FILMSTARTS: Was ist für euch der größte Unterschied zwischen den „Harry Potter“- und den „Phantastische Tierwesen“-Filmen?
David Heyman: Beide Reihen sind ganz offensichtlich Teil des gleichen Universums, schließlich gehen beide aus dem unglaublichen Ideenreichtum von Jo [so nennen Freunde J.K. Rowling] hervor. Aber anders als bei „Phantastische Tierwesen“ dreht sich jeder „Harry Potter“-Film um ein Jahr aus dem Leben eines Kindes. Es geht im Grunde also um die unterschiedlichen Phasen des Erwachsenwerden. So zeigt uns zum Beispiel „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ das erste Aufblitzen der Pubertät. „Harry Potter und der Feuerkelch“ sowie „Harry Potter und der Halbblutprinz“ drehen sich dann um die Sturm-und-Drang-Phase, die ein 15-Jähriger eben durchmacht, während er mit seinen ganz persönlichen Dämonen zu kämpfen hat. Die „Tierwesen“-Filme allerdings sind ganz anders. Hier stehen keine Kinder im Fokus, sondern erwachsene Menschen in ihrem politischen und sozialen Kontext.
Das Gegenteil von Trump
FILMSTARTS: Apropos sozialer und politischer Kontext. Inwiefern ist „Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“ von aktuellen Geschehnissen beeinflusst?
David Yates: Ich denke, wann immer man etwas wie zum Beispiel einen Film kreiert, kann man sich den äußeren Einflüssen nicht entziehen. Jo hat natürlich auch während des Schreibens all die Ereignisse auf der Welt mitbekommen und da findet auch das ein oder andere seinen Weg in das Drehbuch. Also ja, der Einfluss ist definitiv da.
David Heyman: Jos Arbeit hat schon immer eine gewisse politische Seite. Aber wir setzen kein politisches Statement, sondern ein menschliches. Es geht um die Macht der Überzeugung und verletzliche Menschen, die sich von etwas überzeugen lassen, das ihre eigene Verletzlichkeit und ihre Bedürfnisse anspricht. Und es geht um das Geschichtenerzählen und die Fähigkeit, diese Geschichten zum Erreichen der eigenen Ziele zu nutzen, selbst wenn diese Ziele nicht die richtigen sind. Schlussendlich ist das alles subjektiv, aber ich sehe es als eine menschliche Geschichte und das liebe ich an Jos Arbeit: Sie spricht uns als Menschen an und schreibt in vielerlei Hinsicht Geschichten über uns.
FILMSTARTS: Könnte dabei auch die Figur von Gellert Grindelwald von populistischen Figuren der Geschichte beeinflusst worden sein?
David Yates: Grindelwald ist ohne Frage ein Populist. Er erkennt in den Menschen das Bedürfnis nach Veränderung und ihre Frustration über das bestehende System. Und er nutzt das zu seinen Gunsten aus. Als Jo uns das erste Mal von ihm erzählte, sagte sie: „Ich will einen Rockstar. Ich will ihn etwas sexy und verlockend.“ Also das völlige Gegenteil von Trump. Wir haben also diese faszinierende Figur, die einen Poeten, Visionär und Rockstar in sich vereinigt, zugleich aber rücksichtslos und erschreckend ist. Die ein Programm verkauft, das zwar reinstes Gift ist, aber durch ihn wird es dennoch unwiderstehlich.
David Heyman: Sozusagen ein Trump plus.
David Yates: Aber es geht nicht um eine aktuelle historische Figur. Es geht um das Verbreiten von Geschichten, die uns alle in die Hölle stürzen können. Und das existiert seit Anbeginn der Welt.
David Heyman: In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu betonen, dass sich auch Figuren, mit denen wir mitfühlen und auf deren Seite wir stehen, von Grindelwald überreden lassen. Man darf die Menschen, die so einer Figur folgen, nicht über einen Kamm scheren. Grindelwald spricht die Bedürfnisse der Menschen an. Er mag das für seinen Plan nutzen, aber er thematisiert dennoch eine berechtigte Frage: Warum sollten sich Zauberer verstecken? Das macht schon Sinn für einige, das macht sogar Sinn für mich. Was allerdings keinen Sinn macht, ist, wie er diese Macht dann nutzen will.
Grindelwald Vs. Voldemort
FILMSTARTS: Macht ihn das bedrohlicher als Voldemort?
David Heyman: Grindelwald ist für mich ein viel unheimlicher Bösewicht als Voldemort. Voldemort war durch und durch böse. Er war ein Soziopath oder Psychopath. Er kannte keine Liebe, sondern nur Hass. Seine Macht war die Fähigkeit des Missbrauchs, wohingegen Grindelwald sehr überzeugend ist. Er stiftet vielen Menschen einen Sinn und wir können nachvollziehen, warum sie ihm folgen, auch wenn wir es nicht so machen würden. Für mich ist Grindelwald deshalb ein sehr viel unheimlicherer Bösewicht als Voldemort.
FILMSTARTS: Voldemort begegnen wir in „Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“ zwar nicht, aber wir kehren nach Hogwarts zurück. Wie war die Rückkehr für euch?
David Yates: Für mich war es ein seltsames Gefühl, das Set des Klassenzimmers für die Verteidigung gegen die dunklen Künste zum ersten Mal wieder zu betreten. Seit dem „Harry Potter“-Ende 2011 sind doch schon ein paar Jahre vergangen und jetzt kommt man wieder ans Set, aber Daniel, Rupert, Emma, Matthew und Evanna sind nicht da. Aber dann kam Jude Law als Dumbledore rein und auf einmal ergab alles wieder Sinn. Ein großes Gefühl von Nostalgie überfiel mich, aber auch dieses seltsame Gefühl, dass all diese Leute, mit denen du dort so viel Zeit verbracht hattest, nicht mehr da sind - natürlich abgesehen von einigen der Crewmitgliedern. Aber die Schauspieler. Auf einmal war da ein ganz neuer Schwung an Darstellern an einem Ort, der einst von anderen Menschen gefüllt wurde.
David Heyman: Der zweite große Ort in Hogwarts, an dem wir gedreht haben, war die Brücke. Und das war amüsierend seltsam. Denn als wir das letzte Mal dort drehten, im achten Film, sah man im Hintergrund das Schloss größtenteils zerstört. Aber dieses Mal gab es nur dieses kleine Stück Brücke und dann einfach Green Screen, also Hogwarts existierte eigentlich nicht, es wurde alles digital kreiert.
FILMSTARTS: Habt ihr aufgrund der Unterschiede zwischen den Reihen bewusst versucht, Hogwarts als einen anderen Ort darzustellen?
David Yates: Naja, im Grunde ist es eine Schule, die bereits seit Hunderten von Jahren existiert - da ändert sich eigentlich nicht viel, außer die Leute natürlich, die durch ihre Tore schreiten. Aber diese Orte passten einfach zur Dramatik der Szenen, die wir jetzt dort gedreht haben: Die Brücke gab uns die Möglichkeit, diese wundervolle Distanz zwischen Dumbledore und dem Ministerium herauszuarbeiten. Ein wunderbarer Hintergrund, um zu spüren, auf welcher Seite du wirklich stehst.
Ein Wiedersehen mit alten Bekannten
FILMSTARTS: Bei der Rückkehr nach Hogwarts treffen wir nicht nur auf einen jungen Dumbledore, sondern auch auf eine junge Professorin McGonagall. Wie stehen die Chancen, dass wir in den nächsten „Phantastische Tierwesen“-Filmen weiteren bekannten Gesichtern wie zum Beispiel den Schulgeistern begegnen werden?
David Yates: Das liegt alles in Jos Macht. Ich kann nichts dazu sagen, weil mich sonst unsere Publizisten in Stücke reißen. Ich bin nämlich so schrecklich indiskret. Ich weiß, dass ich das bin - also werde ich nichts dazu sagen. Außer so viel: Ich weiß, dass wir auch im nächsten Film ein kleines bisschen Hogwarts sehen werden.
David Heyman: Es ist offensichtlich, dass sich die „Phantastische Tierwesen“-Geschichte und die Anfänge der Harry-Potter-Welt immer mehr annähern werden. Und dann wird es auch mehr Verbindungen geben, vermute ich. Aber was es genau ist, dazu können wir noch nichts sagen.
FILMSTARTS: Durch diese Verbindungen drängt sich natürlich auch ein Vergleich der Beziehungen zwischen Dumbledore und Harry sowie Dumbledore und Newt auf. Inwiefern sind sie zu vergleichen?
David Heyman: Es gibt definitiv Gemeinsamkeiten, aber ich sehe auch einen großen Unterschied: Harry hat sich nie wirklich gegen Dumbledore gestellt, er war ein kleiner Junge, der geformt wurde.
David Yates: Dumbledore ist vor allem wunderbar darin, Leute (aus-)zu nutzen. Schließlich reist auch Newt entgegen seines besseren Urteilsvermögens nach Paris. Aber im Vergleich zu Harry kann Newt Dumbledore in gewisser Weise erkunden und in Frage stellen - aber dennoch lässt auch er sich von Dumbledore hereinlegen.
FILMSTARTS: Daniel Radcliffe war noch ein Kind, als er die Rolle des Harry Potter übernahm. Eddie Redmayne hingegen ist ein etablierter Schauspieler, der sogar bereits einen Oscar im Schrank stehen hat. Wie unterscheidet sich die Arbeit mit den beiden Schauspielern?
David Yates: Eddie freute sich einfach so darüber, in diese Welt aufgenommen geworden zu sein. In gewisser Weise erkundet er auch noch immer diese Rolle. Zudem sagte er vor kurzem etwas Interessantes: Die Rolle verlässt ihn nie ganz zwischen den Filmen. Sie haust sozusagen weiterhin unter seiner Haut. Und so ist jeder Film, den wir in dieser Reihe machen, eine weitere Möglichkeit für ihn, zu erkunden, wer Newt ist und was er sein kann. Ich mag aber beides: Die Beziehung, die man mit jungen Darstellern aufbaut, ist wunderbar, weil man sie führen und ihnen helfen kann. Aber mit jemandem wie Eddie entwickelt sich ein wirklich dynamischer Dialog über das, was er und ich für gut und richtig empfinden. Da gibt es einfach einen größeren Austausch über die Facetten der Figur und Eddie und ich haben beide sehr starke Ansichten.
David Heyman: Übrigens ist das eine sehr unterschiedliche Arbeitsweise von Eddie und Dan. Dan schaute sich nie die Aufnahmen an, Eddie hingegen analysiert jede Szene. Er setzt die Kopfhörer auf und lauscht und hinterfragt. Viele Regisseure würden das als unangenehm empfinden, aber Eddie, und das ist atemberaubende an ihm, ist extrem großzügig. Ja, er ist besorgt um seine Performance aber er drängt es nicht den anderen auf und spielt den Regisseur für seine Kollegen - obwohl er diese Chance sogar einmal mit Callum [Callum Turner, der Theseus Scamander verkörpert] hatte, als dieser in einer Szene Newt spielt. Aber es geht nicht um ihn selbst, er ist so großzügig, wenn es um andere Schauspieler geht.
David Yates: Zudem ist Eddie ein Perfektionist. Daniel war das auch, aber Eddie… Im ersten Film haben wir diese Szene gedreht und hatten sie schon beim vierten Versuch im Kasten. Aber Eddie war regelrecht besessen davon, den richtigen Gang für Newt zu finden. Ich meinte zu ihm: „Komm und schau es dir an, wir haben schon die perfekte Einstellung.“ aber Eddie meinte nur: „Nein, nein, ich muss es einfach probieren." Und da hatte er es wirklich schon 75 Mal gemacht.
„Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“ startet am 15. November 2018 in den deutschen Kinos.