Rolf de Heers psychologisch genauer Thriller „Alexandra’s Project“ lief bereits 2003 im Wettbewerb der Berlinale, ist jedoch erst jetzt für die Freunde des klugen Spiels mit den Erwartungen des Zuschauers auf DVD zu sehen. Bedauerlich, dass diesem Film die Leinwand hierzulande verwehrt blieb, schafft Ian Jones Kamera doch erstaunlich beängstigende Räume in diesem Kammerspiel, das seine volle Wirkung auf dem heimischen Bildschirm nur begrenzt entfalten kann.
Dennoch erzeugt der Film nach der ersten Viertelstunde eine ungeheure Sogwirkung. Was zunächst nach gängiger Psychokost aussieht, entpuppt sich schnell als konsequent durchdachtes Psychogramm, das mehr als eine überraschende Wendung bereit hält und dabei langsam, aber stetig eine beklemmende Atmosphäre aufbaut.
Steve (Gary Sweet) und Alexandra (Helen Buday) führen eine Ehe wie unzählige andere Paare: Die zwei Kinder sind ganz gut geraten, der Alltag hat sich wie ein Schleier über das Leben gehängt und die Kommunikation auf Floskeln und Phrasen reduziert. Schnell allerdings wird klar, dass Alex sich nicht einfach von der Routine gelangweilt zurückzieht, sondern ein ernsthaftes Problem hat. Sie nimmt Schlaftabletten, wirkt fahrig und schirmt sich von der Außenwelt ab – nicht nur mit einer Vielzahl von Schließvorrichtungen an den Haustüren. Trotz der offensichtlichen Distanz zu ihrem Gatten bereitet sie eine große Überraschung zu seinem Geburtstag vor. Statt der Partygäste erwartet den erfolgreichen Manager allerdings eine abgedunkelte, fast leer geräumte Wohnung, in der lediglich eine Kamera steht – und ein Videotape. Leicht verunsichert startet Steve das Band und freut sich über die Geburtstagsgrüße seiner Familie. Dann jedoch schickt Alexandra die Kinder weg, weil jetzt der Teil für Erwachsene kommt. Der Striptease, den sie dann vollführt, geht jedoch weit über die Entblößung ihres Körpers hinaus und gerät zu einem Psychotrip, der vor nichts zurückschreckt und dabei ohne physische Brutalität zutiefst erschüttert.
De Heer untersucht mit berührender Offenheit die Mechanismen einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die Jahre miteinander verbracht haben, ohne sich dabei auch nur im Ansatz wirklich nahe gekommen zu sein. Das klaustrophobische Arrangement, das Alexandra inszeniert hat, macht ihr Innenleben sichtbar und für Steve zum ersten Mal erlebbar. Dabei geht es Alexandra im Wesentlichen nicht darum, Rache zu nehmen, sondern ihren Mann zu zwingen, sie als Person wahrzunehmen. „Ich hasse es, dass du mich immer Alex nennst. Alexandra ist mein Name.“ Wie tief die Missachtung der Bedürfnisse seiner Frau in Wahrheit geht, erfährt Steve auf schmerzvolle Weise.
Diese Tour de Force verlangt den Schauspielern großen Mut ab. Helen Buday entblößt sich vor der Kamera vollkommen. Sie ist eine Frau, deren Körper ihr Alter nicht verbirgt – mit 40 lässt die Straffheit nach, im Gesicht graben sich langsam Falten ein, die Haut strahlt nicht mehr jugendlich. Helen Buday zeigt eine Frau, die trotz oder gerade wegen der vielen Verletzungen, die sie erlebt hat, eine große Stärke und Entschlossenheit ausstrahlt – und Erotik, die allerdings nur in den Momenten der Selbstbestimmtheit zum Vorschein kommt. Gary Sweet als Steve kann man dagegen in seinem Sessel vor dem Fernsehgerät geradezu beim Altern zusehen. Der vermeintlich starke, selbstsichere Mann sinkt zusehends in sich zusammen, verliert an Spannkraft und wirkt unerwartet hilflos. Über anderthalb Stunden lang die Spannung auf einem Niveau zu halten, das den Zuschauer langsam und schleichend immer tiefer durchdringt, ist schon eine bemerkenswerte Leistung. Das auch zu schaffen, wenn die Akteure sich die meiste Zeit alleine und in fast leeren, isolierten Räumen dem nüchternen Auge der Kamera stellen, erfordert von Drehbuch und Darstellern große Subtilität, die hier fast erschreckend rücksichtslos unter Beweis gestellt wird.
Die Kontraste zwischen den Ehepartnern setzt Kameramann Ian Jones in scharfe Grenzen zwischen Licht und Dunkel um. In den abgeschotteten Räumen wirken beide wie Gefangene, zu denen von draußen nur einzelne Streifen gleißenden Lichts durchdringen, die blenden und einerseits Sehnsucht nach draußen hervorrufen, gleichzeitig aber auch Angst machen. Die Wohnung verwandelt sich von einem normalen Reihenhausappartement schlagartig in eine bedrohliche Gruft, das Bekannte birgt plötzlich Bedrohliches in jeder Ecke.
Mit erstaunlich kleinem Budget und sehr kurzer Drehzeit schafft der in den Niederlanden geborene und mit acht Jahren nach Australien ausgewanderte de Heer ein Drama voller Eindringlichkeit. Der detaillierten Figurenzeichnung merkt man an, dass das Thema schon jahrelang in seinem Kopf reifte, um dann innerhalb weniger Wochen zu einem Drehbuch zu werden. Kluge und nachhaltig wirkende Thrillerkost, die statt der Effekt haschenden physischen auf die psychischen Grausamkeiten abzielt und sie aus ihrem verborgenen Dasein in ein scharfes Licht zerrt.