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    Leoparden küsst man nicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Leoparden küsst man nicht
    Von Ulrich Behrens

    Die Screwball-Komödie „Leoparden küsst man nicht“ – gedreht vor 66 Jahren von Altmeister Howard Hawks – hat von ihrem Reiz und ihrem bezaubernden Humor bis heute nichts verloren, auch wenn sie 1938 ein finanzieller Misserfolg war (die Leute meinten, solche Menschen wie im Film gebe es nicht; der Film sei unrealistisch!). Heute gehört die Komödie zu den Klassikern des Genres.

    Katherine Hepburn – schlank, schön, sexy und durchtrieben in einem durchaus positiven Sinn – das ist Susan, die Nichte einer reichen Tante, Mrs. Elizabeth Carlton-Random (May Robson). Während Tantchen eine Frau ist, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Realitäten steht, tritt Susan in jedes Fettnäpfchen, das im Wege steht. Man könnte aber auch sagen: Sie nimmt das Leben locker und leicht. Wie wichtig sind schon zerrissene Fracks oder beschädigte Autos, wenn es darum geht, den Mann fürs Leben zu ergattern und selbiges zu genießen? Und schließlich hat Tantchen der leicht oder mehr als leicht überkandidelten Nichte eine satte Erbschaft in Aussicht gestellt. Der Mann muss erst noch gefunden werden – und läuft der Schönheit, wie es so schön heißt, rein zufällig über den Weg, sprich über den Golfplatz. Der Mann ist Paläontologe, leicht aus der Ruhe zu bringen, denn für Dr. David Huxley (Cary Grant) muss alles seine Ordnung haben. Schließlich bastelt er seit Jahren im Stuyvesant-Museum of Natural History penibel an der Rekonstruktion eines Brontosaurus. Und ein solcher korrekter Mann hat natürlich die entsprechende Verlobte, Miss Alice Swallow (Virginia Walker), gekleidet in ein sittsames dunkles Kostüm, und hinter dem Äußeren verbirgt sich nichts anderes: Sittsames. Alice will David heiraten, um sich ganz seiner Arbeit zu widmen. Liebe ist da kaum angesagt.

    Huxley steht kurz vor der Hochzeit und kurz vor der Fertigstellung seines Saurier-Gerippes – ein einziger Knochen – der Claviculus Intercostalus – fehlt ihm noch. „Oh well, Alice I was sort of hoping, well, you mean children and all that sort of thing.“ „Exactly.“ Alice deutet auf das Skelett. „This will be our child.“ Schöne Aussichten: ein Gerippe als Kind! Also muss das Schicksal her. Und so trifft es sich, dass David an eine äußerst großzügige Spende der reichen Mrs. Carlton-Random herankommen will, weswegen er sich mit deren Anwalt Mr. Peabody (George Irving) zum Golfen trifft, um zu betteln, das Geld für das Museum zu verwenden. Nur leider bzw. Gott sei dank trifft Davids Golfball auf Susan Vance, und die hat nichts besseres zu tun, als sich über den Besitz des Balls mit David in ein äußerst amüsantes Gespräch zu verwickeln.

    Nicht nur das: Sie will mit Davids Auto davonfahren, und der schon jetzt aus der Fassung gebrachte Paläontologe ist nicht fähig, der lebenslustigen jungen Dame zu erklären, dass es sich um seinen Wagen handelt. Als David im Ritz Plaza erneut Peabody treffen will, rutscht er auf einer Olive aus – die (wer auch sonst?) Susan in einem kleinen Experiment, das ihr der Barkeeper gezeigt hat, zu Boden fallen ließ.

    And so on. Ein zerrissener Frack, eine Susan mit verlorener Schleppe, ein David, der sich schützend vor die sichtbare Unterhose Susans stellt, um mit ihr das Plaza eiligst zu verlassen, vorher noch ein Psychiater namens Dr. Lehman (Fritz Feld), der den Erklärungen Susans über die Verwechslung zweier Handtaschen nicht ganz folgen kann – und ein zahmer Leopard, den Susans Bruder beider Tante zum Geschenk machen will, ketten Susan und David eng aneinander. Ihr Schicksal scheint auf eine höchst amüsante Art schon jetzt miteinander verknüpft. Baby – so heißt der Schmuse-Leopard – führt (mit tatkräftiger Hilfe Susans) beide zu Tante Elizabeth. Denn schließlich hat Dr. Lehman auf die Frage Susans, was es zu bedeuten habe, dass ein Mann, den sie gar nicht kenne, sie ständig verfolge, klar und deutlich geantwortet: „Well, the love impulse in men very frequently reveals itself in terms of conflict.“ „The love impulse!“ „Without my knowing anything about it, my rough guess would be that he has a fixation on you.“ Aber eigentlich ist das nur das Stichwort für Susan, sich diesen Mann mit Brille zu angeln, der es ihr schon längst angetan hat (und der ohne Brille viel, viel besser aussieht).

    Nun ist weibliches Einfühlungsvermögen und vor allem Geschick gefragt. Man stehle dem Mann, der noch gar nichts davon weiß, dass er nicht Alice heiraten wird, sondern Susan, die Kleider, um ihn bei der Stange, sprich bei Tante Elizabeth zu halten. David blamiert sich kräftig, als ihn die agile alte Dame im Morgenrock trifft und er in seiner Verzweiflung über derart viele Turbulenzen Tantchen anschreit, um sein merkwürdiges Aussehen zu erklären: „Because I just went gay all of a sudden.“

    And so on. Eine Turbulenz reiht sich an die andere. Das Geld scheint futsch, ein wilder aus dem Zoo ausgebrochener Leopard richtet ein heilloses Durcheinander an, das kleine Biest von Terrier namens George klaut den Claviculus Intercostalus, den David kurz zuvor per Post erhalten hatte, und vergräbt ihn im riesigen Garten von Tantchen, ein Großwildjäger namens Major Applegate (Charles Ruggles) versucht beim Diner, Susan, Tantchen und David den Unterschied zwischen dem Schrei einer Eule und dem eines Leoparden zu demonstrieren, ein dem Alkohol zugeneigter Stallknecht (Barry Fitzgerald) glaubt, im Delirium einen Leoparden zu sehen, der doch wirklich vorhanden ist, ein Kleinstadt-Sheriff namens Slocum (Walter Catlett) sperrt erst einmal alle ein, die irgend etwas von einem Leoparden erzählen – um sich später eines besseren belehren lassen zu müssen –, der arme Mr. Peabody wird nachts mit Steinen beworfen – und das alles bis zum bitteren Ende für den armen Brontosaurus und zum glücklichen für Susan und David.

    Puh! „Leoparden küsst man nicht“ – das ist wohl von Anfang bis Ende die (!) Screwball-Komödie schlechthin. In Hawks Klassiker stimmt einfach alles: Geschichte, Figuren, Dialoge, Wortwitz. „Leoparden küsst man nicht“ ist eine rasante 102-Minuten-Fahrt durch sämtliche Facetten der Komik und der menschlichen Unzulänglichkeiten. Katherine Hepburn spielt eine Frau, die in fast jeder Hinsicht ihrem männlichen Gegenüber überlegen ist. Susan weiß, was sie will. Sie ist intelligent, geht über Nebensächlichkeiten mit einer Selbstverständlichkeit hinweg, die David zwar aus der Fassung bringt, gegen die er aber machtlos ist. Er wird eingefangen wie die Leoparden, wie George, wie der Knochen. Und Alice? Am Schluss bringt sie es auf den Punkt: „You’re just a butterfly“, sagt sie zu David. Und dieser Schmetterling bekommt die Flügel schlagende Susan.

    Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen perfekt: ob Charles Ruggles als ein bisschen großkotziger und ein bisschen wirrer Großwildjäger, May Robson als resolute Tante, die ihre Nichte nicht in den Griff bekommt, Fritz Feld als nervöser Psychiater, der in seiner Analyse von David und Susan völlig daneben liegt, Walter Catlett als leicht vom Thema abzubringender Polizist, Barry Fitzgerald als Ben Turpin ähnelnder Stallknecht – eine in jeder Hinsicht überzeugende Besetzung, die „Leoparden küsst man nicht“ zum Klassiker gemacht hat.

    Peter Bogdanovichs Hommage an die Screwball-Komödien der 30er Jahre "Is' was, Doc" (1972, mit Barbra Streisand und Ryan O’Neal) war übrigens ein gelungenes Remake von „Leoparden küsst man nicht“, ist aber leider in Vergessenheit geraten.

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