Absolut schonungs- und teilweise auch hüllenlos seziert Regisseur Tom Tykwer die Charaktere seines Berlinfilms „Das Licht“, stellt dabei eine dysfunktionale Familie in den Fokus: Während Vater Tim (Lars Eidinger) die entlarvenden Worte seiner Tochter für Greenwashing-Kampagnen in seiner Werbeagentur nutzt, verschanzt sich der Sohn (Julius Gause) videospielend zu Hause. Mutter Milena (Nicolette Krebitz) engagiert sich unterdessen in Afrika für den Bau eines Kulturhauses, vernachlässigt aber die Familie.
Erst die syrische Haushälterin Farrah (Tala Al-Deen) gibt der Familie neue Impulse und Möglichkeiten, über ihren Status Quo nachzudenken. Nicht nur für Regisseur Tom Tykwer ist es ein sehr persönlicher Film, auch für Schauspielerin Nicolette Krebitz enthielt die Rolle der Milena viele Reibungspunkte, wie sie uns im Interview verrät:
FILMSTARTS: „Das Licht“ ist ein sehr persönlicher Film. Man kann Tim mit Tom Tykwer selbst vergleichen, Milena mit seiner Frau Marie Steinmann. Wie war das für dich, Marie zu spiegeln?
Nicolette Krebitz: Tom und ich sind seit meinem ersten Film „Jeans“ befreundet. Dass „Das Licht“ eine besondere Herausforderung darstellt, habe ich schon in der Vorbereitungszeit gemerkt. Wenn man etwas über das Leben eines Freundes erzählt, muss man noch vorsichtiger sein als bei einem normalen Biopic zum Beispiel. Ich wollte vor allem niemandem zu nahetreten und trotzdem musste ich natürlich unheimlich viel fragen. Ich muss immer ganz genau wissen, wie die Figur, die ich spielen soll, denkt und fühlt. Erst dann kann ich mir auch etwas dazu ausdenken. Als Schauspielerin sehe ich es als meine Aufgabe, dem Regisseur irgendwann etwas über meine Rolle zu erzählen, was er noch nicht weiß.
FILMSTARTS: Was zum Beispiel?
Nicolette Krebitz: Da geht es vor allem um die ungesagten Dinge, die man etwa durch Blicke mitteilen kann. Am Anfang haben Tom und ich uns in der Arbeit ganz nah am Buch und der zugrunde liegenden Wirklichkeit entlang bewegt, später wurden wir dann freier und auch neugierig, was es darüber hinaus noch zu erzählen gibt. In der Auseinandersetzung mit gutem Material kann das Persönliche dann eben auch universell werden. Ich spiele eine arbeitende Mutter und Ehefrau, die ihren Mann im Alltag ständig zurückweist. Irgendwann erfahren wir, warum. Dass sie darüber hinaus aber noch ein Geheimnis mit sich herumträgt, habe ich mir die ganze Zeit vorgestellt und das war etwas, von dem ich gehofft habe, dass es Tom im Schneideraum entdeckt.

FILMSTARTS: Die Perspektiven von Milena und die der Haushälterin Farrah prallen aufeinander. Tom Tykwer nennt Farrah, die eine Schlüsselperson im Film darstellt, das Geheimherz. Welche Parallelen gibt es zwischen beiden?
Nicolette Krebitz: Beide haben den Kontakt zu ihrer Familie verloren. Farrah aus dramatisch konkreten Gründen und Milena durch eine Art Zivilisationskrankheit. Sie hat auch echte Sorgen, klar, aber wie ist das mit privilegierten Sorgen? Sind das echte Schmerzen? Oder muss man sich nur zusammenreißen und dann geht schon alles irgendwie?
FILMSTARTS: Was hast du durch Milena gelernt?
Nicolette Krebitz: Dass man nicht immer richtig liegen muss und trotzdem geliebt werden kann, Dinge zu wollen oder zu brauchen, die vielleicht eigennützig oder unmoralisch, aber trotzdem ein Teil von einem sind und deshalb auch eine Berechtigung haben. Als Mutter innerhalb einer Familie gewöhnt man sich das schnell ab. Mir hat die Rolle der Milena nochmal klar gemacht, wie wichtig es ist, fehlbar zu sein. Man ist überhaupt nur ein Mensch, wenn man Fehler macht.
FILMSTARTS: Milena engagiert sich in Nairobi und will vor Ort ein Kulturzentrum aufbauen. Welch persönliche Reibung bringt das Afrika-Thema mit sich?
Nicolette Krebitz: Ich war immer zurückhaltend mit meinem Engagement in Afrika, weil ich dachte: Wir haben das Unheil mit unserer Missionarisierung dahin gebracht und führen es jetzt mit unserer NGO-Arbeit fort. Vor Ort habe ich gemerkt, dass das leider auch Quatsch ist. Ich kann natürlich nicht für alle Projekte sprechen, aber es ist richtig beeindruckend, was Tom und vor allem Marie mit „One Fine Day“ dort aufgebaut haben.
FILMSTARTS: Was hast du vor Ort erlebt?
Nicolette Krebitz: Die Kinder sind in den Slums – während ihre Mütter in der Stadt arbeite – meistens sich selbst überlassen. Natürlich gehen die größeren zur Schule, aber danach gibt es kaum Angebote und viele stürmen in das One-Fine-Day-Haus, wo Filme, Projekte und Aufführungen entstehen. Alle sind da voll mit dabei. Kolonialismus kann man in dem alltäglichen Miteinander nicht entdecken. So ist eben alles nicht einfach immer nur schwarz und weiß. Das hat mir der Film auch nochmal vor Augen geführt.
FILMSTARTS: „Das Licht“ ist auch eine Chance, sich mit der Flüchtlingsthematik ganz anders auseinanderzusetzen…
Nicolette Krebitz: Wir kennen Filme, in denen wir uns gut dabei fühlen, aufgeklärt und empathisch sein zu dürfen. In „Das Licht“ werden eine privilegierte, leicht wohlstandsverwahrloste Familie und eine geflüchtete und gezeichnete Familie nebeneinandergestellt. Man muss sich der Herausforderung stellen, dass wir die sind, die wir da sehen. „Wir sind die, die Welt zugrunde richten – nicht die anderen”, sagt die Tochter im Film. Und das muss man auch als Zuschauer aushalten. Dafür darf man sich dann mit dieser Familie auch da herausbewegen und aktiv werden.
FILMSTARTS: Vor allem die Erwachsenen bewegen sich in einer Art von Schleife. Wie wirkt der Film auf dich?
Nicolette Krebitz: Ich habe den Film zum ersten Mal auf der Berlinale gesehen und ich war wirklich gebannt von der Fülle und Dichte der Erzählung. Der Film ist wie Tom. Bei Tom ist einfach nichts nicht wichtig. Er urteilt auch nie. Es gibt Momente, in denen man sich zum Beispiel bei einem Dreh aus irgendeinem Grund Sorgen macht, ob das okay war, wie man sich verhalten hat. Tom würde in so einem Moment immer antworten: „Zwischen uns ist immer alles okay.“ Das steckt auch total in dem Film.

FILMSTARTS: Was war für dich die berührendste Szene?
Nicolette Krebitz: Es gibt mehrere Szenen in dem Film, die mich sehr berühren. Die Teenager, die im Nachtclub zusammen Drogen nehmen und als amorphe Gruppe miteinander kommunizieren und sich wie ein Tier fortbewegen, haben mich total berührt. Es zeigt, wie man einerseits so verloren und gleichzeitig so aufgehoben sein kann. Das ist ein voll trauriges, aber auch wahres Bild über diese Generation. Auch jede Begegnung zwischen Milena und Farrah trägt dieses gleichzeitige Verlorensein und Aufgehobensein in sich. Man glaubt ja zuerst, nur Milena ist verloren. Aber Farrah ist es auch.
FILMSTARTS: Es geht in „Das Licht“ unter anderem um Schutzlosigkeit. Hast du dich während der Dreharbeiten auch so schutzlos gefühlt?
Nicolette Krebitz: Ja. Und ich glaube, das ist auch der eigentliche Geist dieser Geschichte. Das war aufreibend. Ich weiß gar nicht, ob es den anderen auch so ging. Denn eigentlich steckt diese Schutzlosigkeit in jeder Rolle. Tom hat uns allen jeden Tag aufs Neue den Schutz gegeben, den wir brauchten, um uns diesem Gefühl hinzugeben. Und trotzdem war ich oft beim Drehen mitgenommen. Meine Freunde können davon mehr erzählen: Ich habe sie oft angerufen und sie waren für mich da. Und jetzt gibt es diesen Film, der einen auf den Weg schickt; mit ganz viel Liebe.
„Das Licht“ läuft seit dem 20. März in den deutschen Kinos. Und wenn ihr noch mehr über die Hintergründe erfahren wollt, dann empfehlen wir euch unseren Podcast Leinwandliebe, denn darin stand uns Regisseur und Autor Tom Tykwer („Lola rennt“, „Babylon Berlin“) ausführlich Rede und Antwort – u. a. auch zum Budget von „Das Licht“: