„Gran Turismo“ von 1997 ist nicht nur das meistverkaufte Videospiel für die PlayStation, sondern zog bis 2022 auch eine ganze Reihe von Bestseller-Fortsetzungen nach sich, die bei vielen Rennsportbegeisterten stets einen Nerv trafen. Dennoch ist es irgendwie nachvollziehbar, dass es bislang zu keiner Verfilmung kam. Denn: „Gran Turismo“ ist ein Rennsimulator. Was will man hier schon erzählen?!
Diese Frage dürften sich viele gestellt haben, als bekannt wurde, dass „District 9“-Macher Neill Blomkamp den Gaming-Klassiker nach mehreren Versuchen endlich auf die Leinwand bringen wird. FILMSTARTS-Redakteur Daniel Fabian besuchte im November 2022 die Dreharbeiten von „Gran Turismo“ und ging jener Frage auf den Grund.
Neben Regisseur Blomkamp kam es unter anderem auch zu Gesprächen mit dem Cast um „Herr der Ringe“- und „Fluch der Karibik“-Star Orlando Bloom und Hauptdarsteller Archie Madekwe („Midsommar“, „See“). Bei einem Besuch der Dreharbeiten konnte er sich außerdem aus erster Hand davon überzeugen, was uns hier in Sachen Action erwartet. So viel sei schon mal verraten: Ihr werdet euch im Kino wünschen, die Sessel hätten Sicherheitsgurte...
Eine besondere Herausforderung
Der vor allem für düstere Science-Fiction-Stoffe bekannte Blomkamp legte die Karten direkt nach der Begrüßung beim Interview nahe des Drehortes an der legendären Motorsport-Strecke Hungaroring offen auf den Tisch. Denn als Sony mit dem Film an ihn herantrat, kam ihm erst einmal nur eines in den Sinn: „Das ist die dümmste Idee, die ich je gehört habe!“
Aber warum nahm der Südafrikaner dann am Ende doch auf dem Regiestuhl Platz – wo hier doch offensichtlich kein Platz für Aliens, Roboter und Laserkanonen ist, wie sie sonst in seinen dystopischen Sci-Fi-Filmen zu sehen sind?
„Ich hätte nicht gedacht, dass mich 'Gran Turismo' interessiert, bis ich das Drehbuch gelesen habe“, so Blomkamp. Denn „Gran Turismo“ basiert auf einer wahren Underdog-Story, die den Regisseur an Filme wie etwa „Karate Kid“ erinnerte, die ihn einst in seiner Jugend begeisterten und so letztlich auch seine Leidenschaft fürs Kino entfachten. Die Möglichkeit, einen solchen Film nun selbst auf die Leinwand zu bringen, birgt allerdings auch jede Menge Gefahren. Schließlich ist Blomkamp dafür bekannt, in seinen Filmen auf reichlich Spezialeffekte/VFX zu setzen – denen er nun den Rücken kehren muss.
Die Spielvorlage ist bekannt für ihren Realismus. Und um eben jenen auch im Film zu erreichen, wird tatsächlich alles „echt“ gedreht – im Cockpit, auf der Rennstrecke, mit den Stars auf dem Fahrersitz. Denn auf Effektspektakel zu setzen, sei für diesen Film „einfach nicht das Richtige“, wie Blomkamp ausdrücklich klarstellt. Man versuche, kein CGI-Feuerwerk à la „Fast & Furious“ abzuliefern, sondern eher ein immersives Kinoerlebnis der Marke „Top Gun: Maverick“, das neben einer mitreißenden Story auch Action bieten soll, die das Publikum mitten ins Geschehen wirft. Und was das bedeutet, hat Archie Madekwe am eigenen Leib erfahren...
Bitte anschnallen!
Hauptdarsteller Archie Madekwe hatte vor „Gran Turismo“ noch nicht einmal einen Führerschein – und hatte nur einen Monat Zeit, um Fahrstunden zu nehmen, die Prüfung zu bestehen und sich direkt im Anschluss in die Dreharbeiten zu stürzen, die dem Fahranfänger einiges abverlangten. Schließlich basiert seine Figur nicht einfach nur auf einer echten Person, die es zu verkörpern gilt, sondern auf einem Rennfahrer – dessen Job es nun mal ist, mit Höchstgeschwindigkeit über die Piste zu sausen und dabei härtesten Bedingungen ausgesetzt zu sein.
Im Cockpit wurde es dann ernst: „So klaustrophobisch, es wird einem übel. Es ist so heiß“, beschreibt Madekwe die Extremsituation hinter dem Lenkrad seines Nissan GT-R. Das japanische PS-Monster wird in der stärksten Variante schließlich auch nicht umsonst „Godzilla“ genannt – und lehrt weniger erfahrenen Autofahrern schnell mal das Fürchten. Dass Madekwe mehrmals von einer Hassliebe spricht, wenn er die Dreharbeiten auf der Rennstrecke beschreibt, wird mit jedem Mal nachvollziehbarer:
Oft sind acht, neun Kameras auf Madekwe gerichtet, die es für ihn zu beachten gilt. Sie sind im und am Auto platziert, auf begleitenden Kameraautos oder Kamerakränen und sogar Drohnen kommen zum Einsatz. Und dann gilt es eben auch noch, gegen die beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten in voller Montur inklusive Helm anzuspielen, sich den Text zu merken und am besten auch niemanden von den vielen, vielen Crewmitgliedern zu überfahren, die entlang der Rennstrecke stationiert sind. All das bei brütender Hitze, grölendem Motorlärm und 200 Stundenkilometern, mit denen er die Reifen zum Qualmen und den Puls zum Steigen bringt. Da wundert es nicht, dass der Schauspieler die Drehtage stets schweißgebadet beendete und sich immer wieder sogar übergeben musste.
Ich durfte den Dreh einer solchen Szene unter wunderbar ohrenbetäubenden Motorgeräuschen begleiten und mir unter anderem schon mal ein Bild davon machen, wie Neill Blombkamp die auf Realismus getrimmte Action umsetzt. Und eines traue ich mich jetzt schon vorherzusagen: Gemeinsam mit Kameramann Jacques Jouffret wird er Renn-Sequenzen auf die Leinwand bringen, die dem Publikum ein mindestens genauso breites Dauergrinsen ins Gesicht zaubern werden wie mir vor Ort. Doch „Gran Turismo“ hat nicht nur das Zeug dazu, mit herausragend-realistisch inszenierten und mit Mark und Bein durchdringenden Sounds hinterlegten Actionszenen für Gänsehaut zu sorgen, sondern vor allem auch mit seiner Geschichte.
Aber worum dreht sich "Gran Turismo" nun überhaupt?
Als bekennender Auto-Enthusiast, der selbst bereits drei (!) Nissan GT-Rs sein Eigen nennen konnte, ist es Neill Blomkamp ein großes Anliegen, endlich mal wieder immersive Auto-Action auf die Leinwand zu zaubern. Die Rennsequenzen sollen sich anfühlen, „als wäre man selbst mittendrin“, so der Regisseur. Den großen emotionalen Punch erhalten sie allerdings erst durch ihre inhaltliche Bedeutung – und hier kommt die wahre Geschichte zum Zug, die dem Film zugrunde liegt:
„Gran Turismo“ erzählt die wahre Geschichte von Rennfahrer Jann Mardenborough. Während man bei Sony bereits seit einigen Jahren mit einer Verfilmung liebäugelte, war es letztlich die bewegte Karriere des heute 31-jährigen Briten, die dafür sorgte, dass auf eine Idee schließlich auch Taten folgten.
Denn wie mir die Produzenten im Gespräch verrieten, während einige der schnellsten (und vor allem lautesten) PS-Boliden des Planeten um uns herum über den Hungaroring rasten, wollte man bereits zuvor in eine inhaltlich ähnliche Richtung gehen. Man befürchtete allerdings, dass eine frei erfundene Story nicht den nötigen emotionalen Wumms mitbringen würde, das Publikum das Ganze vielleicht als einfallslos oder gar realitätsfern erachten würde. Mardenboroughs tatsächliche Geschichte, die nun den Weg ins Kino findet, ist nun aber sogar noch (!) verrückter als alles, was sich die kreativen Köpfe hinter dem Projekt bereits Jahre zuvor aus den Finger saugten.
Während die meisten Profis ihre Karriere bereits in jungen Jahren beginnen, gelang Mardenborough der Sprung mittels eines von Nissan und Sony initiierten Wettbewerbs – auf der PlayStation. Er nahm 2011 an der sogenannten GT Academy Teil, einem virtuellen Autorennen, dessen Sieger die Chance bekommt, sich im professionellen Motorsport zu beweisen. Mardenborough konnte sich gegen 90.000 Teilnehmer*innen durchsetzen und erhielt daraufhin einen Startplatz im 24-Stunden-Rennen von Dubai – bei dem er den unglaublichen dritten Platz belegte. Dann ging alles ganz schnell.
2013 ging er für Nissan in der Toyota Racing Series an den Start und machte sich in der Formel 3 einen Namen, noch im selben Jahr feierte er seine Premiere auf der legendären Strecke in Le Mans und landete dabei auf Rang 3. Doch jede noch so steile Erfolgsgeschichte bekommt irgendwann mal einen Dämpfer – der Jann Mardenborough 2015 buchstäblich aus der Bahn warf: Am Nürburgring kam es zu einem Horror-Crash, bei dem sein Wagen abhob, über sämtliche Absperrungen geschleudert wurde und einen Zuschauer dabei tödlich traf. Doch Mardenborough ließ sich nicht unterkriegen und machte unerschrocken weiter – denn einige seiner größten Erfolge sollten erst noch kommen…
"Gran Turismo": Endlich mal eine gute Videospiel-Verfilmung?
Die Geschichte von Jann Mardenborough, der den oftmals elitären Motorsport von der PlayStation aus im Sturm eroberte, ist ebenso wie fürs Kino gemacht wie die spektakulären Aufnahmen der bei Höchstgeschwindigkeit um die Autos schwirrenden Drohnen, die einige der mitreißendsten Rennsequenzen der Filmgeschichte versprechen.
Und dann ist da natürlich noch dieser famos-verrückte Cast, zu dem neben Hauptdarsteller Archie Madekwe und einem in seiner Rolle als Rennsport-Fanatiker sichtlich aufgehender Orlando Bloom auch „Stranger Things“-Sheriff David Harbour, Marvel-, DC- und „Fast & Furious“-Star Djimon Honsou und Spice Girl (!) Geri Halliwell gehören. Neill Blomkamp fasste es in unserem Gespräch passend zusammen:
Ich verstehe, dass man von außen verwirrt ist, wenn man das Setup nicht kennt und dann hört, dass 'Gran Turismo' ein Film wird. Und dann spielt auch noch Geri Halliwell mit. Ich meine… was?! Das würde ich ja fast schon wieder sehen wollen!
Ja, „Gran Turismo“ macht im Vorfeld schon ungemein neugierig – und könnte am Ende vielleicht sogar zu den gelungensten Videospielverfilmungen überhaupt gehören. Wobei über diese Einordnung am Ende wohl gestritten werden dürfte.
Neill Blomkamp befürchtet etwa, dass am Ende viele von einem Sportfilm sprechen werden – liegen die Gemeinsamkeiten mit Underdog-Geschichten wie „Rocky“ und Co. doch auf der Hand. Gleichzeitig nutzt der Film aber nicht nur die Spielvorlage als inhaltliches Element, sondern auch als inszenatorisches – und ist alleine damit am Ende wohl mehr Videospielverfilmung als viele andere Vertreter des Genres. Und wenn er dann auch noch in Sachen Renn-Action hält, was die ersten Bilder aus dem Film versprechen, bekommen wir obendrein vielleicht auch endlich mal wieder einen richtig starken Auto-Film zu sehen – auf den „Fast & Furious“-Fans seit Jahren warten.
Ganz besonders freuen dürfen wir uns übrigens auf Orlando Bloom, dessen Euphorie beim Dreh auf alle beim Interview anwesenden Journalist*innen übersprang. Der schwärmte nicht nur von der Rennsportwelt, der er selbst seit Jahren verfallen ist sowie von seinem absoluten Lieblingsauto (ein Porsche 911S von 1973, den er natürlich in seiner Garage stehen hat), sondern vor allem von seiner Rolle. Denn er spielt den Gründer der GT Academy, Darren Cox (im Film Danny Moore), der vor allem eine Aufgabe hat: Begeisterung für sein einzigartiges Projekt zu versprühen – und wenn dies Bloom im Film auch nur ansatzweise so gut gelingt wie bei unserem Gespräch, wird diese am Ende auch nahtlos auf das Publikum überspringen.