Für diesen Auftritt sei er schon vor 30 Jahren gebucht worden, sagt Townes Van Zandts Freund und Musikerkollege Guy Clark auf dem Gedenkkonzert für den Verstorbenen. Viele lachen, obwohl jeder Bescheid weiß, dass das nicht einmal zur Hälfte ein Scherz war. Es ist die letzte Szene dieses Dokumentarfilms über den texanischen Singer-Songwriter Townes Van Zandt. Einer jener wenigen Musiker, deren intensiven Liedern man mit jeder einzelnen Note anhört, dass sich das ganze selbstzerstörerische Leben des Sängers um die Musik drehte. Einer, der mit dem Titel „Waiting around to die“ bekannt wurde. Einer, der – wen wundert’s? - nie den ganz großen Durchbruch schaffte, dafür oft genug völlig am Boden war. Einer, den zwar nicht viele Menschen kennen, der aber von den Größen seines Genres verehrt wird. Einer, den der Countrymusiker Steve Earle schlicht als den besten Songwriter der ganzen Welt bezeichnete und hinzufügte, er würde auch auf Bob Dylans Kaffeetisch steigen und es wiederholen. Einer, der eigentlich nicht erst 1997 mit respektablen 53 Jahren, sondern eben schon 30, na gut, sagen wir 20 Jahre früher hätte sterben müssen. Seine Fans würden dann zu seinem Grab pilgern: Be here to love me.
Ein Dokumentarfilm über Townes Van Zandts Leben kann kein nüchternes, sachliches oder gar kritisch distanziertes Werk sein. Ein solcher Film ist ein persönliches Projekt. Die ebenfalls in Texas mit der Musik von Künstlern wie Hank Williams, Bob Dylan, Odetta und Kris Kristofferson aufgewachsene Regisseurin Margaret Brown nimmt den Zuschauer in ihrem ersten Langfilm von Beginn an mit in die Welt von Townes Van Zandts Liedern. 25 seiner Songs hat sie in den 99 Minuten Laufzeit untergebracht und eine beträchtliche Anzahl davon wird ganz ausgespielt. Die Stimmung der Stücke fängt Kameramann Lee Daniel („Slacker“, „Dazed and Confused“, Before Sunrise) in rauen, melancholischen Aufnahmen von nächtlichen Städten und von Autofahrten durch weite (um nicht zu sagen leere) Gegenden ein.
Wie die Liedtexte von Townes von Zandt macht auch dieser Film keine eindeutigen Aussagen, und wer in seinem Ablauf nach einem roten Faden sucht, wird keinen finden. Was er finden wird, sind unzählige Archivaufnahmen von früheren Auftritten, sind private Filme des Künstlers und seiner Familie, sind Interviews mit Van Zandts Familienmitgliedern, seinen drei Ex-Frauen und drei Kindern, mit Freunden und prominenten Musikerkollegen von Kris Kristofferson, dem Country-Singer-Songwriter („Me and Bobby McGee“) und Schauspieler (großartig in „Lone Star“), bis zu Steve Shelley von Sonic-Youth. Fast keine dieser Aufnahmen ist langweilig oder banal.
Wir erfahren von Van Zandts Auftritt bei einer Veranstaltung seiner konservativen Studentenverbindung, auf der er Ärger provozierte, weil er mit nichts mehr als einer Jeans bekleidet erschienen war. Nachdem er sich dort eine Weile dafür bepöbeln ließ, nahm er, ohne ein Wort zu sagen, die Anstecknadel der Verbindung und heftete sie sich an seinen bloßen Oberkörper. Alles Oberflächliche muss ihm zuwider gewesen sein, er wollte weiter gehen als alle anderen und wenn er sich dabei selbst zerstörte. Völlig betrunken, aber nach eigener Aussage mit Vorsatz, um herauszufinden, wie es sich anfühlt, sprang er mit Anfang 20 aus dem vierten Stock eines Hauses. Wie sich das anfühlt, wisse er heute sehr genau, erklärt Townes Van Zandt mit seinem unheimlichen selbstironischen Lächeln, gleichzeitig traurig und mit seiner Todessehnsucht kokettierend, das gleiche Lächeln, mit dem er auf einer alten Super-8-Aufnahme mit seinem selbstmörderischen Drogenkonsum angibt oder mit dem er einem Interviewer erklärt, es stimme nicht, dass er nur traurige Lieder schreibe, einige seien auch einfach hoffnungslos. Jerry Jeff Walker soll, von Townes Van Zandt um Rat gebeten, gesagt haben, ein richtiger Songwriter müsse mit seiner Gitarre losziehen und nichts anderes tun als spielen. Keine Frage, dass Townes Van Zandt sich viel stärker daran gehalten hat, als die meisten anderen.
Margaret Brown präsentiert ihr Material in nichtchronologischer Reihenfolge, die es ihr erlaubt Aussagen, Selbstinszenierungen und Ereignisse, zwischen denen 20 Jahre liegen, direkt einander gegenüberzustellen. Das ist durchaus keine leichte Unterhaltung und wer das Kino schon im Halbschlaf betreten hat, wird wahrscheinlich Schwierigkeiten haben zu folgen und dann möglicherweise von Towns Van Zandts wunderbarer Stimme in den Schlaf gesungen werden. Immer noch schöner als bei einem 08/15-Hollywood-Langweiler nur deshalb nicht einzuschlafen, weil alle fünf Minuten etwas explodiert. Im günstigeren Fall jedoch sieht man sich „Towns Van Zandt“ natürlich mit wachem Geist an, puzzelt sich selbst ein Porträt des Künstlers zusammen, sieht den Film vielleicht noch einmal an und entdeckt ganz neue Puzzleteile, die wieder ein anderes Bild entstehen lassen. Einen Townes-Van-Zandt-Song kann man schließlich auch immer wieder neu hören.