Kaum eine Persönlichkeit des iranischen Filmgeschehens ist international so berühmt wie Asghar Farhadi: Er machte sich mit so berührenden, vielschichtigen Filmen wie dem Scheidungsdrama „Nader und Simin – Eine Trennung“ oder der moralisch ausdifferenzierten Vergeltungsgeschichte „The Salesman“ weltweit einen Namen – und sogleich zweimal verhalf er seinem Heimatland zum Oscar in der Kategorie „Bester internationaler Film“.
Sein bislang letzter Film liegt nunmehr drei Jahre zurück: Der Experte für moralische Zwickmühlen spinnt darin ein dicht verwobenes Hin und Her zwischen ethischem Drama, überraschend süffisantem Humor und entlarvender Satire. Heute, am 7. August 2024, feiert „A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ ab 20.15 Uhr seine Erstausstrahlung bei arte. Danach lässt er sich für kurze Zeit in der arte-Mediathek nachholen.
Darum geht es in "A Hero"
Dem hoch verschuldeten Maler Rahim Soltani (Amir Jadidi) saßen seine Gläubiger schon länger im Nacken. Dann ist es passiert: Er musste wegen Privatinsolvenz ins Gefängnis. Aber nun hat er endlich wieder Glück: Seine Freundin Farkondeh (Sahar Goldust) findet zufällig an einer Bushaltestelle eine Damenhandtasche mit über einem Dutzend Goldmünzen. Erst überlegt er, die Münzen während seines zweitägigen Freigangs gegen Geld einzutauschen und so seine Schulden zu begleichen.
Dann holt ihn sein schlechtes Gewissen ein und er macht sich viel lieber auf die Suche nach der rechtmäßigen Besitzerin der Tasche. Diese gute Geste findet mediales Interesse und öffnet Rahim so endlich Tür und Tor gen Glück und Beliebtheit. Dann aber weckt ein vermeintlich unscheinbares Detail plötzlich Misstrauen – Rahim hat in seiner Nacherzählung der Ereignisse Farkondehs Beitrag unterschlagen...
"A Hero" als Justizfall
Es ist kurios, dass dieser Film auch wegen der Frage zum Streitthema werden sollte, ob der Beitrag einer Frau unterschlagen wurde: Die Iranerin Azadeh Masihzadeh veröffentlichte 2018 mit „All Winners All Losers“ eine Dokumentation über Mohammad Reza Shokr, dem Dinge widerfuhren, die an die Ereignisse aus „A Hero“ erinnern – selbst der zentrale Schauplatz ist identisch.
Den Anfang nahm das Dokuprojekt Jahre zuvor in einem von Farhadi geleiteten Workshop. Während Farhadi unter anderem gegenüber The New Yorker beteuerte, er hätte mit der Arbeit an seinem Drehbuch bereits begonnen, bevor er den Workshop leitete, und sich im Gegensatz zu Masihzadeh an keinem Einzelfall orientiert, befand die junge Dokumentarfilmerin die Parallelen zwischen den beiden Werken als überwältigend.
Daher reichte sie eine Plagiatsklage ein, die daraufhin mit einer Gegenklage wegen Verleumdung gekontert wurde. Masihzadeh wurde freigesprochen, der Urheberrechtsstreit zog sich bis März dieses Jahres hin: Ein iranisches Gericht befand Farhadi letztlich als unschuldig, da die Ereignisse aus „All Winners All Losers“ so umfangreich in den Nachrichten kursiert hätten, dass sie sich urheberrechtlich nicht schützen ließen – so fasst das US-Branchenblatt Variety den Fall zusammen.
"A Hero" als emotional komplexer Blick auf Moral, Netzgemeinde und Gesellschaft
Schlussendlich wird wohl nur Farhadi selbst wissen, wie viel von „A Hero“ feststand, bevor er „All Winners All Losers“ gesehen hat. Ungeachtet dieser schwer zu durchschauenden Hintergründe ist „A Hero“ ein überaus sehenswerter, ebenso bitterkomischer wie berührend-einfühlsamer Film mit facettenreich ausgearbeiteten Figuren.
Wie für ihn üblich, übt Farhadi unmissverständliche Kritik an der iranischen Regierung – selbstredend aber zart genug ausformuliert, dass sie sich an der dortigen Zensur vorbeimogeln lässt. So reißt er die würdelose Lage in den Gefängnissen an, ebenso spielen überholte Männer- und Frauenbilder eine wiederholte, entscheidende Rolle.
Mit Fingerspitzengefühl kreiert er zudem eine Erzählung darüber, dass man dem gesagten Wort nie so ganz trauen kann, und darüber, wie schmal der Grat zwischen einer dreisten, dem Ego schmeichelnden Lüge und einer unschuldigen Notlüge ist, zu der man vom sozialen Gefüge gedrängt wird.
Garniert wird dies mit empathischer Situationskomik – der Wankelmut des digitalen Volks, das innerhalb kurzer Zeit aus einem Sturm der Liebe die Forderung nach harten Hieben formt, bildet er wiederum mit satirisch-bissiger Präzision ab. Kameramann Ali Ghazi sorgt letztlich mit seinen bezaubernd klaren Bildern ein raffiniertes, ästhetisches Gegengewicht für die vielen, moralischen Grauschleier in „A Hero“.
Eine vollauf schwarzhumorige, rasante Geschichte über die charakterverderbende Wirkung des Geldes erwartet euch wiederum demnächst im Kino – nämlich mit „Sechs Richtige“. Einen ersten Einblick in den Film bekommt ihr hier:
Ein Fest für Freunde des schwarzen Humors: Deutscher Trailer zu "Sechs Richtige" – exklusiv bei FILMSTARTS