Am 30. November 2007 feierte Regisseur Ridley Scott seinen 70. Geburtstag. Angesichts dieser Tatsache bei seinem aktuellen Film „American Gangster“ von einem Alterswerk zu sprechen, wäre vermessen, anmaßend oder gar eine Frechheit. Der Brite hat immerhin vier Klassiker (Alien, Blade Runner, Thelma And Louise, Gladiator) in seiner Vita stehen. Aber ein Ende ist vorerst nicht abzusehen. Auch im fortgeschrittenen Alter ist Scott auf der Höhe seines Schaffens. Sein Crime-Drama „American Gangster“ ist handwerklich geradezu beängstigend perfekt, wartet mit erstklassigen Leistungen eines Superstar-Casts auf und schrammt nur knapp an der Höchstwertung vorbei, weil die Figuren sich nicht grundlegend von bisher bei „Rise & Fall“-Filmen Gesehenem abheben.
Während der Vietnamkrieg bereits tobt, nutzt Frank Lucas (Denzel Washington) in den späten Sechzigerjahren die Gunst der Stunde. 15 Jahre lang diente er dem Mafiaherrscher Bumpy Johnson (Clarence Williams III) loyal als Chauffeur und hat dabei soviel gelernt, dass er im Handumdrehen seinen Platz einnimmt, als dieser stirbt. Seine „Geschäftsidee“ erweist sich über fast eine Dekade als genial. Er kauft direkt in Thailand bei den Heroinproduzenten und schaltet den Zwischenhändler somit aus. Den Stoff lässt er durch das amerikanische Militär in die Vereinigten Staaten transportieren. Der Clou: Sein „Blue Magic“ ist doppelt so gut und halb so teuer, wie die Ware, die sonst in den Straßen New Yorks gehandelt wird. Das macht Lucas schnell zum mächtigsten Mann der Unterwelt in Harlem, und nebenbei noch zum ersten Afroamerikaner in dieser Position. Auf der anderen Seite des Gesetzes erlebt die Korruption innerhalb der New Yorker Polizei gerade eine Hochphase. Groteskerweise ist es dort der unbestechliche Cop Richie Roberts (Russell Crowe), dem seine Kollegen nicht mehr trauen – eben weil er absolut sauber und ebenso fanatisch ist. Einen Kofferraum voller Drogengeld, das niemand vermisst hätte, bringt er zum Revier zurück. Wert: knapp eine Million Dollar. Roberts wird dazu berufen, eine Sondereinheit gegen die Drogenkriminalität zusammenzustellen und kommt bald auf die Spur von Frank Lucas, der zuvor in Polizeikreisen völlig unbekannt war, weil er sich stets im Verborgenen hielt. Nachdem Roberts die Fährte aufgenommen hat, zieht er die Schlinge immer fester zu...
Richie Roberts: „Judges, lawyers, cops, politicians… stop bringing dope into this country, about 100.000 people will be out of job.“
Die Entstehungsgeschichte von „American Gangster“ ist schon erstaunlich. Im Jahr 2000 schrieb Mark Johnson für das „New York Magazine“ einen Artikel („The Return Of The Superfly“) über die Lebensgeschichte des bis dato von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Mafiabosses Frank Lucas - ein Stoff, wie geschaffen für eine Leinwandadaption. Doch es dauerte letztendlich bis Ende 2007, bis der fertige Film im Kino zu sehen ist. 2001 wollte sich Antoine Fuqua (Training Day, Tränen der Sonne, King Arthur, Shooter) daran versuchen (mit Denzel Washington und Benicio Del Toro), doch einen Monat vor Drehstart im Jahr 2004 stoppte Universal Pictures das Projekt aus Kostengründen. Später scheiterten Brian De Palma (The Black Dahlia, Scarface, Carlito´s Way) und Terry George (Hotel Ruanda) an einer Umsetzung. Als „American Gangster“ fast beerdigt war, kam die Produktion erst durch eine Superstar-Kombination wieder ins Rollen. Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Steven Zaillian (Schindlers Liste, Gangs Of New York, Das Spiel der Macht, Die Dolmetscherin), Hauptrollen: Denzel Washington (Training Day, Inside Man) und Russell Crowe (Todeszug nach Yuma, Insider, Gladiator). Noch Fragen?
Filmstarts-Starporträt: Russell Crowe
Ridley Scott führt seine Figuren in dem 158 Minuten langen Epos sehr sorgsam über das jeweilige Milieu ein. Die Handlungsstränge der beiden Protagonisten laufen erst einmal parallel nebeneinander her, in dem Wissen, dass sich die Wege von Frank Lucas und Richie Roberts zwangsläufig kreuzen werden und es nur einen Gewinner geben kann. Dabei inszeniert Scott so unglaublich lässig, dass eine Ära auf der Leinwand wieder aufersteht. Er zelebriert diese Epoche förmlich, bindet den Zeitgeist ein, zeigt die Praxis des Drogenverkaufs in den Straßen exemplarisch in Zeitlupe oder fährt Bobby Womacks grandiosen, atmosphärischen Soulklassiker „Across The 110th Street“ (funktionierte schon bei Tarantinos Jackie Brown phänomenal) auf, wenn es gilt, die Drogenarbeit in Thailand zu illustrieren. Flankiert werden diese edlen Produktionswerte von Harris Savides’ (Zodiac, The Game) brillanter Kamera, die den Film im düster-dreckigen, aber hochgradig eleganten Siebziger-Style beinahe wie einen Blaxploitation-Film erscheinen lässt.
Die Schauspieler laufen - wie nicht anders erwartet – zu Höchstleistungen auf, ohne dafür besondere Anstrengungen zu unternehmen. Denzel Washingtons versteinerte Mine ist einfach Furcht einflößend, der Oscarpreisträger hat die ultimative Leinwandpräsenz - genauso wie sein Pendant Russell Crowe, der bereits zum dritten Mal mit Scott zusammenarbeitet (2008 kommt Scotts Body Of Lies ebenfalls mit Crowe in der Hauptrolle ins Kino, ein Jahr später Nottingham). Washington verleiht seiner kühlen Mafiagröße die richtige Statur. Obwohl ein ausgesprochener Familienmensch, der seine Sippe um sich scharrt, kennt der intelligente Lucas keine Gnade, wenn nicht alles professionell läuft. Er scheut auch vor kaltblütigen Morden nicht zurück. Privat ein Lebemann im Hawaii-Hemd, der mal eben seine Scheidungsanwältin (KaDee Strickland, Anything Else) flach legt („Fuck me like a cop!“), opfert Richie Roberts alles für seinen Beruf. Seine Ehe mit Laurie (Carla Gugino, Die Regeln der Gewalt) steht vor der Scheidung und seinen kleinen Sohn Michael (Skyler Fortgang) kann er kaum sehen, weil sein Leben zu chaotisch verläuft. Neben den überragenden Superstars können auch sagenhafte zwei Dutzend Darsteller der zweiten Reihe ihre kleinen, aber feinen Beiträge leisten. Besonders hervorzuheben ist Josh Brolin (In The Valley Of Elah, Death Proof, Planet Terror), der als korrupter Cop Trupo eine hochinteressante Ambivalenz ausstrahlt.
Neben all dieser Perfektion und Eleganz kann die Charakterzeichnung nicht ganz diesen allerhöchsten Standards genügen. So ist zum Beispiel der Figur des (ebenfalls realen) Richie Roberts anzumerken, dass dieser Part erst nach der Zusage Crowes ausgebaut wurde. Auf den Spuren von Serpico bietet dieser Charakter mit seinen Eheproblemen gepaart mit fanatischem Einsatz im Beruf nichts wirklich Neues, selbst wenn Crowe ihn so hervorragend spielt. Die einzig gravierende Neuerung bei der Porträtierung des Drogenbosses Lucas ist eigentlich, bis auf Nuancen, dass er schwarz ist. Aber die Qualität schmälert dies nur wenig.
Fazit: Ridley Scott hat sich zum Siebzigsten selbst ein würdiges Geschenk gemacht. „American Gangster“ ist großartiges Kino der alten Schule, ein atmosphärisch und stilistisch virtuoses Sittengemälde der Siebziger, das in den Spuren von Die Unbestechlichen, Der Pate, Serpico und Scarface trittsicher wandelt, dabei Gangster- und Cop-Strukturen wie in Heat aufbaut und beide Milieus gleichberechtigt schildert. Ein Schmankerl gibt’s noch zum Schluss. Der eigentliche Showdown, der schlicht grandios inszeniert ist, findet vor dem Aufeinandertreffen der Helden statt. Wenn sich Lucas und Roberts, die beide einen Ehrenkodex pflegen, schließlich vor die Augen treten, kommt der Filmexpress nahezu zum Stillstand und glänzt mit einer kleinen Überraschung...