Mitte der 1990er war Jackie Chan europäischen Videotheken-Süchtlingen längst ein Begriff. In Hollywood hingegen hatte man Zweifel, ob das Ausnahmetalent beim US-Publikum Anklang findet. Daher musste seine Actionkomödie „Rush Hour“ auch einige Hürden nehmen, bis sie Gestalt annahm. Nach diesem Mainstream-Durchbruch ergriff Chan die Chance aber beim Schopfe und schlug „Rush Hour“-Produzent Roger Birnbaum sofort ein weiteres Projekt vor:
Erneut wollte Chan einen Helden spielen, der in die USA kommt und sich trotz Kulturschock dank Stehaufqualitäten zum Ziel kämpft. Dabei wollte Chan wortwörtlich den Westen erobern: Der Publikumsliebling aus Hongkong plante einen Comedy-Western! Das Ergebnis ist derzeit leider nirgends im Streaming abrufbar und auch kaum noch für kleines Geld auf DVD und Blu-ray erhältlich (jedenfalls nicht neu), doch Nitro zeigt „Shang-High Noon“ heute, am 23. Juli 2024, ab 20.15 Uhr. Ein TV-Pflichttermin für Fans von vergnüglichen Genre-Mixturen und/oder Jackie Chan!
"Shang-High Noon": Ost trifft West, Agilität trifft Ungeschick
1881: Die chinesische Prinzessin Pei Pei (Lucy Liu) ist mit Hilfe ihres Englischlehrers in die USA geflohen. Der kaiserliche Gardist Chon Wang (Jackie Chan), der sich verantwortlich fühlt, schließt sich daraufhin der Mission an, sie in den Staaten ausfindig zu machen und von einer Heimkehr zu überzeugen.
Als der verpeilte Räuber Roy O'Bannon (Owen Wilson) einen Zug überfällt, mit dem Chon durch Nevada reist, beginnt eine Kette von Zufällen, die dazu führt, dass Chon und Roy zu verfolgten, befreundeten Kriminellen werden. Zudem stellt sich heraus, dass sie Pei Pei aus den Klauen von Feinden des Kaisers befreien müssen, die die Prinzessin gelinkt haben...
Die „Rush Hour“-Reihe dürfte bekannter sein, doch „Shang-High Noon“ besticht mit der höheren Dichte an eindrucksvollen Stunts – seien es Kämpfe, komödiantische Missgeschicke oder, wie so oft bei Jackie Chan, beides zugleich. Für den Verfasser dieses TV-Tipps ist die Martial-Arts-Westernkomödie im Hinblick auf die Action der klare Höhepunkt in Chans US-Werk: Die teilweise improvisierten Kampfszenen finden eine stets überraschende, locker-leichte Balance aus den verschiedenen Bestandteilen des Films!
Chan schwankt mit Leichtigkeit zwischen Chons Nahkampferfahrung und seinem übereifrig-ungeschickten Naturell. Die Action- und Comedy-Einlagen nähren sich ebenso aus seiner Anpassungsfähigkeit wie aus seinem Gefühl, deplatziert zu sein – und Regisseur Tom Dey verneigt sich inszenatorisch sowohl augenzwinkernd-liebevoll vor ikonischen Western, wie er fesch-erstaunt Chans Hongkong-Wurzeln einfängt.
Dadurch wird Chon zu einem sympathischen Helden, der kompetent ist, aber wiederholt ins Straucheln gerät, sodass nie ganz klar ist, ob als nächstes Können, Ungeschick oder Zufall den Verlauf eines Konflikts entscheidet. Und Wilson gibt einen tollen Szenenpartner für Chan ab:
Sein Roy O'Bannon ist weitaus weniger talentiert, strahlt aber oberflächlich mehr Souveränität aus. Wilsons Uneitelkeit als Darsteller gestattet es, Roy dabei als schmierig-selbstverliebt dastehen zu lassen – als jemand, der sich Schadenfreude verdient. Zugleich erlaubt es Wilsons amüsierter, fast selbstironischer Blick, diesen neckisch quasselnden Blender trotzdem zu mögen.
Er bestaunt Chon und das Western-Abenteuer-Chaos um ihn herum so goldig, er ist praktisch einer von uns – da verzeihen wir ihm seine Fehler doch glatt! Wie sehr ihr „Shang-High Noon“ seine Schönheitsfehler verzeiht, wie ein paar unnötig forcierte erzählerische Zufälle und stereotypisch skizzierte Nebenfiguren, könnt ihr ja heute Abend beim Fernsehen entscheiden.
Ein zügig erzählter Wohlfühl-Genremix ist euch aber definitiv sicher – und wenn euch der Sinn nach einem berauschenden Trip entlang der Grenzen zwischen Comedy und Drama steht: Der folgende Streaming-Tipp könnte das Zeug dazu haben, euch in Ekstase zu versetzen!
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