
Mit gerade mal 36 Jahren ist Brady Corbet bei seiner dritten Regiearbeit ein epischer Wurf gelungen: In 215 Minuten (inklusive einer fest gesetzten Intermission zwischen den beiden Teilen des Films) erzählt er die Geschichte des ungarischen Architekten László Tóth, eines von Adrien Brody gespielten Holocaust-Überlebenden, der in den USA gegen alle Widerstände ein riesiges aus rohem Beton gefertigtes Bauwerk für einen vermögenden Tycoon (Guy Pearce) errichtet.
Als gigantomanisches, visionäres Projekt lässt sich auch „The Brutalist“ selbst umschreiben: Auf analogem Material gedreht ist der Film trotz seiner monumentalen Größe keine prestigeträchtige Hollywood-Großproduktion, sondern entstand unter entbehrungsreichen Bedingungen mit einem Budget von nicht mal 10 Millionen Dollar über einen Zeitraum von gut sieben Jahren.
FILMSTARTS-Autor Kamil Moll hatte die Gelegenheit, mit dem Regisseur Brady Corbet darüber zu sprechen, welche Faszination für ihn brutalistische Bauweise ausübt, warum es Schwierigkeiten bereitet, Architektur auf der Leinwand darzustellen, und weshalb er das analoge Filmformat VistaVision für den Dreh benutzt hat.

FILMSTARTS: Die Hauptfigur deines Films, László Tóth, ist ein jüdischer Architekt, der in den 30er-Jahren in Budapest Gebäude im Bauhaus-Stil kreiert hat. Nachdem er das Konzentrationslager in Buchenwald überlebt hat, emigriert er in den späten 40er-Jahren in die USA. Das Bauwerk, das er im Verlauf des Films erbauen lässt, lässt sich eher einer brutalistischen Bauart zuordnen. Warum hast du dich für diesen Stil entschieden? Ist Brutalismus für dich ein Ausdruck dieser Epoche? Spiegeln sich darin die Erfahrungen der Figur?
Brady Corbet: Der Film spielt hauptsächlich in den 1950er-Jahren. Das zentrale Thema ist die Art und Weise, wie Nachkriegspsychologie und Nachkriegsarchitektur untrennbar miteinander verbunden sind. Der Brutalismus entstand ja in den 1950er-Jahren, auch wenn natürlich viele dieser Ideen in den 20er- und 30er-Jahren von der Bauhaus-Schule ausgingen. Im Epilog des Films geht es darum, welche Bedeutung diesen Bauwerken zukommt. Und da bleibt die Frage: Ist das, was im Film darüber gesagt wird, die Interpretation seiner Nichte? Oder vielleicht eher die Interpretation des Publikums? Ich weiß es selbst nicht, denn das ist ja etwas, was Architektur und Kino verbindet: Es ist öffentliche Kunst. Wenn man sie der Öffentlichkeit überlässt, ist sie offen für Interpretationen und Fehlinterpretationen.
FILMSTARTS: Wie schwer ist es, Architektur in einem Film darzustellen? Hattest du ästhetische Vorbilder dafür?
Brady Corbet: Ja, natürlich. Es ist kompliziert, weil Architektur unbelebt, statisch ist und sich nicht bewegt. Wir mussten also Wege finden, um nicht nur Architektur zu präsentieren, sondern auch Architektur durch das grafische Design des Films darzustellen, durch die Konstruktion des Films selbst. Auch musikalisch gibt es einen geradezu architektonischen Ansatz, um diese Themen zu konstruieren. Es ist fast schon so etwas wie Musique concrète.
FILMSTARTS: László Tóth ist eine fiktive Figur, aber sein Leben wird so detailliert beschrieben, dass Google mir mittlerweile als Erstes das Wort „Architekt“ zur Vervollständigung vorschlägt, wenn ich den Namen eintippe. War für dich und Mona Fastvold, mit der du das Drehbuch zusammen geschrieben hast, von Anfang an klar, dass ihr euch nicht an einer existierenden Biografie orientieren würdet? Welchen Freiraum hat euch Fiktion geboten?
Brady Corbet: Fiktion bietet komplette Freiheit, denn sobald man anfängt zu schreiben, wird sowieso alles zu Fiktion. Biografien sind ja eigentlich auch fiktiv. Es ist wirklich unmöglich, über jemanden zu schreiben, der vor 300 Jahren gelebt hat, und dabei eine genaue Darstellung der Ereignisse wiederzugeben. Der Film bediente sich einer Form von Geschichte, die nur in einer bestimmten Weise ein Abdruck der Wirklichkeit ist. Alle meine Filme haben ein ähnliches Verhältnis zur Geschichte. Das ist einfach das Format, in dem ich arbeite, weil ich denke, dass es mir die größte Freiheit bietet.
FILMSTARTS: Aber du hast dich dabei auch an tatsächlich existierenden Architekten und Künstlern orientiert, oder?
Brady Corbet: Ja, der Film basiert lose auf dem Leben von László Moholy-Nagy. Sowie auf Marcel Breuer und Mies van der Rohe.
FILMSTARTS: Der Film ist in VistaVision gedreht, ein analoges Filmformat, das im Wesentlichen Anfang der 1960er-Jahre eingestellt wurde. Wie bist du darauf gekommen?
Brady Corbet: Es handelt sich um eine Kamera, die in den 1950er-Jahren entwickelt wurde, sodass es mir als das beste Werkzeug erschien, um die Zuschauer in diese Zeit zu versetzen.
Filmstarts: Stand von Anfang an fest, dass der Film durch eine Intermission unterbrochen wird? Ich bin ein großer Fan von Intermissions, weil dadurch oftmals lange Filme ganz anders strukturiert werden.
Brady Corbet: Für uns stand diese Struktur und wie sie unterbrochen wird von Beginn an fest. Es gab ein Foto in der Mitte des Drehbuchs und selbst den rückwärts laufenden Timer, der ja in der Intermission zu sehen ist, haben wir darin beschrieben. Das war schon immer im Drehbuch enthalten, auch im allerersten Entwurf.

FILMSTARTS: Ich habe schon lange nicht mehr einen so emotional wirksamen Score gehört wie bei „The Brutalist“. Nachdem du bei den beiden vorhergehenden Filmen mit dem mittlerweile verstorbenen Scott Walker zusammen gearbeitet hast, hat nun Daniel Blumberg die Filmmusik geschrieben. Viele der beteiligten Musiker wie Axel Dörner oder Evan Parker kenne ich aus den Jazz- und Free-Improv-Szenen in London und Berlin. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Brady Corbet: Daniel ist viel mit Axel Dörner und Evan Parker tätig, und er arbeitet grundsätzlich schon lange mit Leuten aus dieser Szene zusammen. Wie Axel mit seiner Frau zusammen spielt, das ist eines der schönsten Elemente im ganzen Film – genau das Richtige für diese Sexszene.
Wir wollten möglichst viele Mitwirkende einladen, mit uns diese Themen musikalisch zu erforschen. Und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Von vielen der beteiligten Musiker bin ich großer Fan: von dem Schlagzeuger Steve Noble, Axel und Evan, auch Sophie Agnell, die direkt auf den Saiten eines geöffneten Flügels gespielt hat. Und John Tilbury, der all die Passagen spielt, in denen nur ein Klavier zu hören ist, und der auch Aufnahmen mit einem präparierten Piano gemacht hat. Wir haben, denke ich, eine Art Supergroup aus außergewöhnlichen Freejazzern und eher traditionelleren Musikern, die klassisch ausgebildet sind, zusammengestellt.
FILMSTARTS: Wolltest du orchestrale Arrangements mit eher improvisierten Ideen kombinieren oder ist der ganze Score auskomponiert?
Brady Corbet: Das war eine Kombination. Etwa die Hälfte der Partitur wurde auf sehr traditionelle Weise komponiert, und die andere Hälfte wurde dann improvisiert.
FILMSTARTS: Ist so auch ein Teil der Musik direkt am Set entstanden und aufgenommen worden?
Brady Corbet: Die Demos wurden von Daniel am Set geschrieben. Er saß hinter dem Monitor der Kamera mit einem kleinen Keyboard und während des Drehs erkundete er dann die musikalischen Themen für den Film. Manchmal schrieb er dann auch direkt am jeweiligen Tag die Stücke und manchmal drehten wir dann auch bereits dazu.
