Kino bietet nicht nur Realitätsflucht in magische Welten, sondern kann auch dazu beitragen, einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen – und aktuelle politische, religiöse oder kulturelle Probleme in anderen Ländern noch einmal in einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Im Idealfall bieten diese neuen Denkanstöße oder schaffen es, eine Problematik differenziert zu beleuchten. Es gibt jedoch auch Filme, die in erster Linie emotionalisieren wollen. Statt den Zuschauer*innen zuzugestehen, selbst die (moralisch) richtigen Schlüsse zu ziehen oder sich mit dem aufgezeigten Dilemma zu beschäftigen, werden diese hier durch das Gezeigte auf der Gefühlsebene manipuliert.
In den letzten Jahren ich einige Vertreter des emotionalen Erpressungskinos im Lichtspielhaus erlebt. So beispielsweise „The Old Oak“ von Regie-Altmeister Ken Loach, der sich in seinen Filmen schon immer mit sozialer Ungerechtigkeit auseinandergesetzt hat, hier aber über eine Schmonzette mit plattem Zusammenhalts-Appell nicht hinauskommt oder „Der Zopf“ von Laetitia Colombani.
Und versteht mich nicht falsch – im Kern und Grundgedanken stimme ich oftmals mit den gezeigten Sachverhalten überein. Jedoch macht es mir die Herangehensweise an das Thema aber einfach schlichtweg unmöglich, das Gesehene wirklich zu mögen.
In diesem Jahr ist mir besonders Agnieszka Hollands „Green Border“ als Negativbeispiel in Erinnerung geblieben. Ein Film über die sich langsam entwickelnde Festung Europa, der die teils katastrophalen Zustände an der Grenze zwischen Polen und Belarus zeigt. Hier werden Menschenleben zu einem Spielball moderner Kriegsführung. Ein wichtiges, hochbrisantes und aktuelles Thema, das auch im Kino seinen Platz besitzt.
Natürlich muss man den Film nicht schlecht finden. Im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig 2023 feierte „Green Border“ seine Premiere und wurde dort gleich mehrfach ausgezeichnet. Und auch bei einem großen Teil der Fachpresse kam das Drama sehr gut an, besitzt beispielsweise einen RottenTomatoes-Score von 89 Prozent.
Das ist "Green Border"
Das sumpfige Waldgebiet zwischen Polen und Belarus wird als „Green Border“ (grüne Grenze) bezeichnet. Wer von Belarus in die Europäische Union gelangen will, der muss es durch dieses lebensfeindliche Gebiet schaffen. Viele Menschen werden aus dem Nahen Osten und Afrika werden vom belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko unter Vorgaukelung falscher Tatsachen ins Land gelockt – ihnen wird beispielsweise eine einfache Einreise in die EU versprochen.
Ein fataler Irrglaube, der die Hilfesuchenden zum politischen Spielball werden lässt, die immer wieder und wieder zwischen den Grenzen hin- und hergeschoben werden. Im Film stehen sowohl Flüchtende als auch die Aktivist*innen im Handlungsmittelpunkt, die versuchen, etwas gegen diesen Wahnsinn zu unternehmen.
Emotionale Erpressung durch eine einseitige Darstellung
„Green Border“ ist für mich ein Paradebeispiel des emotionalen Erpressungskinos – eine Art von Film, die zwar oftmals moralisch richtige Standpunkte vertritt, durch eine einseitige Beleuchtung des Themas aber auch keine andere Meinung zulässt. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem behandelten Sachverhalt ist somit ausgeschlossen. Andere Ansichten und differenzierte Sichtweisen werden durch diese Herangehensweise bereits im Keim erstickt – und im schlimmsten Fall sogar dämonisiert.
Statt dem Thema also wirklich Raum zu geben, vielleicht sogar eine unbequeme Wahrheit anzupacken, wird von vornherein eine klare Haltung angenommen, die mit fortlaufender Spieldauer immer weiter bestärkt wird.
Wenn hier eine schwangere Frau über den Grenzzaun geworfen wird – und leider halte ich solche Verbrechen nicht einmal für unwahrscheinlich – bin ich natürlich geschockt, wie sollte ich das auch nicht sein? Ich persönlich habe mich in diesen Momenten in meiner Wahrnehmung der Missstände durchaus bestätigt gefühlt. Aber ist es nur das, was ich von solch einem Film möchte? Sollte das Kino zu meiner persönlichen Echokammer werden?
Schwarz-Weiß-Denken schadet der Sache
Ich bin der Überzeugung, dass bei solch komplexen Sachverhalt ein reines Schwarz-Weiß-Denken fehl am Platz ist. Es zu einfach und hilft der Sache nicht, wenn hier der größte Teil der Grenzsoldat*innen als sadistische Schweine dargestellt werden, die ohne Skrupel unmenschliche Verbrechen begehen und sich am Leid der flüchtenden Familien, ältere Personen und hochschwangere Frauen erfreuen. Das halte ich nämlich für ausgemachten Schwachsinn.
Alles an dem Film, die Bilder, die präsentierten Schicksale lassen nur einen Schluss zu – und wer auch nur leicht anders denkt, liegt falsch. Hier wird nicht das moralische Dilemma in den Vordergrund gerückt, in dem wir uns als Gesellschaft befinden (und an dem wir gerade zu zerbrechen drohen), sondern eine Haltung vorgegeben, die die Zuschauer*innen gefälligst zu teilen haben – und das uneingeschränkt.
Diese unreflektierte Auseinandersetzung mit solch hochbrisanten Themen hilft jedoch in der Lösungsfindung nicht weiter, bestätigt lediglich bereits bestehende Sichtweisen, und räumt gegenteiligen Meinungen keinerlei Verständnis ein. Ich jedenfalls ärgere mich inzwischen im Kinosessel nur noch über solch platte Beiträge zu politischen Brennpunkten und fühle mich auf eine unangenehme Art und Weise manipuliert. Dennoch sollten solchen Themen natürlich gerade in einem öffentlichen Raum wie dem Lichtspielhaus weiterhin behandelt werden.
Wie man sich einem grausamen Kapitel der Menschheitsgeschichte passend annähert und dieses sogar filmisch hoch spannend umsetzt, hat „The Zone Of Interest“ von Jonathan Glazer gezeigt. Für mich sogar der bisherige Film des Jahres, der in meinen Augen sogar die Höchstnote verdient hätte. Wer das experimentelle Drama im Kino verpasst hat, kann das jetzt in den eigen vier Wänden nachholen:
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