"Für diese Rolle musste ein Preis gezahlt werden": Einer der größten Bösewichte der Filmgeschichte verfolgt uns seit 32 Jahren
Michael Bendix
Michael Bendix
-Redakteur
Schaut pro Jahr mehrere hundert Filme und bricht niemals einen ab. Liebt das Kino in seiner Gesamtheit: von Action bis Musical, von Horror bis Komödie, vom alten Hollywood bis zum jüngsten "Mission: Impossible"-Blockbuster.

In „Schindlers Liste“ verkörperte Ralph Fiennes den furchteinflößenden Amon Göth – und lieferte damit eine der beeindruckendsten Schurken-Darstellungen der Filmgeschichte ab. Dass er dafür keinen Oscar erhielt, sorgte damals für Unverständnis.

1984 veröffentlichte Thomas Keneally das Buch „Schindlers Liste“, das die wahre Geschichte von Oskar Schindler erzählt, der als Industrieller zunächst von den Nazis profitierte – aber schließlich etwa 1.200 Jüdinnen und Juden vor der Deportation bewahrte.

Es dauerte nicht lang, bis Steven Spielberg sich für die bewegende Geschichte zu interessieren begann – selbst inszenieren wollte er den Film aber eigentlich nicht, und so fragte er eine ganze Reihe anderer Regisseure dafür an. Martin Scorsese stand zwischenzeitlich sogar tatsächlich kurz davor, die Regie von „Schindlers Liste“ zu übernehmen. Doch schlussendlich hatte der „GoodFellas“-Schöpfer zu viel Angst vor dem Stoff und der Verantwortung, die mit seiner filmischen Umsetzung einhergehen würde. Und so schlug er seinem Freund und Kollegen Steven Spielberg einen Tausch vor: Scorsese übernahm von Spielberg einen Psychothriller – und der drehte „Schindlers Liste“.

Spielberg hatte gute Gründe für sein Zögern: Bis heute gibt es keinen Film, der dem „Indiana Jones“-Regisseur so viel abverlangt hat – denn sowohl vor als auch während der Dreharbeiten stieß er auf heftigen Widerstand. Sich Tag für Tag den unvorstellbaren Gräuseltaten der Nationalsozialisten stellen zu müssen, setzte ihm als Kind jüdischer Eltern ebenfalls stark zu. Am Ende hatten sich die Strapazen immerhin gelohnt: „Schindlers Liste“ gilt bis heute als einer der wichtigsten Filme aller Zeiten – und wurde mit sieben Oscars belohnt, darunter als Bester Film und für Spielberg als Besten Regisseur.

Immerhin nominiert wurden auch zwei Schauspieler aus dem Film: Oskar-Schindler-Darsteller Liam Neeson – und Ralph Fiennes, der als SS-Kommandant Amon Göth eine so denkwürdige wie erschütternde Leistung erbrachte. Dass er bei den Academy Awards gegen Tommy Lee Jones („Auf der Flucht“) verlor, sorgte bei vielen Zuschauer*innen damals für Kopfschütteln. Vielleicht lag es daran, dass es sich bei Jones zu diesem Zeitpunkt bereits um einen alten Hasen handelte – während Fiennes erst seit zwei Jahren in der Filmbranche tätig war. Diese Tatsache macht seine Performance aber nur noch bemerkenswerter.

Sein kalter, liebloser Blick lässt einen erschaudern, wenn man nur daran denkt – und der schier grenzenlose Sadismus seiner Figur fährt einem auch 32 Jahre später direkt ins Mark. Mit Sicherheit gelang Fiennes damit eine der furchteinflößendsten Schurken-Darstellungen der gesamten Kinogeschichte. Dabei hat Spielberg manche von Göths Taten für die Leinwand sogar leicht abgeschwächt.

"Wer Amon Göth sah, sah den Tod"

Leopold „Poldek“ Pfefferberg war einer der mehr als 1.000 Juden, denen Oskar Schindler das Leben gerettet hat – und als Zwangsarbeiter im Konzentrationslager Plaszów ist er dem realen Amon Göth begegnet. Später war er es, der Thomas Keneally davon überzeugte, das Buch zu schreiben. Und dem Team hinter der Verfilmung stand er als Berater zur Seite.

„Wer Amon Göth sah, sah den Tod“, beschrieb Pfefferberg den SS-Offizier (via Collider). „Er war ein kreativer Sadist. Er ließ seine Hunde Ralf und Alf auf Kinder los und schaute dabei zu, wie sie sie zerfleischten.“ Schätzungen gehen davon aus, dass Göth, der ab Februar 1943 das Lager Plaszów leitete, für den Tod von etwa 500 Menschen verantwortlich war.

Als Ludmilla Pfefferberg, Poldeks Ehefrau und ebenfalls Shoah-Überlebende, dem in SS-Uniform gekleideten Ralph Fiennes gegenüberstand, erlebte sie einen regelrechten Schock. „Ihre Knie gaben nach“, erinnerte sich Spielberg in einem Time-Artikel an die Begegnung (via AlloCiné). „Ich hielt sie fest, während Ralph begeistert davon sprach, wie wichtig es ihm war, sie kennenzulernen – doch sie bebte vor Angst. Sie sah keinen Schauspieler. Sie sah Amon Göth.“

Ralph Fiennes hat die Rolle schwer zugesetzt

Spielberg wusste nach der Sichtung einer einzigen Probeaufnahme sofort, dass Fiennes der Richtige für die Rolle ist. „Ralph hat drei Takes gemacht“, erinnert sich der „E.T.“-Regisseur. „Ich habe mir den zweiten und den dritten nie angesehen. Ich wusste sofort: ‚Er ist Amon.‘ Ich erkannte in ihm eine dunkle, beinahe verführerische Boshaftigkeit. Alles war eine Frage der Nuancen – Momente scheinbarer Freundlichkeit in seinen Augen, die augenblicklich in Kälte umschlugen.“

Fiennes, der als Hauptdarsteller von „Konklave“ in diesem Jahr erneut auf einen Oscar hoffen darf, äußerte sich zu seiner Rolle später wie folgt (via SlashFilm): „Es gibt Momente, in denen man als Schauspieler einfach spürt, dass man Teil von etwas Bedeutendem sein wird. Ich musste nicht einmal Ja sagen – es war eine Selbstverständlichkeit.“

Aber: „Für diese Rolle musste ein Preis gezahlt werden. Wenn man sich drei Monate lang so intensiv mit menschlicher Abscheulichkeit beschäftigt, fühlt man sich seltsam – fast so, als hätte man die Boshaftigkeit manchmal genossen. Gleichzeitig fühlt man sich beschmutzt. Das wirft viele Fragen auf: über Schauspielerei, über menschliches Verhalten und darüber, dass diese Abgründe womöglich viel näher an der Oberfläche liegen, als wir glauben.“

Übrigens: Obwohl „Schindlers Liste“ als Meisterwerk und filmisches Mahnmal gilt, ist er nicht vor Kritik gefeit. Gleich zwei namhafte Regisseure haben so ihre Probleme mit dem Film. Was genau sie bemängeln, erfahrt ihr im nachfolgenden Artikel:

"Nicht sehr intelligent": Dieser Meisterregisseur hatte mit Steven Spielberg und "Schindlers Liste" ein großes Problem

Ein ähnlicher Artikel ist zuvor auf unserer französischen Schwesternseite AlloCiné erschienen.

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