„The Continental: Aus der Welt von John Wick“ erzählt die Vorgeschichte einer wichtigen Figur aus der Welt des von Keanu Reeves verkörperten Auftragskillers: Der in der Kinoreihe von Ian McShane verkörperte Hotelmanager Winston Scott ist in der Streaming-Serie rund 50 Jahre jünger (und aus irgendwelchen Gründen auch mindestens zehn Zentimeter größer). Und er leitet in der größtenteils in den 1970er-Jahren angesiedelten Geschichte noch nicht das Continental, sondern lernt es selbst erst kennen.
Zu Beginn ergaunert sich Winston Scott (Colin Woodell) noch ein recht glamouröses Leben in London, als er plötzlich entführt wird und mitten im New Yorker Hotel Continental landet. Dessen Manager Cormac (Mel Gibson) ist mächtig sauer: Winstons Bruder Frankie (Ben Robson) hat ihn beklaut. Obwohl er ihn seit Jahren nicht mehr gesehen hat, soll Winston seinen Bruder aufspüren.
Doch Winston hat andere Pläne, schließlich hat Cormac einst ihre Familie zerstört. Noch ahnt der immer gut gekleidete junge Mann nicht, mit wem er sich da wirklich anlegt. Denn was Frankie geklaut hat, ist einer sehr mächtigen Organisation sehr wichtig, weswegen diese bereits einen Adjudicator (Katie McGrath) geschickt hat, um aufzuräumen...
Es beginnt mit Action auf den Spuren von "John Wick"...
Nach einem Prolog in den 1950er-Jahren sowie einer Szene, die uns zeigen soll, dass die 1970er-Jahre richtig wild waren (auf den Fluren des Continental haben Menschen Sex und auf der riesigen Party wird ungehemmt das Koks in die Nase gezogen), bietet „The Continental“ erst mal Action satt.
Wenn Frankie nach dem Prolog eine Maschine klaut, mit welcher die aus dem „John Wick“-Universum bestens bekannten Münzen hergestellt werden, muss er sich nach einem Verrat durch seinen Partner einmal quer durch die Hotelflure metzeln. Das ist zwar nicht ganz so gelungen wie im Kino, aber immerhin eine ordentliche Action-Choreografie mit vielen blutigen Kopfschüssen aus kurzer Distanz, wie man sie aus den Filmen kennt.
… und wird schnell zur recht drögen Sache
Doch wer sich nun das Action-Dauerfeuerwerk erwartet, für welches die „John Wick“-Reihe so bekannt ist, wird enttäuscht. „The Continental“ verwendet anschließend unglaublich viel Zeit darauf, viel zu viele Nebenfiguren einzufügen. Da gibt es unter anderem die Polizistin KD (Mishel Prada), die trotz der Warnungen ihres Kollegen anfängt, in der Welt des Continental herumzuschnüffeln.
Oder es gibt den Vietnam-Veteranen Miles (Hubert Point-Du Jour), der mit seiner Schwester Lou (Jessica Allain) und Kumpel Lemmy (Adam Shapiro) einen Waffen-Schmuggelring aus einem Kampfsport-Dojo heraus betreibt.
Das Problem ist nicht nur die Existenz dieser Figuren, sondern der (misslungene) Versuch, ihnen noch viel zu viel Hintergrundgeschichte mitzugeben. Da wird eine lange Szene darauf verwendet, um die Affäre von KD mit ihrem älteren Kollegen Mayhew (Jeremy Bobb) einzuführen und auch die Geschwister lernen wir kennen, wie sie sich bei einem aus dem Ruder laufenden Waffendeal Feinde machen (zumindest mit etwas Action versehen).
Immerhin beschränkt man sich beim skurrilen Auftragskiller-Geschwisterpaar Hansel (Mark Musashi) und Gretel (Marina Mazepa) darauf, vor allem mit Bildern zu betonen, dass die ziemlich weird sind – ohne da auch noch viel zu viele (und zu lange) Erklärdialoge aufzufahren.
Natürlich wird einiges davon – so viel darf an dieser Stelle bereits verraten werden - später wichtig. Aber wenn fast die komplette 87 Minuten lange erste Episode nur dazu dient, Leute vorzustellen, dürften einige „John Wick“-Fans wenig Lust haben, sich die nächsten beiden Wochen auch die zwei weiteren Episoden mit 80 bzw. 97 Minuten Länge anzuschauen. Zumal auch diese voll mit Füllszenen sind – auch wenn sie immer wieder unterbrochen werden von ordentlichen Actionszenen.
Dass „The Continental“ weniger Action bietet, als man es von einem Eintrag in das „John Wick“-Franchise erwarten würde, ist aber das geringere Problem. Die meisten Figuren sind einfach uninteressant und belanglos.
Es ist egal, was ihnen widerfährt - zumal nach der ersten Folge schon absehbar ist, wie all die Fäden zusammenlaufen werden. Dazu kommt ein Prequel-Problem: Wo Winston und sein späterer, hier noch als rechte Hand von Bösewicht Cormac eingeführter Concierge Charon (Ayomide Adegun) am Ende ungefähr landen werden, ahnen wir ja schließlich.
Ein interessanter Schauplatz – zu wenig Musik
Daneben mühen sich der für die erste und dritte Episode verantwortliche Albert Hughes („The Book Of Eli“) sowie die den Mittelteil inszenierende Charlotte Brändström („Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“) redlich, Bilder zu erzeugen, die an die Kinofilme erinnern. Es gelingt ihnen aber zu selten. Das völlig heruntergekommene und verdreckte New York der 1970 mit all seinen desillusionierten Bewohner*innen bildet zwar einen interessanten Schauplatz, der dann aber doch zu selten wirklich gelungen in Szene gesetzt wird.
Dazu kommt ein Soundtrack, der uns mit mal gelungenen, mal völlig deplatzierten Needle Drops alle fünf Minuten an die Zeit erinnert, in welcher der Film spielt, und ein eher blasser Cast, aus dem nur wenige Glanzpunkte herausstechen: Jessica Allain als Waffenhändlerin wider Willen sowie Kate Nhung als Frankies aus dem Vietnamkrieg mitgebrachte Frau schaffen es noch am ehesten, Figuren zu prägen, für die man sich interessiert. Ein Totalausfall ist Mel Gibson, der den einfach nur bösen Fiesling mehr als dröge herunterspielt.
Die „The Continental“-Auftaktfolge „Nacht Eins“ könnt ihr ab heute bei Amazon Prime Video streamen. Am 29. September folgt dann die zweite Episode „Nacht Zwei“. Am 6. Oktober endet die Serie dann mit „Nacht Drei“.
"Ich will endgültig getötet werden": Keanu Reeves wollte in "John Wick 4" unbedingt sterben – eine Rückkehr ist dennoch möglich*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.