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    Letztes Jahr In Marienbad
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    Anonymer User
    5,0
    Veröffentlicht am 20. Juli 2012
    Letztes Jahr in Marienbad

    Alain Resnais Film Marienbad ist, im Gegensatz zu so vielen anderen Werken der Nouvelle Vague, kein politischer Film. Ich habe mich auf einen Film gefreut, der nicht in einen politischen Kontext eingeordnet werden muss, um geschätzt zu werden, obgleich auch jene zutiefst zeit-, kunst- und filmkritische Werke zweifelsohne ihren Reiz besitzen. Dabei ist vor allen Dingen auch Resnais ein politischer Filmemacher, wie Hiroshima mon Amour zeigt. Bei Marienbad liegt der Fall allerdings ein wenig anders.

    Dekors, Korridore, Treppen, Glas. Immer wieder ertönt aus dem Off die selbe Stimme. Die gleiche Orgelmusik schwebt wie ein Mantra über allem in der zyklischen Wiederholung langer Kamerafahrten durch das prunkvolle und gleichzeitig seltsam leere Haus. Resnais trennt seine Szenen durch jene ewig gleichen Ansichten des Hauses und fragmentiert die ohnehin brüchige Story weiter, bis wie in einem Traum nur unzusammenhängende Erinnerungen bleiben. Ohne eine artifizielle Pseudo-Tiefgründigkeit erzählt Resnais seine Geschichte mit großartigem Gespür und vermittelt gerade in der Sensibilität, mit der die Protagonisten gezeichnet und behandelt werden, ein Maß an Authentizät und Ehrlichkeit, welches die Figuren sympathisch macht. Es ist dieser Hauch, die Möglichkeit der Identifikation, die ''Marienbad'' funktionieren lässt. Man spürt, dass das hier keine künstlerische Fingerübung ist, sondern dass es tatsächlich um etwas geht. Man weiß nicht, was das genau ist, worum sich der Film überhaupt dreht. So viele Fragen bleiben unbeantwortet. Die Geschichte offenbart in ihrer einfachen Struktur die Schwierigkeit einer schlüssigen Interpretation, da das, was nicht gezeigt wird, wichtiger wird, als das tatsächlich Gesehene.

    ''Marienbad'' als Traum zu bezeichnen, scheint naheliegend. Aber mit dieser simplen ''Wochenzeitschrift''-Lobeshymnen-These ist die Interpretation nicht getan. Die offensichtlichen Traumparallelen hinsichtlich des Fragmentcharakters, der offenen Fragen, der mangelnden Information über Figuren, Beteiligte, ihre Motive, Vergangenheit und Relationen sind zwar wichtig, allerdings ist damit nicht gesagt, wie man mit diesem Traum umgehen soll. Es werden sicher viele versuchen, diesen Film zu entschlüsseln, um an seinen Kern, seine Aussage zu kommen. Aber eigentlich sollte jedem, der die Genialität von Resnais erkannt hat, der Tatsache bewusst sein, dass der Film nicht zu entschlüsseln ist, dass ''Marienbad'' viel zu komplex und zu clever konstruiert ist, als dass man zu einer schlüssigen These kommen könnte. Übrig bleiben bei allen Versuchen allenfalls Haupt- und Nebenmotive, die man einander in Verbindung setzen kann, um sie ein wenig zu deuten, und sich eine Vorstellung zu machen, was Resnais mitteilen will.

    Es gibt in ''Marienbad'' unzählige Hinweise und verwirrende Einzelheiten, die sicher nicht zufällig so angeordnet wurden. Kafkaesk ist daher die Eigenschaft des Films, dass seine scheinbar einfachen Fragen mit naheliegenden Antworten dann in Wahrheit doch in unerreichbare Ferne rücken. Es hat etwas von einem Detektivspiel sich all dieser Fragen anzunehmen, bis man den Hinweisen ob ihrer enormen Fülle nicht mehr folgen kann. Erinnert man sich an den Film zurück, bleiben zwei Menschen in einem großen Haus. Sie passen zusammen, oder auch nicht. Sie kannten sich angeblich, vielleicht sogar sehr gut. Da war noch ein anderer Mann, der ebenso etwas mit dem zu tun hatte, was vor einem Jahr passiert war. Nur weiß keiner genau, was das war. Resnais sind all diese Dinge auch nicht wichtig. Kleine inszenatorische Finessen und Aussagen der Protagonisten verdeutlichen die Relativität vo n Zeit und Raum, woraus ich selbst weniger ein philosophisches Statement zur Wahrnehmung lese. Eher verdeutlicht Resnais die Verlorenheit der Protagonisten. Etwas zwischen ihnen, eine Relation, existiert scheinbar jenseits von Zeit und Raum, ohne andere Menschen, ohne Gesellschaft und scheinbar auch ohne sie selbst. Ein unerfassbares Ding, eine Erinnerung, die sie bestimmt und sie nicht loslässt. Diese Suche nach der Erinnerung ist am Ende der Inhalt von ''Marienbad'': das Leben der Protagonisten, ihre ganze Gegenwart verkommt zu einer Suche nach der Vergangenheit.

    Ich würde soweit gehen und sagen, dass ''Marienbad'' ein Film über Zuneigung ist. Mehr lässt sich wohl nicht mit Sicherheit behaupten. Aber ich persönlich habe beim Sehen des Films diese Zuneigung der Protagonisten gespürt, auch ihre Entfremdung, ihre Ängste. Und diese emotionale Komponente macht '' Marienbad'' zu einem starken Film. Resnais hat ein Werk erschaffen, dass ich wunderbar finde, weil ''Marienbad'' so atmosphärisch, auftrumphend, überwältigend und gleichzeit so sensibel und auf seine Art und Weise zart und verletzlich scheint. ''Marienbad'' ist ein Film, den es so oder so ähnlich nicht noch ein zweites Mal gibt.
    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    2,5
    Veröffentlicht am 16. Juni 2021
    KENNEN WIR UNS?
    von Michael Grünwald / filmgenuss.com

    War es in Marienbad? In Friedrichstadt, Karlstadt oder Baden-Salsa? Oder in diesem Salon? Nichts Genaues weiß man nicht. Das Einzige, was so ziemlich als gesichert gilt, ist, dass der Mann mit dem schmalen Gesicht beim mittlerweile als Marienbad bekannten Nim-Spiel stets gewinnt. Das kann man drehen und wenden, wie man will. Und sonst? Sonst ist alles das Ergebnis subjektiver Erinnerungen an ein Damals vor einem Jahr. Oder sind diese Erinnerungen auch nur ein Konstrukt aus Begehren und Wunschtraum?

    Die Sechziger, das Um- und Aufbruchsjahrzehnt für Gesellschaft, Soziales und Kultur, hat den Leuten gezeigt, dass vieles auch anders geht. Das die Norm keine Zügeln hat. Dass die Freiheit mannigfaltig sein kann. Da war Querdenken noch ein begrüßenswerter Umstand. Das Umkrempeln der bewährten Ordnung schuf in der Literatur den Nouveau Roman – folglich dauerte es nicht lange und im bereits durch die Nouvelle Vague erneuerten Medium Film etablierte sich der Versuch, die lineare Erzählform außen vor zu lassen, Strukturen aufzudröseln und mit diesen losen Fäden herumzuexperimentieren. Inspiriert von Alfred Hitchcocks filmischen Methoden und von so ziemlich allem, was neu war, entstand unter der Regie von Alain Resnais, der mit Hiroshima, mon amour ’59 die Goldene Palme von Cannes holte und sich nunmehr unorthodoxe Filmprojekte leisten konnte, ein nobles Verwirrspiel erster Güte: Letztes Jahr in Marienbad.

    Dabei erstreckt sich die Handlung auf gerade mal fünf Minuten oder würde bei einem linearen Erzählkonzept bis zur zweiten Szene kommen. Ein namenloser Mann trifft auf eine namenlose Frau an einem unbekannten Ort – wir wissen, es ist ein Hotel in barockem Stil. Der Mann scheint die Dame zu kennen, sie wiederum kann sich an nichts erinnern. Also versucht der Mann, die Frau davon zu überzeugen, dass sich beide bereits letztes Jahr schon getroffen hatten. In Marienbad, Friedrichstadt, Karstadt, Baden-Salsa oder in diesem Salon. Dabei wiederholt sich seine artikulierte Beweisführung immer und immer wieder. Klingt jetzt nicht gerade prickelnd. Doch Resnais geht es keinesfalls um romantische Inhalte. Dieses bisschen Erzählsubstrat zerbricht wie ein Spiegel in hunderterlei Scherben. Ziel ist es, diesen Spiegel neu zusammenzusetzen. Bedingung dabei: all die Teile müssen neu arrangiert werden, letzten Endes aber dennoch wieder einen ganzen Spiegel ergeben.

    Ein Experiment fürwahr. Doch was vielleicht in den Sechzigern für staunende Gesichter gesorgt hat, offenbart sich in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts mittlerweile nur noch als recht aufgeräumter, jedoch wenig tangierender Versuch, aus überholten Normen auszubrechen. Aus filmhistorischer Sicht mag Letztes Jahr in Marienbad seinen Platz bis heute gut verteidigt haben. Dass dieser Film allerdings auch heute noch irritierende Verblüffung auslöst, wage ich zu bezweifeln. Resnais Werk mag surreal sein – der redundante Ablauf an ähnlichen Szenen und mächtig ausholenden Kamerafahrten bleibt gediegene, natürlich edel fotografierte Langeweile.

    So gesehen gibt es mehrere Sprachblöcke, die sich stets wiederholen. Allein schon ganz am Anfang erzählt eine Stimme aus dem Off gefühlt zigmal dieselbe Beschreibung des Ortes. Die langen Gänge, den schweren Stuck, die vielen Salons. Wie Gedankenblasen dreht sich das Gesagte in zeitlosem Kreis. Inhaltsleere Gesprächsfetzen der anderen Gäste sind zu hören – Floskeln, die keinen Sinn ergeben. Oft stehen diese Damen und Herren – in Abendkleid und schwarzen Anzügen – orientierungslos inmitten des üppigen Interieurs oder halten im geometrisch angeordneten Schlossgarten plötzlich inne, als würde die Zeit stillstehen. Es sind die Abbildungen vager Anhaltspunkte aus dem Gedächtnis der beiden Hauptfiguren, die alles Irrelevante als bedeutungslose, abstrakte Peripherie in das Erinnernde eingliedern. Und immer wieder, immer wieder wiederholt sich diese Abfolge wie ein formelhaftes Mantra. Dazwischen wieder der Mann mit dem schmalen Gesicht, der im Nim-Spiel gewinnt.

    Unterlegt ist dieses flüchtige Kaleidoskop, das keinen Anfang, kein Ende und deren Zeiten vollends durcheinandergeraten, mit konterkarierter schwerer Orgelmusik. Letzten Endes ist man um keine Nuance schlauer, letzten Endes erreicht ein Gähnen die letzten Szenen eines scheinbar nicht enden wollenden, intellektuellen Filmversuchs. Nun, es ist ein Ereignis, doch gleichermaßen ein recht geziertes Kind seiner Zeit.
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