Als der große Hype um „The Walking Dead“ 2010/11 nach Deutschland übergeschwappt ist, war auch ich sofort Feuer und Flamme. Die erste Staffel der auf den gleichnamigen Comics von Robert Kirkman basierenden Zombie-Serie saugte ich regelrecht auf, war gefesselt von der düsteren, dreckigen und bedrohlichen Welt, die Schöpfer Frank Darabont da auf die TV-Bildschirme brachte. Rick Grimes (Andrew Lincoln), seine Frau Lori (Sarah Wayne Callies) und ihr kleiner Sohn Carl (Chandler Riggs) waren glaubhafte Figuren, mit denen man mitfieberte und mitlitt.
Natürlich wartete ich anschließend gespannt auf die 2. Staffel – und wurde nicht enttäuscht! Es kamen neue interessante und sympathische Charaktere hinzu, zum Beispiel Farmer Hershel (Scott Wilson) und seine Familie. In dieser den Menschen so feindlich gesinnten Welt schien jede unüberlegte Aktion brutale Konsequenzen zu haben. Ich litt mit Carol (Melissa McBride), die ihre Tochter verlor, und kochte innerlich mit Rick, der von seinem besten Freund Shane (Jon Bernthal) betrogen wurde. Zugleich freute ich mich für Maggie (Lauren Cohan) und Glenn (Steven Yeun), die sich trotz der bitteren Umstände ineinander verliebten.
Auch Staffel 3, in der die Überlebenden-Gruppe eine neue Heimat in einem Gefängnis findet, konnte mich noch in ihren Bann ziehen – doch als die Suche nach einem sicheren Zufluchtsort in der 4. Staffel dann erneut von vorne losging, schlug meine Euphorie am Ende einzelner Folgen immer häufiger in Enttäuschung um. Aber wieso? Warum hat die Serie, die ich mal zu meinen absoluten Favoriten zählte, inzwischen so viel ihrer anfänglichen Faszination eingebüßt?
Punkt 1: Die allgegenwärtige Gefahr ist verflogen
Eine der großen Stärken der ersten „Walking Dead“-Staffeln war, dass buchstäblich hinter jeder Ecke der Tod lauerte - und selbst die Hauptfiguren nicht davor gefeit waren, in der nächsten Sekunde den Löffel abzugeben (man denke nur an Lori oder Hershel). Aber die ständige Angst, dass ein liebgewonnener Charakter plötzlich und überraschend das Zeitliche segnen könnte, ist schon lange verflogen. Zwar leben die Protagonisten in einer von Zombies und einem psychopathischen Schurken mit Baseballschläger und Privatarmee dominierten Welt – doch trotzdem fürchtet man in keiner der Szenen, die besonders bedrohlich wirken sollen, um seine Lieblinge. Stattdessen soll die verlorengegangene Spannung durch kalkulierte Schockeffekte wieder heraufbeschworen werden, die sich jedoch meist als nicht mehr als heiße Luft entpuppen: In der 12. Episode der 7. Staffel sollte man als Zuschauer glauben, dass Rick von einer Gruppe Zombies gefressen wird, während sein Herzblatt Michonne (Danai Gurira) hilflos und verzweifelt zusieht – doch nur wenige Minuten später hüpft der Ex-Polizist schon wieder quicklebendig aus einer Kiste, die Untoten haben sich lediglich an einem Reh gelabt.
Im Staffelfinale waren die Rollen dann vertauscht: Das Publikum sollte nun von Michonnes Tod ausgehen, nachdem Rick einen Körper von einem Dach hat stürzen sehen – was sich 15 Minuten später natürlich wieder nur als lahmer Fake-Tod herausstellte. Der Höhepunkt bleibt aber natürlich Glenns berühmt-berüchtigter Beinahe-Serientod in der dritten Folge der sechsten Staffel. Solche Story-Kniffe rufen mittlerweile nur noch ein müdes und vorausahnendes Gähnen hervor, für aufgeregtes Zähneknirschen sorgt „The Walking Dead“ jedenfalls schon länger nicht mehr.
Punkt 2: „The Walking Dead“ ist repetitiv und vorhersehbar
Ein weiterer Grund für die mangelnde Spannung ist der mittlerweile auffällig repetitive Charakter der Serie, der sie so unheimlich ausrechenbar macht. Anscheinend ist Scott M. Gimple, der ab der vierten Staffel das Ruder als Showrunner übernommen hat, der Meinung, das perfekte Rezept gefunden zu haben, um die Zuschauer bei der Stange zu halten: Jede Staffel beginnt mit zwei bis drei actiongeladenen Folgen, in denen es einen großangelegten emotionalen Moment gibt (der Tod von Bob, Glenns Beinahe-Tod und natürlich Lucilles Schlachtfest), bevor dann mehrere ruhigere (oder eher: langweilige) Episoden folgen, die den Fokus jeweils auf einzelne Figuren legen und kaum dramatische Höhepunkte enthalten.
Vor dem Mid-Season-Break nach der 8. Folge jeder Staffel entgleitet die Situation dann schließlich und es gibt wieder ein trauriges Highlight (Hershels, Beths und Deannas Tode) und in der Regel einen Cliffhanger, damit auch nach dreimonatiger Pause die TV-Geräte wieder in zweistelliger Millionenhöhe eingeschaltet werden. Die zweite Staffelhälfte folgt dann größtenteils demselben Schema wie die erste: Folge 9 löst den Cliffhanger dramatisch auf, danach gibt es wieder einigen leidlich unterhaltsamen Leerlauf, bis ein actionreiches Finale die Staffel mit einem Knall zu Ende bringt. (Der eigentliche Konflikt der Staffel wird hingegen natürlich nicht zu einem Ende gebracht, stattdessen wird eher noch ein zusätzliches neues Fass aufgemacht – schließlich sollen die Fans für die kommenden Monate genug Diskussionsstoff haben.)
In der 7. Staffel hat sich der immer gleiche Aufbau übrigens erstmals auch in den Quoten niedergeschlagen: Währen die 6. Staffel in den USA zwischen der Premierenfolge und dem Finale gerade einmal sieben Prozent der Zuschauer eingebüßt hat, verlor die 7. Staffel im Verlauf ihrer Ausstrahlung massive 34 % ihrer Zuschauer.
Punkt 3: Der Cast wird immer weiter aufgeblasen
Selbstverständlich bringt es bereits das Konzept der Serie mit sich, dass immer wieder beliebte Figuren den Serientod sterben und dafür neue eingeführt werden müssen. Wenn jedoch für jeden ausgeschiedenen Charakter gefühlt drei Neue nachrücken, bläst sich der Cast immer weiter auf, bis man schließlich die Handlung vor lauter Figuren nicht mehr sieht. Viele spielen dann teilweise für mehrere Episoden keine Rolle, verschwinden im Schatten. So bekamen in den vergangenen Staffeln nur wenige Protagonisten überhaupt die nötige Menge an Screentime, um sie als abgerundete Figuren zu porträtieren. Dabei wäre das gerade bei einigen neu eingeführten Charakteren enorm wichtig gewesen.
Spätestens ab der fünften Staffel und dem neuen Zuhause in Alexandria wurde dieses Problem dann immer deutlicher: Plötzlich gehören etliche neue Gesichter zur Darstellerriege und all die Spencers, Jessies und Aarons bleiben blass, werden nicht richtig ausgeleuchtet und so auch nie in irgendeiner Weise für den Zuschauer interessant. Dennoch rücken etablierte Figuren wie Daryl (Norman Reedus) oder Carol durch ihre neuen Mitstreiter immer mehr in den Hintergrund – und so stehen sich die aktuell mehr als 30 Haupt- und Nebencharaktere selbst im Weg. Außer Anführer Rick und Nemesis Negan (Jeffrey Dean Morgan) werden sie alle stiefmütterlich behandelt, der eine mehr, der andere weniger.
Warum tue ich mir das dann überhaupt noch an?
Neben diesen drei Gründen gibt es noch einige weitere Schwächen, an die ich mich mit der Zeit aber sogar gewöhnt habe und über die ich gerne hinwegsehe – die Dialoge, die oft direkt aus einer südamerikanischen Seifenoper ins Englische übersetzt zu sein scheinen, die vielen Logiklöcher und Kontinuitätsfehler oder das oft unglaubwürdige, an Teenie-Slasher erinnernde Verhalten der Protagonisten in Gefahrensituationen. Trotzdem sitze ich jedes Jahr aufs Neue vor meinem Fernseher, investiere jede Woche 45 Minuten in die Abenteuer von Rick und seinen Kumpanen. Und ich weiß, dass es einer Vielzahl treuer „Walking Dead“-Anhänger genauso geht. Aber woran liegt das bloß?
Für mich fühlt sich eine neue Episode beinahe wie nach Hause kommen an. Man kennt sich dort aus und weiß genau, was einen erwartet. Und auch wenn das vielleicht nicht das aller Aufregendste ist, so ist es dort doch bequem und man fühlt sich wohl in der vertrauten Umgebung. Zudem hat man über den Verlauf der mittlerweile sieben Staffeln hinweg natürlich ein Interesse an den (Haupt-)Figuren aufgebaut, ganz egal wie man die Serie ansonsten bewertet – und möchte jetzt auch wissen, wie es mit ihnen weiter beziehungsweise zu Ende geht. Ich hoffe nur ganz stark, dass es bis zum großen Serienfinale nicht wirklich noch mehr als 100 Episoden dauert, wie die Macher kürzlich angekündigt haben…
Aber es gibt noch einen weiteren Grund, der bei mir mittlerweile genauso wichtig ist, wie die Verbundenheit mit den Charakteren: Wie sonst wahrscheinlich nur „Game Of Thrones“ ist „The Walking Dead“ trotz abnehmender Zuschauerzahlen ein beständiges weltweites Massenphänomen. Rund um den Globus wird über das nächste brutale Blutbad diskutiert, genauso wie über die nächste öde oder enttäuschende Episode. Kollektives Aufregen macht nun mal ähnlich viel Spaß wie kollektive Freude. Das zeigt sich momentan auch wieder in den sozialen Netzwerken: Neben den vielen Fans, denen die Staffel trotz aller Schwächen wieder gefallen hat, wird sich natürlich auch wieder massenhaft öffentlich in Rage geschrieben und die finale Episode als endgültiger Sargnagel für die Serie identifiziert. Und dennoch wird sich nichts daran ändern, dass im Oktober wieder Millionen Zuschauer vor ihren Fernsehern sitzen, wenn der Auftakt zur achten Staffel „The Walking Dead“ über die Bildschirme flimmert. Und selbstverständlich werde ich einer davon sein.