Räder“ seien.
Nach diesem doch sehr deutlichen Statement war ich mir nicht länger nur zu 99, sondern plötzlich zu 100 Prozent sicher, dass Iron Man am Ende des Films den Löffel abgeben wird. Da stellt sich dann schon die Frage, ob die anstehende Wachablösung wirklich derart offensichtlich hätte vollzogen werden müssen. Aber zum einen kann Captain Marvel jeden zusätzlichen Anschub gebrauchen, schließlich soll sie ab 2020 das Zentrum des neuen Marvel Cinematic Universe (MCU) bilden, obwohl sie ja vor „Endgame“ nur in einem einzigen Film aufgetreten ist. Und zum anderen klingt da eben auch noch eine gewisse Entschuldigung seitens Marvel und Disney mit, weil man sich mit dem ersten Superheldinnen-Solofilm dann womöglich doch zu lange Zeit gelassen hat.
Kurz und knackig
Sehr viel gelungener fand ich deshalb den Moment während der finalen Schlacht, als sich plötzlich die Women of Marvel (neben Captain Marvel etwa noch Valkyrie, Scarlet Witch, Mantis, The Wasp und Shuri) auf dem Schlachtfeld zusammenfinden, um den Infinity Gauntlet vor Thanos in Sicherheit zu bringen. Klar bergen solche Szenen, die in ihrer Aussage über das eigentliche Leinwandgeschehen hinausragen, immer auch die Gefahr, dass sie einen aus der Realität des Films herausreißen. Aber hey, wenn man die „The Big Lebowski“-Gedächtnisvorstellung von Chris „Megaplauze“ Hemsworth überstanden hat, ohne sich in einer „Saturday Night Live“-Sketch zu wähnen, dann wird man das hier auch hinkriegen.
Zumal ich den Aufbau des Moments als relativ geschickt empfand. Erst wenn nach und nach immer mehr Heldinnen zu dem Trupp hinzustoßen, wird einem langsam klar, worauf die Szene hinauslaufen wird – und dann ist sie auch schon wieder vorbei. Ein subtiles Zeichen der Anerkennung, das trotz der Kürze erstaunlich kraftvoll daherkommt. Denn ich muss jetzt einige Tage nach dem Sehen des Films in der Rückschau doch feststellen: Mir sind noch eine Menge Momente aus „Avengers 4“ ganz frisch im Gedächtnis – vom Auftakt auf Hawkeyes (Jeremy Renner) Farm bis zu Tony Starks letzten Worten...
Aber was einzelne Action-Beats angeht, erinnere ich mich eigentlich nur noch an die Women of Marvel, die sich um Valkyries Pegasus scharen. Abgesehen davon war ich froh, dass die Schlacht schnell wieder vorbei war und man sich wieder den wirklich wichtigen Dingen zugewandt hat...
Contra: Nichts als billige Bilanzkosmetik
Von Christian Fußy
Der Women-of-Marvel-Moment ist sicherlich gut gemeint und eigentlich viel zu klein, um sich wirklich darüber aufzuregen. Aber er ist mir dennoch bitter aufgestoßen. Denn in keinem Moment des Films wird für mich deutlicher, was für eine Heuchelei Disney und Marvel mit ihrer Girl-Power-Schiene betreiben.
Ich bin vollkommen dafür, dass die Frauen des Marvel-Universums auch in den Actionszenen ordentlich austeilen und das gemeinsame Manöver gegen Thanos hätte auch das Zeug dazu gehabt, ein wahrhaft ikonischer Moment für die neue Garde im MCU zu sein. Stattdessen führt er mir aber nur vor Augen, welch kleine Rollen die weiblichen Mitglieder des Ensembles in „Endgame“ einnehmen.
Ein Moment, der zum Nachdenken anregt
Der Film dreht sich in erster Linie natürlich um die namensgebenden Avengers und mit Ausnahme von Black Widow (Scarlett Johansson), die den Film zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hat, haben alle Mitglieder des Teams ein Y-Chromosom. Das ist auch absolut keine Tragödie, immerhin soll die Original-Besetzung ja gebührend verabschiedet werden, dennoch hätte man den anderen Women of Marvel eine etwas größere Rolle in der Handlung einräumen können, statt ihnen einfach nur alibi-mäßig eine Actionszene am Ende des Films zu gönnen.
Zumal es danach, wie Christoph schon richtig anmerkt, nämlich wieder zurück zu den wichtigen Dingen geht. Und an denen sind Marvel-Damen wie Okoye (Danai Gurira), Pepper (Gwyneth Paltrow) oder Valkyrie (Tessa Thompson) schon von Anfang an nicht wirklich beteiligt.
Es wäre doch kein Problem gewesen, zumindest diesen drei Figuren, die Thanos‘ Schnipser immerhin ebenfalls überlebt haben, ein bisschen mehr zu tun zu geben. Außer Nebula (Karen Gillan), der bereits erwähnten Black Widow und mit Abstrichen Gamora (Zoe Saldana) hat aber keine weibliche Figur wirklich eine tragende Rolle in der Handlung, weshalb ich mir, wenn der gemeinsame Hurra-Moment um die Ecke kommt, auch nur ein müdes Augenrollen abringen konnte. Vor allem wenn man dann noch explizit mit der Nase darauf gestoßen wird, für wie verdammt divers Marvel sich doch eigentlich hält.
Alles nur zum Schein
Wenn man schon eine große Klappe hat, sollte man auch liefern. Einfach nur weibliche Figuren Seite an Seite kämpfend zu zeigen, ist für mich zu wenig und noch dazu peinliche Bilanzkosmetik von der übelsten Sorte. Hätten beispielsweise Okoye und Pepper Potts im Laufe des Films etwas wichtiges dazugelernt oder eine Freundschaft zueinander aufgebaut und würden dies vor der Schlacht in einem kleinen Dialog adressieren, wäre mir das als Charaktermoment hundertmal lieber gewesen als ein nur vermeintlich wichtiges Gastspiel in der großen Schlachtszene kurz vor Schluss.
So aber bleiben nur Behauptungen. Niemand wird ja wohl glauben, dass Danai Guruira, auf dem Poster zu sehen ist, weil ihre Figur wahnsinnig viel Screentime hat. Rhodey (Don Cheadle), Rocket (Bradley Cooper) und Ant-Man (Paul Rudd) sind ebenfalls nur Nebenfiguren, zumindest kann ich mich aber noch an Dinge erinnern, die sie im Film gemacht und gesagt haben. Action ist ja schön und gut, wenn ich die Figuren und ihre Beziehungen zueinander besser kennen würde, würde sie mir aber auch nicht so am Arsch vorbeigehen. Und es kann wohl niemand behaupten, es hätte zwischendurch nicht genug Zeit für ein bisschen Smalltalk gegeben.
Sogar die zukünftige Anführerin der Avengers, die gefeierte Captain Marvel, die den Helden den entscheidenden Vorteil gegen Thanos‘ Dienerschaft verleiht, hat dann ungefähr die Rolle inne, die die Adler im dritten „Herr der Ringe“-Film einnehmen. Sie ist Mittel zum Zweck, um die wahren Protagonisten, mit denen wir den ganzen Film über mitgefiebert haben, aus ihrer scheinbar hoffnungslosen Lage zu retten. Für sich betrachtet wäre das auch okay, wenn Marvel meine Aufmerksamkeit aber schon derart auf das Thema Geschlecht lenkt und vorgibt, man lasse mit diesem Film die strahlende Fahne der sozialen Gerechtigkeit fliegen, inspiriert mich das durchaus dazu, einmal genauer hinzuschauen und innerlich „Bullshit“ zu rufen.
„Avengers 4: Endgame“ läuft seit dem 24. April 2019 in den deutschen Kinos.