Viel wurde im Vorfeld der aktuell stattfindenden Filmfestspiele von Venedig darüber debattiert, dass nur ein einziger Film einer Regisseurin im gesamten Wettbewerb zu sehen ist. Es wurden mögliche Gründe diskutiert, zahlreiche Filmschaffende äußerten sich kritisch und Venedig verpflichtete sich zu den Grundsätzen der „50/50 by 2020“-Bewegung. Doch mit Spannung wurde nach diesen Diskussionen nun auch der einzige Film einer Frau im Rennen um den Goldenen Löwen erwartet.
In „The Nightingale“ erzählt die Australierin Jennifer Kent von der ans andere Ende der Welt ausgewanderten jungen Irin Clare (Aisling Franciosi), die im Jahr 1825 Opfer eines britischen Soldaten (Sam Claflin) und seiner Kameraden wird: Mann und Kind werden getötet, sie selbst vorher mehrfach vergewaltigt. Unterstützt von einem eingeborenen Spurensucher (Baykali Ganambarr) macht sie anschließend quer durch Tasmanien Jagd auf die Täter.
Beleidung im Kino
Doch viel mehr als über den Film wird nun darüber geredet, was bei der Vorführung passierte. Ein anwesender italienischer Filmkritiker brüllte „Puta“, also „Hure“, durch den Kinosaal – und zwar in dem Moment, in dem der Name der Filmemacherin auf der Leinwand zu sehen war.
Unter anderem der renommierte Filmkritiker Guy Lodge berichtete von dem Vorfall (und forderte, dass dem Journalisten die Akkreditierung entzogen wird):
Mittlerweile hat sich der Journalist selbst gemeldet und auf Facebook eine sehr lange „Entschuldigung“ in italienischer Sprache verfasst:
Im Rahmen seiner Stellungnahme erklärt der Mann, dass er „Schäm dich Hure“ gerufen habe. Ihm tue diese Beleidigung leid, sie stamme „aus einem irrationalen […] Gedanken eines Zynismus, der gut (aber eigentlich auch nicht) an die Bar unter Freunden passen würde“. Er bestreitet aber, dass die Beleidigung frauenfeindlich gemeint sei.
Vor allem mit letzterer Aussage hat er aber nun noch mehr Öl ins Feuer gegossen. Dass eine Bezeichnung als „Hure“ nicht frauenfeindlich sein soll, ist nur schwer verständlich:
Regisseurin Jennifer Kent kommentierte den Vorfall auf der Pressekonferenz in Venedig laut Variety nur kurz. Es sei „wichtig, mit Mitgefühl und Liebe auf Ignoranz zu reagieren. Es gibt keine andere Möglichkeit“, so ihr Kommentar.
Die Debatte um die in der Branche evidenten und deutlich hervortretenden Benachteiligungen weiblicher Regisseure dürfte damit aber zusätzlich Feuer gewinnen. Auch wenn wir hoffen, dass es sich nur um einen Einzelfall handelt, scheinen zumindest einzelne Kritiker-Kollegen ein Problem zu haben, wenn starke Frauen starke Frauen in Szene setzen. Und dass Frauen es immer noch deutlich schwerer haben als ihre männlichen Kollegen, gute Regie-Jobs zu bekommen oder die Finanzierung für eigene Ideen zu sichern, ist kein Geheimnis.
Wann „The Nightingale“ nach Deutschland kommt, ist übrigens noch nicht bekannt.