Es ist so weit: Disney+ hält mit Prime Video und Netflix Schritt! Denn mit „Sam - Ein Sachse“ ist ab sofort die erste deutschsprachige Originalserie des Streamingdienstes abrufbar. Und die hat es ordentlich in sich: Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt die Thrillerdrama-Serie vom Karriereaufstieg und Fall des ersten Schwarzen Polizisten der DDR, Samuel Meffire.
FILMSTARTS-Autor Sidney Schering hat sich anlässlich des Serienstarts mit dem Mann, der Meffire in dem Format verkörpert, (online) zusammengesetzt: Hauptdarsteller Malick Bauer, der zuvor unter anderem in „Frau Jordan stellt gleich“ zu sehen war. Dabei erzählt der Schauspieler unter anderem davon, wie er zur von Co-Star Tyron Ricketts und „Deutschland 83“-Macher Jörg Winger erdachten Serie gestoßen ist, und wie er sich auf die komplexe Hauptrolle vorbereitet hat...
FILMSTARTS: Ich muss zu meiner Schande gestehen: Mir war Samuel Meffires Geschichte vor Serienankündigung kein Begriff. Wie viel Wissen hattest du, bevor du vom Projekt erfahren hast?
Malick Bauer: Für mich war diese Geschichte auch neu, bevor ich durch Tyron Ricketts zum Projekt gestoßen bin. Ich habe ihn auf einer Veranstaltung angesprochen, weil ich ihm als jüngerer Schwarzer Darsteller unbedingt dafür danken wollte, was er alles in Sachen Repräsentation bewegt hat. Schließlich kämpft er tatkräftig dafür, dass die deutsche Film- und Serienlandschaft zunehmend so aussieht, wie es die deutsche Gesellschaft schon lange tut.
Als ich nach meinem Dank wieder gehen wollte, hielt er mich auf – und meinte zu mir: „Hey, du siehst so aus wie ein Mann, dessen Lebensgeschichte ich schon lange mit der Hilfe von Jörg Winger erzählen möchte. Komm doch mal zum Casting!“ Daraufhin habe ich im Internet recherchiert – das war 2019, und damals fand man nur so ein paar Bruchstücke. Mittlerweile findet man mehr über Samuel Meffire, unter anderem wegen seiner Buchtour und sicherlich auch wegen unserer Serie...
Unterstützung durch den echten Sam
FILMSTARTS: Als du daraufhin letztlich die Rolle bekommen hast, wie hast du es mit weiterer Recherche gehandhabt? Hast du dich intensiv in die Materie gestürzt? Oder wolltest du vielleicht etwas Abstand zum realen Material gewinnen, damit du als Schauspieler freier agieren kannst?
Malick Bauer: Nein, ich bin der Überzeugung: Mach so viel Recherche wie möglich! Was man nicht braucht, kann man ja noch immer liegen lassen – wobei es auch so ist wie bei einer guten Bratpfanne: Im Sud bleibt von allem noch etwas übrig, selbst wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Zudem hatte ich das Privileg, dass mir der echte Samuel sehr viel von seinem Leben preisgegeben hat, außerdem hat er mir während des Drehs sein Buch „Ich, ein Sachse“ vorab in seiner Rohfassung gegeben. Und wir haben eine mehrtägige Tour durch wichtige Stationen seines Lebens unternommen.
Gleichzeitig hat er mir als Künstler Gestaltungsfreiheit überlassen: Samuel meinte zu mir: Alles, was ich für meine Darstellung übernehmen möchte, soll ich übernehmen – und alles, was ich nicht übernehmen möchte, darf ich am Wegrand liegen lassen. Entscheidend war zudem: Samuel wollte nicht reingewaschen werden – im Gegenteil sogar! Daher konnte ich mir aus seinem wahren Leben und den tollen Drehbüchern von Jörg Winger und Christoph Silber alles ziehen, was ich für mein Schauspiel benötigt habe.
FILMSTARTS: Wenn Samuel dir keine derartige Gestaltungsfreiheit überlassen, sondern Wünsche oder gar Kritik geäußert hätte – wie hättest du reagiert? Wäre solches Feedback für dich ein No-Go gewesen?
Malick Bauer: Ich glaube nicht. Ich hätte niemals irgendetwas Reißerisches mit seiner Geschichte angestellt. Ich hätte mich in jedem Szenario an dem orientiert, was der Geschichte dient. Und Samuel hat in seinem Leben einige Dinge getan, die freundlich gesagt „schwierig“ sind. Doch Gott sei Dank steht er dazu, daher sehe ich keinen Fall, in dem wir nicht übereingekommen wären.
Hätte Samuel aber hypothetisch gewollt, dass er in der Serie als arme Kirchenmaus dargestellt wird, als vollkommen hilfloses Opfer der Gesellschaft und ihres Rassismus – dann hätte ich widersprochen. Er ist ein Mann, der sich in der Realität und in der Serie nie die Entscheidungsmacht absprechen lässt. Er handelt aus einem utopischen Gedanken zu seiner Heimat heraus. Er setzt sich ein, geht aus Fürsorge Risiken ein – bis er Fehler macht. Doch diese Fehler macht er. Er wird nicht vom Rassismus oder anderen Einflüssen gezwungen, diese Fehler zu begehen.
Er macht diese Fehler, weil er ein Mensch ist, der intensiv handelt und seinen eigenen Antrieb nicht unter Kontrolle hat. Das ist fatal, aber hat auch einen Kern des Nachvollziehbaren: Da ist dieser Mensch, der dringend handeln und Gutes bewegen will, aber in bürgerkriegsähnlichen Zuständen groß wird – deren Gefährlichkeit von Deutschland aber jahrzehntelang kleingeredet wurden. Man muss etwa bedenken: Der rechte Mob, der Jorge Gomondai in Dresden getötet hat, hat kurz zuvor Samuel gejagt. Samuel kam nur knapp davon. Gott sei Dank. Das entschuldigt Samuels Fehler nicht, ist aber ebenso wichtiger wie faszinierender Erzählstoff. Und als Künstler interessieren mich glatte Helden nicht. Daher fand ich „Sam - Ein Sachse“ so spannend – hätten wir Samuel zum Saubermann machen müssen, wäre ich nicht interessiert gewesen.
FILMSTARTS: Interessieren dich einzig komplexe Figuren voller Widerhaken – oder ziehen dich auch theatralisch-dick aufgetragene Rollen mit klarem Profil an?
Malick Bauer: Solche Rollen finde ich völlig in Ordnung – das ist ja Kunst! Ich möchte keine moralisch integren Saubermänner spielen, die sind uninteressant. Aber gegen Pathos oder Überspitztes habe ich nichts. Ich komme vom Theater, und dort spielen wir ja viel damit – sei es griechische Mythologie oder Shakespeare. Das ist alles spannend. Ich finde „Othello“ toll, möchte aber bitte nicht nur „Othello“ spielen, sondern auch gerne „Richard III.“!
Als Schauspieler suche ich immer nach dem Bruch zwischen dem, was wir behaupten zu sein, und dem, was wir wirklich sind. Das Leben ist ja auch komplex, und wenn die Dinge alle safe werden, während deutsche Kunst endlich diverser wird – das fände ich als Künstler nicht befriedigend. Ich spiele liebend gerne jahrhundertealte Stoffe, in denen es um Mord, Intrige und Totschlag geht. Es wäre deshalb schade, dürfte ich nur noch unkomplizierte Rollen spielen. Gegen Figuren, die drüber sind, habe ich aber überhaupt nichts – so eine Rolle wie Tom Hardy in „Bronson“ wäre ein Traum... Kleiner Tipp an alle Entscheider*innen da draußen... (schmunzelt)
Kommt eine 2. Staffel?
FILMSTARTS: Ein Interview-Klischee ist die Frage nach der schwersten Szene – ich will das mal auf den Kopf stellen! Gab es bei „Sam - Ein Sachse“ eine Szene, vor der du vorab Respekt oder sogar Angst hattest... und dann lief die am Drehtag aber erstaunlich gut?
Malick Bauer: Ja, aber ich möchte die Antwort vage halten, um den Zuschauer*innen nichts vorweg zu nehmen: Es gibt eine Szene, in der sich ein großes Mysterium in Samuels Leben lüftet. Und ich wusste vorab nicht, wie ich das spielen soll. Doch als der Drehtag anstand, kam es dank meines vorherigen Kontakts zu Samuel wie von selbst. Das war für mich eine reinigende, besondere Erfahrung.
FILMSTARTS: Es ist ja nicht zu viel verraten, wenn ich sage: Theoretisch kann „Sam - Ein Sachse“ weitergehen, schließlich geht auch Samuel Meffires Leben über das hinaus, was die Serie erzählt. Aber wärst du überhaupt für eine Fortsetzung, oder findest du, dass das Format ein rundes Ende gefunden hat?
Malick Bauer: Ich hätte nur dann Lust, eine zweite Staffel zu machen, wenn sie integer ist. Die erste Staffel ist bereits eine heftige Reise – jedoch weiß ich durch Samuel, dass es durchaus noch intensiven Stoff aus seinem Leben gibt. Es gibt viele Möglichkeiten, das weiter zu erzählen, gleichzeitig glaube ich an diese Staffel als für sich stehendes Kunstwerk. Daher: Sollte es kein rein kapitalistisches Interesse sein, eine zweite Staffel zu machen, sondern eine Entscheidung aus Überzeugung – dann wäre ich definitiv dabei.
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