Jay Hunt kann bereits auf eine lange Karriere in der Medienwelt zurückblicken. Als einzige Person überhaupt hat sie in ihrer Laufbahn die Programmplanung von gleich drei der bedeutendsten britischen TV-Sender überhaupt (Channel 4, Channel 5 und BBC One) geleitet. Inzwischen ist sie nicht nur Vorsitzende des British Film Institute, sondern hat auch den Sprung in den Streaming-Bereich gewagt, als Kreativchefin ist sie für den Ausbau von Apple TV+ in Europa verantwortlich.
In dieser Funktion hat sich Hunt die Zeit genommen, um hierzulande exklusiv mit FILMSTARTS über die anstehende deutsche Offensive des Anbieters zu sprechen, der in den vergangenen Jahren für solche Serien-Highlights wie „Ted Lasso“, „Severance“ und „Slow Horses“ verantwortlich zeichnete. Mit der Arztserie „KRANK Berlin“ wurde jüngst schon das zweite hiesige Apple Original nach der schwarzhumorigen Comedyserie „Where’s Wanda?“ angekündigt.
In diesem Zusammenhang erklärt uns die Expertin per Video-Call, welche Rolle der deutsche Markt generell für einen Mega-Konzern wie Apple spielt und wo die Streaming-Reise in einem so umkämpften Feld noch hingehen könnte – wobei wir zu Beginn des Gesprächs direkt darauf hingewiesen werden, dass im Hintergrund (wie es sich für einen Konzern dieser Größenordnung gehört) auch noch allerlei PR-Menschen mithören...
FILMSTARTS: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, um mit mir zu sprechen...
Jay Hunt: Natürlich, mit Vergnügen. Es fühlt sich so an, als wären wir bei einem beaufsichtigten Date, aber es ist sehr schön, dich kennenzulernen. (lacht)
FILMSTARTS (lacht): Es fühlt sich ein wenig so an, aber wir schaukeln das schon. Aber bevor wir in deine Strategie für Apple TV+ und insbesondere die kommenden deutschen Originals eintauchen, lass uns zunächst zu etwas Grundlegendem kommen. Was genau macht man als Creative Director bei Apple?
Jay Hunt: Ich leite das Apple-TV+-Team in Europa. Wir suchen großartige Shows von europäischen Geschichtenerzählern und hoffen, sie in Inhalte zu verwandeln, die bei einem weltweiten Publikum Anklang finden.
"KRANK Berlin" betritt Neuland
FILMSTARTS: Dann gehe ich richtig in der Annahme, dass du nun auch die treibende Kraft warst, um „KRANK Berlin“ in das Apple-Portfolio aufzunehmen. Wie kam es dazu und warum hast du dich entschieden, die ja schon vorher in der Produktions-Pileline steckende Serie zu einem der ersten deutschen Apple Originals zu machen?
Jay Hunt: Wenn wir in neue Märkte gehen, sind wir sehr bedacht darauf, was dort bereits vorhanden ist und was das Publikum anspricht, weil wir immer versuchen, mit großartigen Kreativen zusammenzuarbeiten, um Serien zu machen, die ambitioniert und unverwechselbar sind und etwas über die Welt zu sagen haben. Das ist eine große Herausforderung. „KRANK Berlin“ ist eine außergewöhnliche Geschichte von Samuel Jefferson, einem Mann mit enzyklopädischem Wissen über diese Welt. Er war selbst Arzt in der Notaufnahme und hat die Geschichte auf eine Weise zum Leben erweckt, wie ich es noch nie in Deutschland gesehen habe.
Konkurrenz für "Grey's Anatomy"? Nach einigen der aktuell besten Serien kündigt Apple TV+ das nächste Highlight an – aus Deutschland!FILMSTARTS: Deutsche Krankenhaus- und Arztserien gehen meist eher in die Soap-Richtung. Dass es hier anders ist, macht das Projekt allein deswegen schon spannend.
Jay Hunt: Das stimmt. Und besonders in solch überfüllten Genres wie diesem suchen wir immer nach etwas, das auf einem anderen Level ist. Und ich denke, das wird man bei dieser Serie bekommen. Einer der Gründe, warum es so gut zu uns passt, ist die Geschichte der Hauptfigur Dr. Parker. Wir denken ständig darüber nach, was wir mit diesen Serien sagen wollen. Eine Person, die vor ihrer Vergangenheit flieht, in eine stressige Situation gerät und mit sehr schwierigen Dingen klarkommen muss, ist ein spannendes Thema. Es ist gut erzählt und stark gespielt, genau die High-Quality-Serie, die wir für Apple in Deutschland wollten.
FILMSTARTS: Und sicher siehst du darin auch ein gewisses internationales Potenzial, da ihr es ja schließlich weltweit vermarkten werdet.
Jay Hunt: Ja, das ist richtig. Aber wenn wir in lokaler Sprache arbeiten, in diesem Fall Deutsch, machen wir es primär für das deutsche Publikum. Wir finden diese Serien, die in Europa entstehen und hoffen, dass sie international ankommen. Aber bei den deutschen Originals ist das Wichtigste, dass sie beim deutschen Publikum Anklang finden.
Vor "KRANK Berlin" kommt "Where's Wanda?"
FILMSTARTS: Und apropos deutsche Originals: Vor ein paar Monaten wurde bereits „Where’s Wanda?“ angekündigt. Was erwartet uns bei dieser Serie?
Jay Hunt: Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass es eine meiner kommenden Lieblingsserien ist. Es ist ein außergewöhnliches und ungewöhnliches Projekt, das irgendwo zwischen Komödie und Krimi-Thriller angesiedelt ist, mit unglaublichen Leistungen von Heike Makatsch, Axel Stein und Lea Drinda. Es hat einen ungewöhnlichen visuellen Stil und fantastische komische Momente, aber auch viel Tiefe und Emotionen. Es wird eine Geschichte erzählt, die sich für alle Eltern universell anfühlen wird. Es geht darum, wie weit man gehen würde, um sein vermisstes Kind zu finden. Ich freue mich schon sehr darauf, dass das deutsche Publikum es zu sehen bekommt. Auch hier denke ich, dass es so etwas in eurem Markt noch nicht gibt.
FILMSTARTS: Jetzt freue ich mich ebenfalls drauf, gerade als Vater.
Jay Hunt: Ich hoffe wirklich, dass du es magst, denn ich spreche hier von Herzen. Als Elternteil weißt du das, aber wenn deinem Kind etwas passiert, legt sich eine Art rote Wolke über dich und du kannst nicht kontrollieren, was du Wahnsinniges tust, um dein Kind zu retten. Die Serie greift genau das auf, was nicht nur deutsche Zuschauer, sondern Menschen überall ansprechen wird.
FILMSTARTS: Gibt es denn bereits einen Release-Termin dafür?
Jay Hunt: Ja, es wird bald veröffentlicht, aber das Presseteam unseres Blind Dates wird sauer, wenn ich das genaue Datum verrate. Es dauert aber nicht mehr lange.
FILMSTARTS: Wird hinter den Kulissen denn schon an weiteren deutschen Apple-Formaten gearbeitet, vielleicht ja auch an einem Film? Oder wartet ihr erst einmal ab, wie die ersten zwei Serien ankommen werden?
Jay Hunt: Wir haben ein starkes Team in München, das an mehreren weiteren Projekten in vielen verschiedenen Genres arbeitet. Bei Apple geht es immer um Qualität, nicht um Quantität. Wir hetzen nicht in die Märkte und produzieren dort Massen an Inhalten. Wir sind sehr bedacht bei dem, was wir machen, und wollen sicherstellen, dass es eine hochwertige Auswahl ist. Auch wenn wir deutsche Originals machen, möchten wir, dass das Publikum sich auf dem Bildschirm wiedererkennt und Qualität bekommt.
Qualität statt Quantität
FILMSTARTS: Ein schöner Vorsatz. Aber ist es denn wirklich möglich, sich weiter auf Qualität statt Quantität zu fokussieren, gerade um profitabel zu sein? Diesen Fokus haben ja auch schon andere Streaminganbieter über die Jahre verloren...
Jay Hunt: Das Konzept im Kern von Apple TV+ ist sehr anders als bei anderen Streamern. Es war schon immer ein stark kuratiertes Angebot, und wir arbeiten sehr eng mit Kreativen zusammen, um Formate zu produzieren, von denen wir glauben, dass sie das Publikum begeistern werden. So wurde der Dienst angelegt, und wir waren konsequent in unserem Ansatz. Du wirst also nicht plötzlich eine Flut von Serien in Deutschland sehen.
Wir werden sie sehr sorgfältig gestalten, und wenn wir etwas haben, von dem wir glauben, dass es das Publikum ansprechen wird, dann werden wir es machen. Aber wir freuen uns, dass wir die ersten zwei deutschen Originalproduktionen angekündigt haben und wir so weitermachen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Qualität, die wir mit diesen ersten beiden setzen, beibehalten können.
FILMSTARTS: Ich drücke die Daumen. In unserer täglichen Arbeit auf FILMSTARTS ist es fast schon ärgerlich zu sehen, dass Apple-Produktionen oft noch kein so großes Massenthema sind, obwohl es bei Apple TV+ so viele großartige Serien gibt. Einfach weil der Dienst hierzulande nicht so etabliert ist wie in den USA. Gibt es eine spezielle Strategie, um dem entgegenzuwirken, abgesehen von den lokalen Originalproduktionen?
Jay Hunt: Wir sind noch ein sehr junger Dienst. Ich bin seit sechs Jahren hier, und im ersten Jahr habe ich komplett alleine für ganz Europa gearbeitet. Wenn man sich auf Qualität konzentriert, findet man nicht über Nacht Serien, die unseren Anforderungen entsprechen. Wir haben uns Zeit genommen, waren durchdacht, und jetzt produzieren wir deutsche Originale. Deutschland ist ein sehr bedeutender Markt für Apple TV+, und es ist aufregend zu sehen, dass auch schon viele der in englischer Sprache produzierten Serien bei den Zuschauern dort Anklang finden.
Nicht alles auf der Plattform entspricht natürlich jedem persönlichen Geschmack. Aber ich denke, die deutschen Konsumenten sehen auch dann die Ambition und die Produktionswerte in diesen Serien. Und das ist absolut entscheidend dafür, was uns von anderen Plattformen unterscheidet.
Kann Apple seine kostspielige Qualitätsoffensive beibehalten?
FILMSTARTS: Wie siehst du die Entwicklung des Streaming-Marktes im Allgemeinen, besonders als jemand, der auch so viel Erfahrung in der klassischen TV-Welt hat? Wird Streaming mit so vielen Plattformen heutzutage und immer mehr Werbung letztlich zu dem zurückkehren, was wir vom alten TV-Modell kennen? Oder wird es immer noch die strahlende neue Streaming-Welt bleiben?
Jay Hunt: Ich kann leider nicht in meine Kristallkugel schauen und dir sagen, was passieren wird. Eine der tollen Sachen bei Apple ist, dass es zu einer Investition von Millionen und Abermillionen Dollar in europäische Kreativität geführt hat. Ich habe meine gesamte Karriere im europäischen Kreativsektor aufgebaut und es ist absolut aufregend, ein solches Maß an Investitionen zu sehen, mit denen Kreative – ob Produzenten, Regisseure, Künstler, Grafikdesigner, Produktionsdesigner – die Möglichkeit haben, an so ambitionierten Projekten zu arbeiten, was vor vielen Jahren einfach nicht möglich gewesen wäre. Also ich weiß nicht, wie sich das alles entwickeln wird, aber ich bin wirklich zuversichtlich, dass wir weiterhin in europäisches Storytelling und in deutsche Originals investieren werden.
FILMSTARTS: Wie wird die weitere Apple-Strategie im Hinblick auf länger dauernde Serien aussehen? Ist dort noch Potenzial oder geht der Trend eher zu kürzeren Formaten oder gar zu Miniserien?
Jay Hunt: Wenn wir Serien finden, die diese Qualität konstant liefern und Erfolg haben, investieren wir absolut langfristig in sie. Wenn das Publikum eine Serie wie etwa „Slow Horses“ oder „Hijack“ liebt und wir zuversichtlich sind, dass wir eine wirklich außergewöhnliche Erzählung haben und wir da noch mehr rausholen können, dann werden wir das tun. Denn ich denke, die Leute lieben es, zu den Ensemble-Besetzungen zurückzukehren, in die sie sich in Staffel 1 verliebt haben.
FILMSTARTS: Im Streaming-Zeitalter muss man inzwischen ja leider oftmals lange auf eine Serienfortsetzung warten. Gibt es da Potenzial, den Prozess etwas zu beschleunigen?
Jay Hunt: Dazu kann ich dir eine sehr deutschlandspezifische Geschichte erzählen: Die Zeit zwischen der Bestellung von „Where’s Wanda?“ und dem nun fast anstehenden Release ist eine der kürzesten, die wir je hatten. Ich kann dem deutschen Produktionssektor also kein größeres Kompliment machen als zu sagen, dass Sie unglaublich gut darin waren, etwas sehr gut und sehr schnell umzusetzen. Einer der Gründe, warum ich gerne in Europa arbeite, ist, dass wir flink sein können, wir können schnell auf den Markt kommen, wir können sehr effizient im Preis sein und wir können großartige Shows machen, die den US-Produktionen in nichts nachstehen und ein großes globales Publikum erreichen. Deutschland geht da mit gutem Beispiel voran.
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