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    Wie "Arielle, die Meerjungfrau" das Original ehrt und trotzdem etwas Neues schafft: Lin-Manuel Miranda verrät es im Interview
    Björn Becher
    Björn Becher
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    Bei „Bambi“ muss er heute noch weinen und auch sonst haben die Zeichentrickklassiker von Disney die Kindheit von Björn Becher geprägt.

    Ab dem 25. Mai 2023 läuft „Arielle, die Meerjungfrau“ in den deutschen Kinos und bringt den Disney-Klassiker in einem neuen Gewand zurück – und auch mit neuen Songs. Darüber haben wir mit Lin-Manuel Miranda gesprochen.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen

    Wo sich zuletzt ein Musical-Erfolg ereignete, war Lin-Manuel Miranda nicht weit. Mit „Hamilton“ schuf er das Must-See-Bühnen-Spektakel der vergangenen Jahre (unbedingte Empfehlung: Streamt die Version auf Disney+!). Er war an der Filmmusik von „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, „Vaiana“ und natürlich vor allem „Encanto“ beteiligt. „Dos Oruguitas“ aus dem Animationsfilm wurde 2022 für den Oscar nominiert (im selben Jahr gab es auch noch zwei Nominierngen für sein Regiedebüt „Tick, Tick…Boom!“), „Wir reden nicht über Bruno“ wurde zum Mitsing-Erfolg, der nun wohl in keiner Best-Of-Disney-Kompilation fehlen darf.

    In einer solchen werden sich auch gleich mehrere Lieder aus „Arielle, die Meerjungfrau“ wiederfinden. Lin-Manuel Miranda musste sich nun der großen Aufgabe stellen, nicht nur Klassiker wie „Unter dem Meer“ oder „Ein Mensch zu sein/In deiner Welt“ sorgfältig für das Realfilm-Remake zu aktualisieren, sondern auch mehrere neue Lieder zu entwickeln. Daran arbeitete er mit dem legenden Komponisten Alan Menken, der schon den Originalfilm (und zahlreiche weitere Disney-Hits) verantwortete.

    Im Interview via Zoom beginnen wir natürlich mit der Frage, wie die Zusammenarbeit mit dem Mann, der für Miranda auch ein Vorbild ist, war. Doch wir wollten unter anderem auch wissen, warum die Geschichte der kleinen Meerjungfrau, die eine andere Welt erkunden will, heute noch so modern ist.

    Die Arbeit mit einer Legende – erst mal einschüchternd, dann aber ein großer Spaß!

    FILMSTARTS: Wie war es mit einer Legende wie Alan Menken gemeinsam an neuen Songs für einen Klassiker wie „Arielle, die kleine Meerjungfrau“ zu arbeiten und damit gleichzeitig auch in die Fußstapfen einer anderen Legende zu treten – des 1991 verstorbenen Howard Ashman, der beim Original mit Menken die Songs verantwortet hat?

    Lin-Manuel Miranda: Es war am Anfang wirklich einschüchternd. Wir beide sprechen schließlich heute auch miteinander, weil ich mich mit neun Jahren in „Arielle, die Meerjungfrau“ verliebt hat.

    Howard ist einer der tragischsten Verluste, den Musical-Theater und Musikfilme verkraften mussten. Er war so gut im Erzählen mittels Liedern. Wenn du einen perfekten Liedtext von einem inspirierenden Liedtexter suchst, dann wird es nicht besser als Arielles „What's a fire and why does it ... What's the word? Burn...“. In dieser Textzeile erleben wir durch die Musik, wie eine Figur ihre Gedanken in Echtzeit ausarbeitet. Howard war einfach so gut darin. Daher war ich wirklich erst einmal eingeschüchtert.

    Der schwierigste Teil bei der Zusammenarbeit mit Alan war es, loszulegen: Es war, als würde man das erste Mal mit einem neuen Partner tanzen. Du musst erst einmal herausfinden, wer wen an der Taille hält und wer welchen Schritt macht. Aber als wir schließlich ins Rollen kamen, war es dann ganz leicht, Worte für diese Figuren zu finden. Denn diese Figuren leben seit über 30 Jahren in meinem Herz. Sie sind ein Teil meines Lebens. Es war so ein großer und aufregender Spaß, sich zu überlegen: Was fühlt Arielle, wenn sie das erste Mal in ihrem Leben Feuer sieht? Was denkt ein Prinz Eric, während er sie sucht? Wie können wir diese Momente musikalisch gestalten?

    Lin-Manuel Miranda musste die Gedanken von Eric und Arielle in Songtexte verwandeln. Disney und seine verbundenen Unternehmen
    Lin-Manuel Miranda musste die Gedanken von Eric und Arielle in Songtexte verwandeln.

    FILMSTARTS: Die vielen Figuren, bei denen alle Fans ja ihren ganz eigenen Liebling haben, sind ein gutes Stichwort. Für welche hat es dir am meisten Spaß gemacht, neue Songs zu entwickeln, wer war die größte Herausforderung?

    Lin-Manuel Miranda: Auf ihre eigene Weise waren alle eine Herausforderung. Arielle selbst hat am meisten Spaß gemacht, weil ich mir das einfach schon so lange vorgestellt habe. Im Originalfilm gibt es einen längeren Zeitraum, in dem wir von Arielle nichts hören, weil Ursula ihr bekanntlich ja die Stimme nimmt. Wir haben eine komplett neue Musiksequenz entwickelt, in welcher Arielle in ihrem Kopf singt. Denn Halle Bailey für einen Film zu verpflichten und ihre wunderschöne Stimme dann für einen so längeren Zeitraum nicht zu hören, ist ein Verbrechen.

    So kam es, dass wir diesen wunderschönen Song „For The First Time“ geschrieben haben, der von dem Moment an läuft, wenn sie aus dem Wasser steigt, bis sie Prince Eric zum ersten Mal trifft. Er handelt davon, wie alles, was sie unter Wasser idealisiert hat, Schwerkraft, Feuer, etc. sich wirklich anfühlt. Es war einfach eine Freude, mit Alan und Halle an diesem neuen Stück zu arbeiten.

    Neue Lieder – nicht nur für Arielle, sondern auch für Eric und Scuttle

    Lin-Manuel Miranda: Dann gibt es da auch noch dieses Lied, welches wir für Prinz Eric geschrieben haben. Alans Melodie dafür war direkt so wunderschön. Es ist halt einer der besten Komponisten der Welt. Meine Herausforderung war es, nun Worte zu finden, die genauso großartig sind. Da muss man wirklich hart arbeiten und es gab sicher viele Momente, in denen ich sehr ernst und angespannt war, um diese Worte für Prinz Eric zu finden.

    Das neue Lied, welches ich dagegen am schnellsten geschrieben habe, ist ein Moment mit Scuttle. Schon als ich ein Kind war, hat mich diese Figur jedes Mal sehr zum Lachen gebracht. Ich habe damals schon so gut verstanden, wie verquer ihre Gedankengänge sind, wie sie von da nach dort gehen und es ihm schwerfällt, sich zu fokussieren. Es war wirklich lustig, genau dies mit einem Lied zu illustrieren.

    Scuttle bekommt einen neuen Rap-Song. Disney und seine verbundenen Unternehmen
    Scuttle bekommt einen neuen Rap-Song.

    FILMSTARTS: Hier in Deutschland werden Filme ja synchronisiert und bei den Disney-Hits heißt dies, dass auch Songs übersetzt werden, neue Lyrics bekommen, die sich auch von den Originalen unterscheiden - gerade „Arielle“ hat da eine besondere, viel diskutierte Geschichte. Bist du in diesen Prozess eingebunden und wie wirkt es auf dich, wenn deine Liedtexte in einer anderen Sprache sogar inhaltlich verändert werden?

    Lin-Manuel Miranda: Wenn mir dann jemand zurück übersetzt, was nun dort gesungen wird, hat das schon eine besondere Wirkung. Ich bin daran meist nicht selbst beteiligt, aber ich weiß, dass Disneys Team in Sachen Übersetzungen zu den besten der Welt gehört und ich mache mir deshalb bei „Arielle“ keine Sorgen deswegen.

    Und teilweise ist schon amüsant: Ich kann dir sagen, dass es lateinamerikanische Länder gibt, wo jeder die spanische Übersetzung von „Wir reden nicht über Bruno“ [Anm.: Mirandas Mega-Hit aus dem Disneyfilm „Encanto“] gegenüber meiner Originalversion bevorzugt. Und da Spanisch die einzige Sprache ist, die ich neben Englisch auch spreche, kann ich es nicht bestreiten: Die Version ist wirklich gut.

    Bei der deutschen Produktion von „Hamilton“ für die Theaterbühne in Hamburg war ich dagegen involviert und habe wirklich zu schätzen gelernt, was für eine Arbeit da geleistet wird. Das ist so schwer, diese Leute machen einen tollen Job. Aber bei „Arielle“ wirst du wahrscheinlich sogar die deutschen Versionen vor mir hören. Ich bin sehr gespannt darauf. Schick sie mir gerne direkt, wenn du sie hörst.

    Anmerkung: Ihr könnt die deutschen Songs übrigens schon genießen, denn sie wurden mittlerweile veröffentlicht. Im folgenden Artikel gibt es sie alle zu hören - sowohl die bekannten wie auch die komplett neuen aus Mirandas Feder:

    Hört den kompletten Soundtrack von "Arielle, die Meerjungfrau" und erfahrt: Ist es "In deiner Welt" oder "Ein Mensch zu sein"?

    Wir wollen das Original ehren und respektieren

    FILMSTARTS: Die 1989er-Animationsvorlage gehört zu den beliebtesten Disneyfilmen. Was hoffst du, dass nun ein Publikum von einer neuen Version im Jahr 2023 mitnimmt?

    Lin-Manuel Miranda: Ich bin der größte Fan des Originals, den du finden wirst. Daher hoffe ich, dass das Publikum erkennen wird, wie wir dieses geehrt und respektiert haben.

    Was Regisseur Rob Marshall und Drehbuchautor David Magee ganz wunderbar geschafft haben, ist mit großer Sorgfalt neue Aspekte der Geschichte herauszuschälen. Wir erleben die gleiche Reise, in die sich alle beim Original von 1989 verliebten. Doch auf dem Weg gab es die Möglichkeit, neue Momente zu finden. Wir geben euch so hoffentlich neue Einblicke ins Herz einiger Figuren, die 1989 nicht vorhanden waren. Der Animationsfilm ist ja einer der kürzesten Disney-Filme. Wie lang dauert der? Etwas mehr als 80 Minuten - und das mit Abspann! Es gab also genug Zeit und Raum, um neue Momente zu finden, ohne die Reise zu verlangsamen.

    Lin-Manuel Miranda (rechts) im Gespräch mit Disney und seine verbundenen Unternehen
    Lin-Manuel Miranda (rechts) im Gespräch mit "Sebastian" Daveed Diggs.

    FILMSTARTS: Da du auch Produzent bei diesem Film bist. Wie hast du mit Regisseur Rob Marshall zusammengearbeitet, um deine Vision für den Film zum Leben zu erwecken?

    Lin-Manuel Miranda: Meinen Titel als Produzent habe ich eigentlich vor allem einer Aufgabe zu verdanken: Ich war der Vorsitzende des „Don't Fuck It Up“-Komitees. Ich liebe das Original wirklich so sehr. Es war mir daher wichtig, dass wir es nicht vermasseln, das Vorbild ehren, aber trotzdem Platz für etwas Neues schaffen. Ich habe Rob sofort gesagt, dass ich keine neuen Songs schreiben möchte, wenn sie uns ausbremsen. Eines der wunderbaren Dinge an dem Originalfilm ist, dass er wirklich ein großartiges Tempo hat. Du bist in diese Geschichte investiert, weil du denkst: Oh Gott, sie hat nur drei Tage!

    Deshalb bin ich stolz darauf, dass die neuen Songs die Reise nie verlangsamen. Es gibt so nicht viele musikalische Momente, in denen wir innehalten. Wir bewegen uns auch mit den Liedern immer vorwärts und erzählen die Geschichte ihrer Reise weiter. Das ist wirklich aufregend.

    Darum ist "Arielle" auch heute noch so relevant?

    FILMSTARTS: „Arielle, die kleine Jungfrau“ basiert auf einem Märchen von Hans Christian Andersen, welches schon fast 200 Jahre alt ist. Warum ist es deiner Meinung nach eine so beliebte, die Zeit überdauernde und auch heute noch relevante Geschichte?

    Lin-Manuel Miranda: Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr Zugang zu anderen Kulturen und anderen Standpunkten haben als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Ich bin drei Klicks von einer 3D-Google-Bilder-Tour durch jeden beliebigen Teil der Welt entfernt. Ich kann mit dem Internet in fremde Bräuche eintauchen, Sprachen lernen.

    Arielle hat dieses Gefühl, dass es da noch etwas außerhalb ihrer Welt gibt. Es wurde ihr gesagt, dass dieses Andere böse ist, doch sie glaubt nicht, dass das wahr ist. Sie glaubt, dass da etwas Magisches in der Welt außerhalb der Meeres ist – und wer von uns fühlt nicht auch immer wieder, dass es da eine größere Welt gibt als jene, die wir täglich sehen?

    Da ist auch völlig egal ob du ein Kind in Nord-Manhattan oder eine Meerjungfrau „unter dem Meer“ bist – du weißt einfach: Es muss mehr geben, als das, was ich jeden Tag sehe. Und ich denke, das ist der Kern, warum dieser Klassiker so zeitlos ist. Das ist das Herz der Geschichte und ich kenne niemanden, der diesen Verlangen nicht nachvollziehen kann.

    Arielle, die Meerjungfrau“ läuft ab dem 25. Mai 2023 in den Kinos.

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