Ob „Wie ein wilder Stier“, „The King of Comedy“, „GoodFellas“, „Silence“ und viele mehr: Das Schaffen von Martin Scorsese ist gespickt mit unzähligen Meisterwerken. Seinen besten Film hat der italo-amerikanische Regisseur meiner Meinung nach allerdings mit der tieftraurigen Großstadt-Ballade „Taxi Driver“ von 1976 abgeliefert, der heute, am 14. August um 20.15 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird. Ohne Werbeunterbrechungen!
Darum geht es in "Taxi Driver"
Travis Bickle (Robert De Niro) kehrt traumatisiert aus dem Vietnamkrieg zurück. In New York verdingt er sich als Taxifahrer und ist frei von Träumen, Wünschen und Ambitionen. In seiner Freizeit besucht er Pornokinos und verschreckt damit seine einzige Bekanntschaft Betsy (Cybill Shepherd) nachhaltig.
Die Erfahrungen aus dem Krieg lassen Travis einfach nicht los und er steigert sich zusehends in die Wahnvorstellung, New Yorks Straßen vom menschlichen Abschaum säubern zu müssen. Als es ihm nicht gelingt, eine miderjährige Prostituierte (Jodie Foster) zu bekehren, rüstet sich der verstörte Mann mit mehreren Pistolen aus und plant einen blutigen Amoklauf...
So hängen "Joker" und "Taxi Driver" zusammen
Ich renne natürlich offene Türen ein, wenn ich sage, dass „Taxi Driver“ zu den Sternstunden des amerikanischen Kinos gehört. Auch in der offiziellen FILMSTARTS-Kritik wird mit 5 von 5 Sternen die Höchstwertung vergeben – und erklärt den Film damit zu einem der besten aller Zeiten. Interessant für ein jüngeres Publikum ist jedoch, dass „Taxi Driver“ entscheidenden Einfluss auf Todd Phillips' „Joker“ genommen hat, der 2019 zu einem gigantischen Erfolg avancierte.
Dabei hat sich Todd Phillips nicht nur an der Ästhetik besudelter Straßen einer längst vergangenen New-York-City-Ära bedient, die die Metropole zu einem elendigen Sumpf aus Unzucht und Amoral erklärt. Auch Arthur Fleck (oscarprämiert: Joaquin Phoenix) und Travis Bickle ähneln sich in ihrer Persönlichkeitsstruktur, weil sie beide zwei vom Leben vergessene Außenseiter darstellen, denen die Einsamkeit der Großstadt nach und nach ins Hirn sickert.
Beide fassen den Entschluss, ein Zeichen zu setzen. Während „Joker“ dabei eine Ikone in Form gießt, bereitet „Taxi Driver“ einen Pfad in die Finsternis, in der das Hoffen auf einen kräftigen Regen, der die Straßen endlich wieder reinwäscht, nur dazu führt, dass Travis seine eigene Erbärmlichkeit offenlegt. Als Charakter-Studie greift „Taxi Driver“ auch umso tiefer, weil er nicht auf vulgärpsychologische Erklärungen angewiesen ist.
Eine unvergessliche Charakterstudie
Lange Zeit funktioniert Martin Scorseses Meilenstein als eindringlicher Befindlichkeitsfilm, der ein Gefühl dafür schafft, wie es gewesen sein muss, in den 1970er-Jahren in New York unterwegs zu sein. Der widerliche Gestank, die absurden Müllberge, die Drogensüchtigen, die sich auf offener Straße einen Schuss setzen und die (oftmals minderjährigen) Prostituierten, die zu fremden Männern in die Autos steigen und danach nie wieder gesehen wurden.
Aus diesem Stimmungsbild formen Martin Scorsese und Drehbuchautor Paul Schrader eine Reflexion über Einsamkeit, die von Wut in Wahnsinn umschlägt. Was „Taxi Driver“ dabei so hervorragend gelingt, ist die Ambivalenz des von Robert De Niro phänomenal verkörperten Travis Bickle: Eigentlich besitzt er noch das nötige Mitgefühl, um sich Menschen durch seine Hilfe annähern zu wollen, doch dieser Veteran ist verloren in sich selbst. So sehr, dass er glaubt, blanke Gewalt wäre ein legitimes Kommunikationsmittel.
Obwohl Travis die Nachtwelt von New York hasst, stürzt er sich immer wieder aufs Neue in sie – und wird durch seine Besuche der Pornokinos nach und nach Teil der hemmungslosen Kultur, die er so verachtet. In Wahrheit bekämpft Travis letzten Endes nicht die Abgründe einer verwahrlosten Gesellschaft, sondern nur sich selbst – und genau diese packende Zwiespältigkeit erhebt „Taxi Driver“ zu einem echten Meisterwerk.
Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.