Das Action-Meisterwerk „Speed“ von 1994 ließe sich auch treffend mit "Halt. Nicht. An!" untertiteln – schließlich muss der Sprengstoffexperte Jack Traven (Keanu Reeves) darin einen Linienbus stets mit mindestens 80 km/h durch Los Angeles fahren, um die Detonation einer unter dem Bus montierten Bombe zu verhindern. In Christian Alvarts temporeichem Action-Thriller „Steig. Nicht. Aus!“, den ihr per Netflix-Abo streamen könnt, liegt der Fall auf den ersten Blick ähnlich – doch eine müde Kopie des in unserer FILMSTARTS-Kritik mit 5 Sternen geadelten Hollywood-Vorbilds ist die adrenalinschwangere deutsche Kinoproduktion von 2018 keineswegs.
Darum geht es in "Steig. Nicht. Aus!"
Der für eine Immobilienfirma tätige Projektentwickler Karl (Wotan Wilke Möhring) setzt sich morgens mit seinen Kindern Josefine (Emily Kusche) und Marius (Carlo Thoma) in seinen SUV, um die beiden auf dem Weg ins Büro an der Schule abzusetzen. Daraus wird allerdings nichts, denn kurz nach der Abfahrt meldet sich auf seinem Handy ein Anrufer mit unterdrückter Nummer: Ein Erpresser behauptet, er habe heimlich Bomben unter den Sitzen des Fahrzeugs montiert und fordert die sofortige Überweisung eines hohen Geldbetrags von Karl.
Der Berliner Familienvater schwebt plötzlich mit seinen Kindern in Lebensgefahr: Steht einer der drei während der Fahrt auf oder wagt einen Fluchtversuch aus dem Auto, hätte das direkt eine Explosion zur Folge. In Todesangst versucht Karl, die aufwändige Überweisung der Summe in die Wege zu leiten – muss aber feststellen, dass seine Frau Simone (Christiane Paul) telefonisch nicht zu erreichen ist und sein Chef Omar Cicek (Fahri Yardim) offenbar denselben Erpresser an der Strippe hat…
Eine Hetzjagd durch Berlin
Wer ortskundig ist oder mal die üblichen Touri-Spots in Berlin abgeklappert hat, dürfte viele Locations wiedererkennen: „Steig. Nicht. Aus!“ bietet packende Thriller-Unterhaltung an berühmten Orten der Spree-Metropole.
Der unter Hochspannung stehende Karl, dessen private und berufliche Lebenslügen durch die Telefongespräche nach und nach ans Licht kommen, braust mit seinem Auto durch die Hauptstadt und stoppt unter anderem vorm Holocaust-Mahnmal oder nahe der Museumsinsel. Prachtvolle Panoramen fangen auch den Fernsehturm am Alex ein. In der zweiten Filmhälfte verlagert sich das Geschehen dann auf den Gendarmenmarkt, weil die Polizei irgendwann auf Karl aufmerksam wird und ihn direkt vorm Konzerthaus in die Enge treibt.
Bis zu diesem Zeitpunkt stellt man sich manchmal die Frage, warum Karl mit dem Smartphone am Ohr überhaupt so aufs Gaspedal drückt: Statt sich in Ruhe auf einen Parkplatz zu stellen und telefonisch das Geld aufzutreiben, braust er hektisch von A nach B. Über kleinere Logiklöcher – in welchem Actionfilm gibt es sie nicht – muss man also hinwegsehen können.
Das fällt aber leicht. Denn geschickte Handlungskniffe und die erstklassige Kamera bringen ordentlich Dynamik ins Geschehen: Mal bedrängen Karl neugierige Schulkinder, mal muss er von einem Tatort fliehen, der ein anderes Opfer das Leben kostet. So wird die Story nie zum reinen Telefon-Kammerspiel á la "Nicht auflegen!" und auch nie zur befürchteten „Speed“-Kopie.
Bestens besetzt – auch in den Nebenrollen
Auf der Rückbank krakeelen die Kinder, vorne droht der Bombenleger mit Auslöschung: Karl ist in seiner Ausnahmesituation wahrlich nicht zu beneiden. Hauptdarsteller Wotan Wilke Möhring darf bei diesem pausenlosen Psychoterror eine ausgiebige Kostprobe seines Mienenspiels geben, wenngleich seine Figur nicht sonderlich vielschichtig angelegt ist.
Ein Kompliment ist auch der jungen Emily Kusche zu machen, die als pubertierende Tochter groß aufspielt. Die Nebenrollen sind ebenfalls überzeugend besetzt; zum Cast zählen neben Christiane Paul und Möhrings „Tatort“-Kollegen Fahri Yardim etwa klangvolle Namen wie Hannah Herzsprung, Mavie Hörbiger oder Aleksandar Jovanovic.
Das ganz große Spektakel bietet "Steig. Nicht. Aus!" im Vergleich zu bildgewaltigen Hollywood-Blockbustern zwar nicht – Regisseur und Drehbuchautor Christian Alvart, der mit Wotan Wilke Möhring bereits 2005 bei dessen erster Kino-Hauptrolle "Antikörper" zusammenarbeitete und für sein Drehbuch den spanischen Film "Anrufer unbekannt" adaptierte, holt dennoch viel aus dem Budget und den limitierten Settings heraus.
Die Spannungsschraube zieht er kontinuierlich an, eine Wendung beim Showdown kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Und Alvarts unmissverständliche Gentrifizierungskritik, die sich bei der Auflösung zunehmend Bahn bricht, hat seit dem Kinostart des Films im Jahr 2018 nichts von ihrer Relevanz verloren...
Streaming-Tipp: In diesem epischen Thriller gibt’s grausame Morde, Sex und Intrigen - und das in einem Kloster!