Scorsese überrascht mit einem schicken Liebesdrama im Jane Austen-Format!
Martin Scorsese war in den 90ern längst für seine deutlich gewalttätigeren Werke bekannt. Seine Mafiosi-Filme (wie etwa „GoodFellas“ von 1990) waren besonders stark und prägten die Kinolandschaft für immer. Doch 1993 überraschte der große Scorsese das Kinopublikum mit der Verfilmung eines Liebesromans von Edith Wharton: „Zeit der Unschuld“. Das Drama mit dem Ambiente eines Jane Austen-Romans, sorgte für Aufsehen bei Zuschauern und Kritikern, konnte aber letztendlich den Großteil des Publikums begeistern. Bei den Oscars war das Werk für fünf Academy Awards nominiert (unter anderem für die beste Nebendarstellerin, Winona Ryder, und das beste Drehbuch), konnte aber nur einen Preis für das beste Kostüm gewinnen. Doch wie hat sich das Historiendrama über eine hoffnungslose Liebe bis heute gehalten, 30 Jahre später?
Die Geschichte spielt in den 1870er Jahren in New York: Newland Archer ist Anwalt und kurz davor seine Verlobte May Welland zu heiraten. Mays Cousine Ellen Olenska wühlt Newlands ganzes Leben ordentlich auf, als sie nach ihrer Scheidung nach New York zieht und als unabhängige Frau ihr Leben genießen möchte…
Zugegeben: Die Geschichte ist für mich aus heutiger Sicht nicht mehr sonderlich spektakulär. Eine verbotene bzw. heimliche Liebschaft gibt nicht mehr viel her. Und dennoch schaffen es Scorsese und Jay Cocks (beide schrieben das Drehbuch) dem Ganzen eine nötige Substanz zu geben. Hinter den leeren Worthülsen, verbergen sich spannende Konflikte und besonders die Figur der Ellen nimmt eine sehr moderne Stellung in der Geschichte ein, die ihrer Zeit voraus war. Auch wie Scorsese die Figur des Newland am Ende behandelt, ist überraschend nüchtern und tragisch (erinnerte mich auch an einen seiner aktuelleren Filme „The Irishman“, in dem die Titelfigur am Ende ein etwas ähnliches Schicksal erleidet).
Spannend ist vor allem das, was die Figuren in solchen Filmen zwischen den Zeilen sagen und Scorsese spielt auch klar damit (ähnlich wie Ang Lee in seiner Austen-Verfilmung „Sinn und Sinnlichkeit“).
Dennoch fehlt mir am Ende das gewisse Etwas. Die Geschichte ist dann doch irgendwie zu… einfach. Der Konflikt von Newland wird mir zu eindimensional behandelt und er kommt am Ende leider sehr unsympathisch rüber. Auch wenn das gewollt war, so hätte ich mir doch etwas mehr Verständnis für seine Figur gewünscht. Warum sagt er seiner Frau nicht die Wahrheit? Ist es einfach nur Feigheit oder auch die Angst um ihre Stellung und die Zukunft?
Schauspielerisch gibt es allerdings nichts zu meckern, alle liefern ab! Daniel Day-Lewis ist immer toll, Winona Ryder ebenfalls (auch wenn sie recht wenig im Film zu tun hat) und Michelle Pfeiffer hat mir tatsächlich am besten gefallen mit ihrer Darstellung der Ellen.
Auch technisch ist der Film hübsch gemacht mit einer teilweise sehr kreativen Kameraarbeit von Michael Ballhaus. Auch der Score von Elmer Bernstein rundet das Ganze mit seinen schicken Kostümen und den herrlichen Locations sehr gut ab.
Fazit: „Zeit der Unschuld“ ist ein überraschend zurückhaltender Film von Scorsese, aber hat dennoch eine gewisse Schärfe und viel, klassisches Liebesdrama. Fans solcher Kostümfilme werden sicherlich auf ihre Kosten kommen, immerhin ist das Ganze schick gefilmt und inszeniert, ganz zu schweigen von den tollen Schauspieler*innen. Dennoch fehlt mir die nötige Würze für einen wirklich herausragenden Film!