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    Spoilerfreie Kritik zu "Avengers 4: Endgame": Gänsehaut bis zum Abspann

    Aus technischen Gründen veröffentlichen wir die Kritik diesmal zunächst als herkömmlichen Artikel, um sie euch pünktlich zum Ablauf der internationalen Sperrfrist präsentieren zu können.

    Disney

    Keine Story-Spoiler!

    Avengers 3: Infinity War“ endet mit dem wohl größten Paukenschlag eines Superhelden-Blockbusters überhaupt. Wobei der Vom-Winde-verweht-Twist auch zur Folge hat, dass sich nun ein Großteil der Fans den dritten Teil zur Auffrischung noch einmal direkt vor dem Kinobesuch von „Avengers 4: Endgame“ ansehen wird. Ich habe das auch so gemacht. Und obwohl mir „Infinity War“ auch beim wiederholten Sehen erneut sehr gut gefallen hat, wurde ich nach dem Rollen des Abspanns plötzlich skeptisch: Will ich jetzt wirklich noch mal drei Stunden mehr davon sehen? Aber keine Sorge! Die größte und positivste Überraschung an „Avengers 4“ ist, wie sehr er sich von seinem Vorgänger unterscheidet. Die Regisseure Joe und Anthony Russo haben gemeinsam mit ihren Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely ganze Arbeit geleistet, als 22. (!) Teil der Marvel-Reihe noch einmal einen Film an den Start zu bringen, der sich – abgesehen von seiner finalen Schlacht – erneut absolut frisch anfühlt.

    Das fängt schon mit der unterschiedlichen Perspektive auf das Fingerschnipsen von Thanos (Josh Brolin) an: War es in „Infinity War“ noch der ungläubige Schock, der einem beim Beobachten des allgemeinen Superhelden-Verwehens in die Glieder gefahren ist, macht „Endgame“ nun gleich in einer perfekt gewählten ersten Szene deutlich, was für ein niederschmetternder Schicksalsschlag wirklich für jeden einzelnen hinter der kosmischen Katastrophe steckt. Die erste halbe Stunde von „Endgame“ entpuppt sich als reine Trauerarbeit. Mit einem emotionalen, das letzte bisschen Hoffnung vaporisierenden Tiefpunkt für die Avengers, den in dieser Form wirklich niemand hat kommen sehen. Nach dem mit Action vollgestopften „Infinity War“ endlich mal ein paar Minuten Zeit zum Durchatmen. Oder so denkt man zu diesem Zeitpunkt zumindest. Aber Pustekuchen, denn es geht fast den ganzen Film hindurch so weiter. Anteilig an der Gesamtlaufzeit hat „Endgame“ wohl so wenige Actionsequenzen wie vermutlich kein Film aus dem Marvel Cinematic Universe (MCU) zuvor. Wir würden schätzen, dass man insgesamt auf gerade mal eine halbe Stunde kommt (kurze Prügeleien inklusive).

    Marty McFly trifft den Dude

    Trotz der trostlosen Situation haben die Macher allerdings keinerlei Scheu davor, ihre Avengers in Sachen Humor endgültig völlig von der Leine zu lassen. Die Gags sind dabei oft gar nicht mal sonderlich anspruchsvoll, stattdessen geht es vornehmlich um Selfies, Popos und Plauzen. Aber mein Gott, landen die Pointen hier zuverlässig im Ziel. Eine solche Trefferquote bei den Gags erreichen selbst die allermeisten ausgewiesenen Komödien nicht mal ansatzweise. Thor (Chris Hemsworth) verwandelt sich in seiner Verzweiflung sogar in eine Karikatur seiner selbst – und trotzdem tun seine an Mobbing grenzenden Wutausbrüche beim „Fortnite“-Daddeln der tiefen Tragik seiner Figur keinen Abbruch. Crossover haben im Comic-Genre ja eine lange Tradition. Aber wer hätte gedacht, dass sich „Avengers 4“ letztendlich als Quasi-Crossover aus „Zurück in die Zukunft“ und „The Big Lebowski“ entpuppen wird?

    „Avengers 4“ zählt dabei zugleich zu den lustigsten und emotionalsten Filmen der Reihe. Aber einfach nur Rumsitzen und sich die Wunden lecken geht natürlich auch nicht. Also entwickelt sich „Endgame“ in seinem Mittelteil zu einer intergalaktischen, interdimensionalen Superhelden-Version von „Ocean‘s Eleven“. Verschiedene Teams reisen an verschiedene Orte, wobei immer wieder auch konkrete Ereignisse aus früheren MCU-Beiträgen direkt aufgegriffen werden. Hier zahlt sich die Vorarbeit in den bisherigen 21 Filmen der Reihe am offensichtlichsten aus: Die Regie-Russos können hier eine schier unglaubliche Masse an bekannten Figuren und Situationen einsetzen, ohne sich dabei auch nur einen Deut um Exposition kümmern zu müssen. (Wer nicht alle Filme kennt, wird zwar der Story ohne Probleme folgen können, aber nicht alle einzelnen Momente verstehen. Wer gar keinen MCU-Film kennt, erlebt zumindest mal die Blockbuster-Version des Gefühls, in seine erste Folge „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ reinzuschalten.)

    In diesem leider etwas ausgefransten Abschnitt, bei dem das Tempo mitunter doch deutlich nachlässt, halten die Russos die etlichen Storyfäden zwar mit einer erstaunlichen Sicherheit zusammen. Aber eigentlich steht das Bangen um den positiven Ausgang der Mission hier eh nur an zweiter Stelle. Stattdessen gibt es viele starke Einzelmomente, die in jedem anderen MCU-Film als emotionaler Höhepunkt durchgehen würden, aber hier fast schon im Minutentakt auf den Zuschauer einprasseln: vom Wiedersehen mit alten Bekannten über neue Perspektiven auf bereits Geschehenes bis hin zur Diskussion rund um das ultimative Opfer (sowieso hat „Avengers 4“ gleich an mehreren Stellen etwas von einem verfilmten Philosophie-Experiment). Selbst wenn das ständige Hin-und-Her-Springen es nicht ganz leicht macht, überall gleichermaßen emotional involviert zu bleiben, sind die Figuren, Schauplätze und Genres in diesem Abschnitt einfach derart divers, dass trotz der MCU-Rekordlaufzeit dennoch nie Langeweile aufkommt.

    Die eine Enttäuschung

    Die einzige größere Action-Sequenz in „Avengers 4“ ist die finale Schlacht – und auch bei dieser verursacht die Aufstellung der Kontrahenten fast schon mehr Gänsehaut als das anschließende Superhelden-Gekloppe. Die eigentliche Schlacht ist nämlich auch nicht epischer als im Vorgänger und deshalb durchaus eine kleine Enttäuschung. Aber zu diesem Zeitpunkt ist man gedanklich eh schon halb bei den Abschlüssen und Abschieden, die die Russos für ihre mehr als 20 Superhelden bereithalten. Und auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, als leide „Avengers 4“ an einem ähnlichen Zu-viele-Enden-Problem wie etwa „Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs“, muss man zurückschauend doch sagen: Wenn jedes einzelne Ende solch einen emotionalen Punch entwickelt wie hier, dann dürfen die Russos davon gerne beliebig viele aneinanderreihen.

    „Avengers 4“ hinterlässt das MCU in einem phänomenalen Zustand für die ungewisse Zukunft nach dem offiziell noch zu Phase 3 zählenden „Spider-Man: Far From Home“. Aber der Film selbst bringt tatsächlich erstmal, wie im Vorfeld ja auch schon vollmundig angekündigt, alle bisherigen 22 MCU-Filme zu einem gemeinsamen, großartigen Abschluss. Das Gefühl des Films spiegeln deshalb auch die vorab erschienenen Story-Trailer gar nicht so gut wider. Viel näher dran ist da schon die Vorschau, in der erst einmal auf die vorherigen 21 Filme zurückgeschaut und ihre Bedeutung für das MCU als Ganzes unterstrichen wird. Bei den Einblendungen der Avengers im Abspann ist deshalb auch noch einmal minutenlange Gänsehaut angesagt – und selbst der Post-Credit-Moment ist für diesen Anlass einfach perfekt gewählt.

    Fazit: Joe und Anthony Russo haben mit „Avengers 4: Endgame“ einen Film geschaffen, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hat – sie bringen 22 Filme auf einmal zu einem Abschluss, sicher nicht frei von Schwächen, aber trotzdem höchstbefriedigend.

    Wertung: 4 von 5 Sterne

    PS: Um in diesem Fall alle Spoiler soweit wie irgend möglich zu vermeiden, ist dieser Text sehr viel abstrakter und weniger nah am Film, als es bei FILMSTARTS-Kritiken eigentlich üblich ist. Aber natürlich wird es in den kommenden Tagen noch allerlei Artikel geben, in denen wir auf einzelne Aspekte des Films – auch auf einordnende, kritische Weise – eingehen werden. Zudem wird es zu Beginn nächster Woche auch noch eine ausführliche Kritik geben, in der wir dann zumindest so viel vom Plot preisgeben werden, wie wir es bei einem normalen Film auch tun würden.

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