Der Winter war da und Filmseiten (FILMSTARTS inklusive) bliesen im kollektiven, siebenwöchigen „Game Of Thrones“-Rausch noch den kleinsten Windstoß aus Westeros durchs Netz: Wenn die Serie so wichtig und großartig gefunden wird, dass sich neun (!) meiner Kollegen zusammensetzen und für ein Special orakeln, welche Figur mit welcher Wahrscheinlichkeit stirbt, wenn wir im News-Meeting eine gefühlte Ewigkeit darüber diskutierten, wie genau Bran Stark (Isaac Hempstead-Wright) seine blöden Raben kontrolliert, dann wollte ich mir von der gestiefelten Brienne (Gwendoline Christie) dafür in den Arsch treten lassen, dass ich meinen Redakteursjahresurlaub nicht in die Sendezeit der siebten Staffel gelegt habe, um zumindest ein paar Wochen davon auf einer einsamen Insel ohne Internet zu verbringen. Ich mag Fantasy-Geschichten und serielles Erzählen, aber „Game Of Thrones“ nicht.
Alle reden über "Game Of Thrones"
Nach der ersten Staffel hatte ich die Lust verloren, habe mich dann aber vor Start der neuen, siebten Season durch alle bisherigen Folgen gekämpft, um den über die Jahre entstandenen Hype dahinter zu verstehen. Schließlich ist „Game Of Thrones“ ein popkulturelles Phänomen, auf das Kritiker wie Zuschauer orgastische Lobeshymnen singen und ein Phänomen, das Menschen auf der ganzen Welt wieder gemeinsam vor die Bildschirme treibt. Während es früher noch die klassischen Straßenfeger gab, alle zur selben Zeit dasselbe Programm schauten und anschließend darüber redeten, ist das heutige Fernsehpublikum an viele, unterschiedliche, kleine TV-Lagerfeuer verstreut. Ich wollte wissen, warum „Game Of Thrones“ hier ein Stück weit eine Ausnahme ist. Nachdem ich nun alle veröffentlichten Folgen gesehen habe, geht es mir auf Arbeit zumindest nicht mehr wie dem Kollegen Woon-Mo Sung, der sich „Game Of Thrones“ als letzter Nachrichtenredakteur stand- und (in meinen Augen) heldenhaft verweigert, das Gewirr aus fremden Namen und verstrickten Plots deswegen aber nicht durchblicken kann und bei den Diskussionen der Kollegen oft nur Bahnhof versteht. Ich dagegen weiß jetzt, worüber die anderen reden. Doch nachvollziehen kann ich den Hype immer noch nicht.
Das stimmt nicht mit "Game Of Thrones"
„Game Of Thrones“ hat das Potential zu einer erstklassigen Serie, die auch mir richtig gut gefallen könnte. Ich habe absolut nichts gegen Fantasy – aber nach 67 Folgen einige Gründe, „GoT“ nicht zu mögen. Das liegt weniger an Logiklöchern in Staffel sieben, über die sich viele Fans aufregen – und mehr an grundsätzlichen Problemen, die mich seit dem Anfang in zu vielen Episoden ärgern. Fangen wir beim Gewicht der Buchvorlage an: Die Serie ächzt unter der Last, die George R.R. Martins Romane sind. Martin ist als Autor ein Kontrolleur, hat jedem Fleckchen Land einen Namen und jeder Figur einen Stammbaum gegeben, der vermutlich zurückreicht bis zum Schöpfungsakt. Das von ihm erdachte mäandernde Gehacke und Getrickse um den Eisernen Thron erzählen die Serien-Autoren David Benioff und D.B. Weiss oft mit mehr Handlungssträngen pro Episode, als gesund wäre. Das hat den paradoxen Effekt, dass ein epischer Plot zu Häppchen zerstückelt wird: Kaum habe ich mich orientiert, werde ich schon wieder ans andere Ende der Karte geschmissen. Zu viele Szenen sind nur dazu gedacht, die große Geschichte voranzutreiben: Person A kommt im Intrigenspiel einen Zug weiter, Person B bespricht mit Person C den nächsten Schachzug, Person D macht etwas Grausames…
Weil die Autoren dem Machtkampf und seinen simplen Mustern aus Täuschung, Bündnisschmieden und Attacke viel Raum geben, können Internetportale die „Game Of Thrones“-Folgen auch so einfach zusammenfassen (als „Recaps“), darum kann in der Mittagspause und in der Redaktionskonferenz darüber gesprochen werden, als ginge es um eine Soap: „Krass, was Cersei diese Woche wieder gemacht hat!“ Momente wie der, als Missandei (Nathalie Emmanuel) in der sechsten Staffel von Tyrion (Peter Dinklage) dazu gedrängt wird, einen Witz zu erzählen, obwohl ihr das kulturell fremd ist, bleiben die Ausnahme. Kleine Szenen, in denen mal nicht der große Plot weitergesponnen wird, kleine Szenen, in denen die Figuren aus ihren Rollen im Krieg um den Thron fallen dürfen, sind rar. Das erzählerische Korsett sitzt eng, lässt wenig Luft.
„Game Of Thrones“ ist eine verdammt lange Geschichte, in der verdammt viele Menschen jeweils entweder Macht, Rache oder jemandem dienen wollen. So episch der Plot, so oberflächlich die Figurenzeichnung! Warum muss ich die wandelnden Bösewichts-Karikaturen Ramsay Bolton und Joffrey Baratheon, deren süffisante bzw. bengelhafte Boshaftigkeit von den Schauspielern Iwan Rheon und Jack Gleeson ins Lächerliche übertrieben wird, vier Staffeln lang ertragen? Warum gibt’s nicht viel mehr Hauptakteure wie Tyrion und Jaime (Nikolaj Coster-Waldau)? Die Brüder haben Tiefe – ich spüre eine subtile, verborgene Traurigkeit, einen Zwiespalt der Loyalitäten, ein Hadern mit der verrohten Welt, in der sie niemals einen Platz zu finden fürchten.
Krasse Drachen
„Game Of Thrones“ ist eine Serie der groben Gesten – und auch die Inszenierung ist nur selten subtil. Wenn eine Stadt oder Burg in der Panoramaeinstellung präsentiert wird, wenn Armeen aufeinanderprallen oder mal wieder ein Drache durch die Gegend fliegt, wird mit dem stattlichen Budget geprotzt. Das ist in den guten Momenten atmosphärisch, in den schlechten aber bloße Kraftmeierei. Dann scheinen mir die Macher zuzurufen: „Schau' dir an, wie viele Komparsen wir verpflichten und/oder am Computer erschaffen konnten! Guck' mal, wie viele Sets wir gebaut haben! Unglaublich, was in einer Serie heute möglich ist, oder?“ Angesichts dieser Angeberei mit Schauwerten könnte man auf die Idee kommen, die Autoren und ihre Regisseure – allen voran die am häufigsten verpflichteten Alan Taylor, David Nutter und Alex Graves – finden die moralisch verkommene, todgeweihte Welt, die sie Folge für Folge zeigen, im Grunde ganz geil.
Der Mensch ist schlecht
„Game Of Thrones“ spielt in einem durch Drachen, Zauberer, Monster – kurz: durch die üblichen Versatzstücke des Fantasy-Genres – angereicherten Mittelalter. Dass ausgerechnet eine Erzählwelt, die auf die Werte Königstreue, Familie und Ruhm fußt, für dermaßen viele Zuschauer der Gegenwart zum bevorzugten Eskapismusort wurde, ist eine eigene Analyse wert. Dass die Autoren hinter dieser feudalen Erzählwelt offenbar glauben, der Mensch sei schlecht und dem Untergang geweiht, nehme ich hin. Aber es nervt, wie platt diese Ideologie immer und immer wieder ausgestellt wird. So etwa beim Gastauftritt von Ian McShane als Ex-Soldat und Priester, der mit seinen Leuten eine Siedlung errichten will, um in Frieden zu leben – ein Vorhaben, das in der „Game Of Thrones“-Logik nicht gutgehen kann und erwartungsgemäß scheitert. Die kleine Episode endet mit einem platten Bild der Hoffnungslosigkeit: Der Priester baumelt an einem Gerüst, das die Dorfkirche werden sollte, erhängt von Gesetzlosen.
„Game Of Thrones“ ist ein TV-Lagerfeuer, bei dem Menschen verbrannt werden: Ein Mädchen schreit auf dem Scheiterhaufen vergeblich nach seinen Eltern, die zuschauen. Menschen töten Babys, stechen einer Schwangeren in den Bauch, brechen einem Gladiatoren den Kopf auf und verfüttern eine Frau und ein Kleinkind lebendig an Hunde. Aber bei „Game Of Thrones“ geht es weder um spaßigen Splatter, noch um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt. Hier ein abgestumpft-zynischer Kommentar von Sandor Clegane (Rory McCann), da ein paar Worte der vergewaltigten, traumatisierten Sansa – das muss reichen, um die Seelennarben sichtbar zu machen. Die Gewalt soll, wie bei der anderen Hit-Serie dieser Tage, „OMG!!!“-Tweets und -Überschriften provozieren – einen Aufschrei in Sozialen Netzwerken auslösen, den Medien dankbar aufgreifen und lauter drehen.
Geile Titten
„Game Of Thrones“ wird als „realistisch“ beschrieben, weil Innereien verspritzt werden und Leute ihren barbarischen Kern offenbaren. An Sets und in Gesichtern hängt reichlich Dreck. Aber die Fantasy-Serie ist sauber genug, um die Sehgewohnheiten nicht fundamental herauszufordern – wann immer sich jemand auszieht, hat „Game Of Thrones“ meist die Ästhetik von Groschenromanzen-Covern und Softpornos. Die Oberkörper sind durchtrainiert, Männer wie Frauen entsprechen der Hollywoodnorm und scheinen im kriegs- und wintergeplagten Westeros penibel darauf zu achten, sich Zeit zu nehmen für Körperrasuren, die den Schönheitsvorstellungen der Gegenwart entsprechen.
Kein Happy End
„Game Of Thrones“ regt mich auf. Aber wo Wut ist, da oft auch Liebe: Ich könnte die Serie als hoffnungslosen Fall emotionslos ignorieren – würden die Autoren schlechtere Pointen schreiben, in denen sie Machtgebaren und höfisches Denken nicht so bissig kommentierten. Mir könnte „GoT“ egal sein, wäre Ser Davos (Liam Cunningham) nicht so liebenswert und gebe es keine Frauen wie Daenerys (Emilia Clarke), Sansa (Sophie Turner) oder Arya (Maisie Williams), die sich im Verlauf der Serie ihre eigene Manege im lächerlichen Männerzirkus erkämpfen!
Mit der achten Staffel, die lediglich sechs Folgen hat, wird „Game Of Thrones“ enden. Die Entscheidungsschlacht gegen die Eiszombies steht an. Es ist zu erwarten, dass die Sieben Königslande auch danach kein friedfertiger Kontinent sein werden, denn das würde nicht zu einer Serie passen, in der sich Geschichte stets wiederholt. Die in der Senderhistorie beispiellose Erfolgsgeschichte ihrer Metzel-Show zu wiederholen ist unterdessen das oberste Ziel von HBO: Nach dem Ende von „Game Of Thrones“ wird es zurückgehen in George R.R. Martins Welt. Der Autor entwickelt Ideen für neue Serien, die zwar ohne die bekannten Figuren auskommen sollen, im Stil aber sicher so werden wie „Game Of Thrones“. Mit meiner Überschrift – „Zum Glück ist bald Schluss“ – war ich also voreilig. Alle Menschen müssen sterben, alle Serien aber leider nicht.