Letztes Jahr in Marienbad
Alain Resnais Film Marienbad ist, im Gegensatz zu so vielen anderen Werken der Nouvelle Vague, kein politischer Film. Ich habe mich auf einen Film gefreut, der nicht in einen politischen Kontext eingeordnet werden muss, um geschätzt zu werden, obgleich auch jene zutiefst zeit-, kunst- und filmkritische Werke zweifelsohne ihren Reiz besitzen. Dabei ist vor allen Dingen auch Resnais ein politischer Filmemacher, wie Hiroshima mon Amour zeigt. Bei Marienbad liegt der Fall allerdings ein wenig anders.
Dekors, Korridore, Treppen, Glas. Immer wieder ertönt aus dem Off die selbe Stimme. Die gleiche Orgelmusik schwebt wie ein Mantra über allem in der zyklischen Wiederholung langer Kamerafahrten durch das prunkvolle und gleichzeitig seltsam leere Haus. Resnais trennt seine Szenen durch jene ewig gleichen Ansichten des Hauses und fragmentiert die ohnehin brüchige Story weiter, bis wie in einem Traum nur unzusammenhängende Erinnerungen bleiben. Ohne eine artifizielle Pseudo-Tiefgründigkeit erzählt Resnais seine Geschichte mit großartigem Gespür und vermittelt gerade in der Sensibilität, mit der die Protagonisten gezeichnet und behandelt werden, ein Maß an Authentizät und Ehrlichkeit, welches die Figuren sympathisch macht. Es ist dieser Hauch, die Möglichkeit der Identifikation, die ''Marienbad'' funktionieren lässt. Man spürt, dass das hier keine künstlerische Fingerübung ist, sondern dass es tatsächlich um etwas geht. Man weiß nicht, was das genau ist, worum sich der Film überhaupt dreht. So viele Fragen bleiben unbeantwortet. Die Geschichte offenbart in ihrer einfachen Struktur die Schwierigkeit einer schlüssigen Interpretation, da das, was nicht gezeigt wird, wichtiger wird, als das tatsächlich Gesehene.
''Marienbad'' als Traum zu bezeichnen, scheint naheliegend. Aber mit dieser simplen ''Wochenzeitschrift''-Lobeshymnen-These ist die Interpretation nicht getan. Die offensichtlichen Traumparallelen hinsichtlich des Fragmentcharakters, der offenen Fragen, der mangelnden Information über Figuren, Beteiligte, ihre Motive, Vergangenheit und Relationen sind zwar wichtig, allerdings ist damit nicht gesagt, wie man mit diesem Traum umgehen soll. Es werden sicher viele versuchen, diesen Film zu entschlüsseln, um an seinen Kern, seine Aussage zu kommen. Aber eigentlich sollte jedem, der die Genialität von Resnais erkannt hat, der Tatsache bewusst sein, dass der Film nicht zu entschlüsseln ist, dass ''Marienbad'' viel zu komplex und zu clever konstruiert ist, als dass man zu einer schlüssigen These kommen könnte. Übrig bleiben bei allen Versuchen allenfalls Haupt- und Nebenmotive, die man einander in Verbindung setzen kann, um sie ein wenig zu deuten, und sich eine Vorstellung zu machen, was Resnais mitteilen will.
Es gibt in ''Marienbad'' unzählige Hinweise und verwirrende Einzelheiten, die sicher nicht zufällig so angeordnet wurden. Kafkaesk ist daher die Eigenschaft des Films, dass seine scheinbar einfachen Fragen mit naheliegenden Antworten dann in Wahrheit doch in unerreichbare Ferne rücken. Es hat etwas von einem Detektivspiel sich all dieser Fragen anzunehmen, bis man den Hinweisen ob ihrer enormen Fülle nicht mehr folgen kann. Erinnert man sich an den Film zurück, bleiben zwei Menschen in einem großen Haus. Sie passen zusammen, oder auch nicht. Sie kannten sich angeblich, vielleicht sogar sehr gut. Da war noch ein anderer Mann, der ebenso etwas mit dem zu tun hatte, was vor einem Jahr passiert war. Nur weiß keiner genau, was das war. Resnais sind all diese Dinge auch nicht wichtig. Kleine inszenatorische Finessen und Aussagen der Protagonisten verdeutlichen die Relativität vo n Zeit und Raum, woraus ich selbst weniger ein philosophisches Statement zur Wahrnehmung lese. Eher verdeutlicht Resnais die Verlorenheit der Protagonisten. Etwas zwischen ihnen, eine Relation, existiert scheinbar jenseits von Zeit und Raum, ohne andere Menschen, ohne Gesellschaft und scheinbar auch ohne sie selbst. Ein unerfassbares Ding, eine Erinnerung, die sie bestimmt und sie nicht loslässt. Diese Suche nach der Erinnerung ist am Ende der Inhalt von ''Marienbad'': das Leben der Protagonisten, ihre ganze Gegenwart verkommt zu einer Suche nach der Vergangenheit.
Ich würde soweit gehen und sagen, dass ''Marienbad'' ein Film über Zuneigung ist. Mehr lässt sich wohl nicht mit Sicherheit behaupten. Aber ich persönlich habe beim Sehen des Films diese Zuneigung der Protagonisten gespürt, auch ihre Entfremdung, ihre Ängste. Und diese emotionale Komponente macht '' Marienbad'' zu einem starken Film. Resnais hat ein Werk erschaffen, dass ich wunderbar finde, weil ''Marienbad'' so atmosphärisch, auftrumphend, überwältigend und gleichzeit so sensibel und auf seine Art und Weise zart und verletzlich scheint. ''Marienbad'' ist ein Film, den es so oder so ähnlich nicht noch ein zweites Mal gibt.