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    Heute Abend streamen: Geheimtipp mit echtem Sex ungekürzt bei Amazon Prime Video & Co.
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Dieser Film ist unverblümtes Zeitgeistporträt, atmosphärischer Szeneabstecher und einfach famos illustriert. Vor allem aber ist „Shortbus“ aufgrund seiner nicht simulierten Sexszenen bekannt – schließlich kulminiert er in einer unbeschwerten Orgie.

    Eigentlich ist „Tatsächlich… Liebe“ ein Ensemblefilm: Es geht um eine Vielzahl an Figuren, deren Wege sich kreuzen. Doch oft werden Richard Curtis' romantische Dramödie und ihre Nachfolger im Geiste als Episodenfilm bezeichnet – ein Begriff, der einst für Filme mit aufeinanderfolgenden, abgeschlossenen Geschichten stand. Wie die zotige Farce „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ oder Martin Scorseses, Francis Ford Coppolas und Woody Allens „New Yorker Geschichten“.

    Ein weiterer „Tatsächlich... Liebe“-Irrtum: Die von Martin Freeman und Joanna Page gespielten Figuren befinden sich entgegen mancher Zusammenfassungen nicht an einem Porno-Set. Sie sind bloß Lichtdoubles für einen Film mit Nacktszenen.

    Drei Jahre nach „Tatsächlich... Liebe“ erschien jedoch ein Episodenfilm (im neuen Sinne), der das bietet, was sich viele fälschlich beim Lichtdouble-Kapitel ausmalen – und weit darüber hinaus! DennShortbus“ ist quasi das Hardcore-„Tatsächlich... Liebe“, ein Dickicht sich kreuzender Episoden voller Begehren, dem Austesten neuer Horizonte und realem Sex. „Shortbus“ ist als Video-on-Demand verfügbar, etwa bei Amazon Prime Video.

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    "Shortbus": Auf der Suche nach dem Höhepunkt

    Wie eng sind Liebe und sexuelle Erfüllung verknüpft? Diese Frage drängt sich Sofia (Sook-Yin Lee) förmlich auf. Denn die mit dem äußerst akrobatischen Rob (Raphael Barker) verheiratete Beziehungstherapeutin hatte noch nie einen Orgasmus! Als Jamie (PJ DeBoy) und James (Paul Dawson) Sofia um Rat bezüglich einer offenen Beziehung bitten, setzt sich eine Kettenreaktion in Gang: Jamie und James lassen sich auf Ex-Model und Hobbysänger Ceth (Jay Brannan) ein, wobei sie vom Voyeur Caleb (Peter Stickles) beobachtet werden.

    Sofia indes werden von Severin (Lindsay Beamish) die Augen geöffnet: Die ist eine Domina mit erfülltem Sexleben, die sich dennoch einsam und ungeliebt fühlt. All diese Geschichten verknüpfen sich letztlich im Varieté-Swingerclub Shortbus, wenn Gesangs- und Moderationstalent Justin Vivian Bond die Hungry March Band begrüßt, während das Publikum der Fleischeslust frönt...

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    Wäre es nicht so schwer, ein Publikum zu finden, das beiden Filmen gegenüber aufgeschlossen ist, wären „Tatsächlich... Liebe“ und „Shortbus“ ein perfektes Double Feature. Denn genau so, wie der Festtagsfilm mehrere Facetten der Liebe schildert (von unerwiderter Schwärmerei über jugendlichem Herzklopfen bis hin zur eingefahrenen Ehe), erkundet John Cameron Mitchell in „Shortbus“ ein schillerndes Spektrum der Sexualität.

    Das bezieht sich auf bevorzugte Praktiken, erotisierte Leidenschaften, innere Gelüste und (mangelnde) Erfüllung, ebenso wie auf sexuelle Orientierungen: In „Shortbus“ treten zahlreiche Identitäten nebeneinander und miteinander auf – mit einer innigen sowie fast beispiellosen Selbstverständlichkeit. Ein Jammer, wie selten es seit 2006 eine ähnlich unverfängliche, sensible und im mehrfachen Wortsinne hautnahe Schilderung verschiedenster sexueller Erfahrungshorizonte sowie Vorlieben zu sehen gab.

    Ganz und gar nicht jämmerlich ist derweil, wie sich Mitchell und Kameramann Frank G. DeMarco dem Cast nähern: „Shortbus“ ist famos gefilmt und findet behände das Mittel zwischen schmeichelnden Blickwinkeln sowie vorteilhaft-sinnlicher Lichtsetzung einerseits, und einer direkten, enthüllenden Beobachtung andererseits. Die traumhafte, anspornende, einfühlsame und gelegentlich andersweltliche Musik (unter anderem von Yo La Tengo und Scott Matthew) unterstreicht diesen Balanceakt intuitiv sowie effektiv.

    Denn obwohl „Shortbus“ mit einer Vielzahl an unsimulierten Sexszenen aufwartet, dienen diese nicht dem erotisierenden Selbstzweck. Stattdessen illustrieren sie unmissverständlich, wie vielfältig Sex wirken kann und dienen der voranschreitenden Charakterzeichnung. Der Sex in „Shortbus“ offenbart sich als hedonistisch, sehnsüchtig, Nähe suchend, mit Passion dienend, zerebral, empathisch, körperbetont, Trost spendend und ekstatisch.

    Allein, wie Mitchell diese Bandbreite enthüllt, macht „Shortbus“ zu einem Höhepunkt in seinem (zugegebenermaßen spezifischen) Genre. Dass er aber nicht nur die Vielseitigkeit des Geschlechtsakts spüren lässt und dadurch das Innenleben der Figuren, sondern obendrein weit mehr erfahrbar macht, verhilft ihm zu einem noch denkwürdigeren Nachglühen.

    Heilender Zeitgeist in Form wollüstiger Aufbruchstimmung

    Nicht nur, dass in „Shortbus“ sexuelle Begegnungen implizierte (oder metaphorische) Auswirkungen auf die Wirklichkeit der Figuren haben, wie etwa ein zeitlich perfekt abgestimmter Stromausfall suggeriert: Viele explizite Filme, die sich eher ans Programmkino- als ans Pornoseiten-Publikum richten, haben einen betrüblichen Charakter. Wie der harsche französische Sex-Thriller „Baise-moi (Fick mich!)“, Gaspar Noés ebenso plastisches wie von Unglück durchzogenes Drama „Love“ oder die zweite Hälfte von Lars von Triers Sexsucht-Epos „Nymphomaniac“.

    „Shortbus“ hingegen ist zwar nicht frei von melancholischen, bittersüßen Augenblicken – was nur konsequent ist. Sex kann schließlich mehr als Triebbefriedigung und Euphorie ausdrücken. Insgesamt dominiert allerdings eine aus anfänglicher Verletzbarkeit hervor dringende, optimistische Note. Der Glaube, dass sexuelle Zufriedenheit gewiss greifbar ist und ein Sorgen zerstörender oder zumindest beschwichtigender Befreiungsschlag bevorsteht. Was kurioserweise zurück zu „Tatsächlich... Liebe“ führt!

    Beide Filme eint, dass sie sich allmählich wieder aufkeimender Hoffnung nach 9/11 annehmen. Der britische Weihnachtsklassiker beginnt mit einem Monolog über Telefonate, die angesichts der Terroranschläge rausgingen und wie sie vergewissern, dass es tatsächlich Liebe ist (und nicht etwa Verachtung), die sich durchsetzt und überall finden lässt. Der restliche Film ist eine warmherzige, mitunter bittersüße Auseinandersetzung damit, dass auf romantische Rückschläge zumeist ein herzliches, lebensbejahendes Gefühl folgt.

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    „Shortbus“ setzt drei Jahre später an und spielt obendrein im (als stilisierte, vibrierende Modellstadt dargebotenen) Big Apple: Mitchell zeigt ein pulsierendes Allerlei an New Yorker Charakterköpfen. Und die atmen vor ihrem ultimativen Abstecher in den titelgebenden, labyrinthartigen Szenesalon Luft, in der Verletzlichkeit, Erschütterung und Schwermut liegen. Die Beklommenheit und Angst der Post-9/11-Phase ist ebenso zu spüren, wie (als viel ferneres Echo) das Trauma der von ignoranter Politik viel zu spät behandelten AIDS-Krise.

    Das äußert sich meist unausgesprochen, in raren Augenblicken mit wenigen Silben. Aber nach und nach tut die surreale Bohème-Atmosphäre der labyrinthartigen Swinger-Eventlocation ihren Dienst, ebenso wie der heilsame, erfüllende Sex verschiedenster Temperatur und Couleur seine Wirkung zeigt. Sorgen, die sonst ihre Schatten auf die Figuren werfen, werden aus der Welt geschaffen oder zumindest vorerst überstrahlt.

    Somit zeigt „Shortbus“ nicht nur den Effekt, den gewiss so manche Personen schon immer durch Sex erfahren wollten, aber bisher nicht einzufordern wagten. Sondern erzählt zugleich eine im Kern universelle, in der Umsetzung spezifisch zeitgeistige New Yorker Geschichte: Vom Suchen und Finden erleichternder Ekstase im Anschluss an eine Krise.

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