Die Suche nach tollen Filmperlen im Thrillergenre gleicht schon fast der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Der meiner Ansicht nach viel zu unbekannte „Lost River", in dem kein Geringerer als Ryan Gosling auf dem Regiestuhl saß, bietet jedoch eine grandiose Optik und eine durchdachte Geschichte über die Zerbrechlichkeit einer Gesellschaft und existenzielle Ängste und ist damit ein empfehlenswerter Streaming-Tipp. Bei Amazon Prime Video gibt es den außergewöhnlichen Thriller sogar im Abo - im regulären allerdings nur in der deutschen Synchronfassung:
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Darum geht es in "Lost River"
Die Kleinstadt Lost River entwickelt sich aufgrund der Wirtschaftskrise in eine düstere Geisterstadt. Viele Menschen sind bereits fortgezogen und die, die noch da sind, versuchen mit allen Mitteln über die Runden zu kommen. Die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks) fühlt sich ihrer Heimat aber noch sehr verbunden und bringt es nicht über das Herz fortzuziehen. Als sie eines Tages erfährt, dass es um die Hausraten gar nicht gut bestellt ist, wird das Leben der dreiköpfigen Familie mit den Kindern Bones (Iain De Caestecker) und Franky (Landyn Stewart) auf den Kopf gestellt.
Billy muss nun andere Wege einschlagen, um die Familie und ihr Zuhause zu retten. Sie gerät daraufhin in die Fänge des Nachtclubbesitzers Dave (Ben Mendelsohn). Unterdessen wird Bones mit dem verrückten Kriminellen Bully (Matt Smith) konfrontiert und träumt mit seiner Freundin Rat (Saoirse Ronan) von einem besseren Leben.
Eine unscheinbare Bedrohung
Die Kurzbeschreibung mag bei „Lost River“ schon ziemlich simpel ausfallen. Die Themenlandschaft, die man vermuten würde, fällt jedoch sehr breit aus. Es handelt sich aber weder um eine klassische Geschichte, beispielsweise über Rache, noch über einen unerbittlichen Überlebenskampf. Der Thriller ist deutlich komplexer aufgebaut, was sich deutlich bei den nächtlichen Szenen zeigt. Die Dunkelheit, die das meiste Geschehen bestimmt, erzeugt schnell eine schaurige Atmosphäre, die nichts Gutes verheißt. Es ist jedoch keine, in der Monster lauern. Vielmehr stellt sich ein Gefühl ein, dass die eigene Existenz in anderer Hinsicht bedroht wird.
Während diese Bedrohung zu Beginn noch abstrakt ausfällt, nimmt sie im Laufe der Zeit aber immer weiter Form an, bis zu dem Punkt, an dem es schon fast offensichtlich ist. „Lost River“ fokussiert sich auf die Angst, sein eigenes Zuhause zu verlieren. Der Thriller fällt damit eindeutig in die Kategorie der anspruchsvolleren Filme, in denen existenzielle Ängste unter die Lupe genommen werden.
Realismus und Mythos
Goslings Regiedebüt findet dabei eine grandiose Bildsprache, die sich zwischen Realismus und Mysterium bewegt. Was ist damit genau gemeint? Denken wir an die Wirtschaftskrise im Jahr 2007 zurück. Es gab wohl nicht gerade wenige Menschen, die davon unmittelbar getroffen wurden und ihr Zuhause verloren. Die in Feuer stehenden Gebäude, die Gosling uns präsentiert, lassen sich demnach auch metaphorisch deuten, wenn die Welt um einen herum in Flammen steht.
Auf der anderen Seite halten die Bürger*innen ihre Kleinstadt aber auch für verflucht. Tief im überschwemmten Städtebezirk soll sich ein Rätsel verstecken, welches erst noch gelüftet werden will. Diese zwei Seiten ergänzen sich nicht nur hervorragend, sondern zeigen auch, was einen Film zwischen den Zeilen zusammenhält. Gäbe es nur den Faktor Realismus, würde wohl diese Art Filmmagie fehlen. Gäbe es hingegen nur den Mythos der Unterwasserstadt, würde wiederum die Unmittelbarkeit für das Publikum fehlen.
Düster wie David Lynch
Das Leben im Nachtclub sticht jedoch deutlich heraus, nicht nur bei den farblich intensiven Bildern, sondern auch bei dem Soundtrack, der fast schon eine psychedelische Wirkung entfaltet. Blut, „Folter“ und eine fast schon zirkusartige Atmosphäre sollen die Menschen hier bespaßen, immerhin gibt es schließlich nichts anderes, um den Kopf von den alltäglichen Sorgen freizubekommen. Voyeurismus und Fetische stehen plötzlich im Zentrum, was den Zerfall der Gesellschaft hervorragend auf den Punkt bringt.
Das erinnert an David Lynch, da es einige Parallelen zwischen „Lost River“ und beispielsweise „Mulholland Drive“ oder „Lost Highway“ gibt - besonders in Hinblick auf die menschlichen Abgründe. Und eh gibt es eine ganz eindeutige Gemeinsamkeit: Die Werke von Lynch wie auch Goslings Film konfrontieren uns am Ende mit Fragen über die Fragilität der Zivilisation und die Ängste des Individuums.
Der Schüler wird zum Meister
Nicolas Winding Refns Filme wie „Drive“ oder „Only God Forgives“ sind schon lange keine Geheimtipps mehr, im Gegenteil. Man könnte sogar argumentieren, dass Ryan Gosling gerade durch diese Filme populär wurde und heute wohl nicht da wäre, hätte es diese Filme nicht gegeben.
Filmisch hatte Gosling also jede Menge Inspiration, um seinem eigenen Werk, welches 2014 herauskam, einen ähnlich tollen Anstrich zu verpassen. Neonfarben (ganz im Stile von Refn), aber auch eine bedrückende Atmosphäre, die Wucht der feurigen und dunklen Bilder fallen im Vergleich ziemlich ähnlich aus. Wer Fan von Refns Filmen und Serien ist, der kommt mit dem surrealen „Lost River“ definitiv auf seine Kosten.
„Lost River“ hat zwar narrativ wenig zu erzählen, es ist aber umso erstaunlicher, wie viel hier zwischen den Zeilen und Bildern passiert. Während das Thrillergenre (zumindest in den meisten Fällen) viel vom Element der Spannung lebt, liefert Gosling schon fast einen Antifilm, bei dem man nicht zähneknirschend vor dem Bildschirm sitzt. Durch die grandiose Inszenierung und einzigartige Audiovisualität lässt sich beinahe sagen, dass Gosling den Thriller neu gedacht hat - und das mit Erfolg.
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