Ein akkurates Krimidrama, erzählt in leisen Tönen und mit psychologischem Tiefgang konnte man von Regisseur John Polson nach seinen bisherigen Werken eher nicht erwarten. Der einstige Theater- und Filmschauspieler, der sich nach seinem Auftritt in „Mission: Impossible 2“ komplett auf die Arbeit hinter der Kamera beschränkte, konnte mit der Adrian Lyne-/“Eine verhängnisvolle Affäre“-Hommage „Swimfan“ (2003) und dem lahmen Mystery-Grusler „Hide and Seek“ (2004) mit Robert De Niro und Dakota Fanning weder durch Subtilität, noch sonderlichen Einfallsreichtum auf sich aufmerksam machen. Für die Nachfolge dieses zumindest kommerziell halbwegs erfolgreichen Anti-Anschauungsmaterials griff Polson auf den Roman „Tenderness“ des im Jahr 2000 verstorbenen Autors Robert Cormier zurück. Cormier ist angesichts der Qualität des Films nicht unbedingt Anlass zur Grabrotation gegeben, zu einem rundum überzeugenden Leistungsnachweis Polsons ist er allerdings auch bei weitem nicht geworden.
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Nachdem er seine Eltern ermordet und eine Jugendstrafe verbüßt hat, wird der achtzehnjährige Eric in die Freiheit entlassen – sehr zum Missfallen von Detective Cristofuoro, der sich sicher ist, dass Eric ebenfalls für den Tod zweier Mädchen verantwortlich ist und wieder Töten wird. Die junge Lori hingegen will unbedingt die Bekanntschaft des vermeintlichen Psychopathen machen. Als Eric zu einer Autofahrt aufbricht versteckt sie sich auf dem Rücksitz und es entwickelt sich während der Tour eine ungewöhnliche Beziehung. Doch Cristofuoro stellt Eric eine Falle…
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„Tenderness“ beginnt mit tiefer Intimität: zwei Münder bewegen sich aufeinander zu, tauschen einen langen, leidenschaftlichen Kuss aus und eine Hand ist zu sehen, die diesen Moment scheinbar vollkommener Sinnlichkeit in einer Zeichnung festhält. Von solcher romantischen Annäherung kann die junge Lori hingegen nur träumen, die sich in einem Supermarkt vorm Geschäftsführer entblößt, damit dieser sich beim Anblick ihrer Brüste einen runterholen kann und sie sich anschließend eine CD einstecken darf. Unter der Dusche wird sie von ihrem zukünftigen Schwiegervater Gary beobachtet und mit einem Bestechungsgeschenk versichert ihr ihre Mutter, das dieses Mal, mit diesem Gary, alles „anders“ wird. Dann gibt es da Detective Cristofuoro, der in seinem Off-Kommentar die Menschen nach den das Vergnügen jagenden und den vom Schmerz getriebenen ordnet, wobei manche Menschen, unter anderem er selbst, für ihren Schmerz leben, denn er ist alles, was sie haben. Cristofuoro schleppt sich einsam durch seine Wohnung und wenn er seine Frau besucht, die mehr tot als lebendig im Krankenhaus vegetiert, sieht er sich mit ihr alte Urlaubsvideos an. Kurz vor dem Ruhestand gibt es für ihn nur ein Ziel: den Elternmörder Eric nach dessen Haftentlassung daran zu hindern, weitere Morde zu begehen. Mehr hat das Leben ihm nicht übrig gelassen.
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Die ersten Minuten von „Tenderness“ sind das Portrait zweier Menschen auf dem Weg ins Verloren und Vergessen sein, von einem Mann, den einzig die Hoffnung, wenigstens noch ein Leben retten zu können antreibt, und einem Mädchen auf dem Weg in die völlige Verzweiflung, der Aufgabe des eigenen Lebens. Ihre Gemeinsamkeit heißt Eric, dem sie beide auf dem Weg zur Erlösung hinterher eilen. Der Film belädt sich dabei mit einer allgegenwärtigen, jede einzelne Szene umfassenden Schwere, der es zunächst auch nicht an melancholischer, beinahe lebensverneinender Wirkung fehlt. Polsons Fehler besteht aber darin, dass er die Schwere auch in jenen Momenten nicht abmildert, in denen sie eigentlich nicht heimisch ist. Jede Einstellung, jede Geste und jeden Dialog will er mit soviel Bedeutung aufladen, dass er die wirklich und von sich aus bewegenden Momente damit ungerechterweise abschwächt. Dazu trägt in erheblichem Maße die Musik von Jonathan Goldsmith bei, die für sich genommen absolut toll und hörenswert ist, viele eher bedeutungslose Szenen aber vollkommen überlädt. Jegliches Gespür für das Setzen dramatischer Höhepunkte geht dem Film und Polsons Inszenierung ab: wenn der Mörder Eric und die vom Todeswunsch getriebene Lori später im Auto unterwegs sind, wird die Mehrzahl ihrer Gespräche keine drei Buchstaben lang des vorgetäuscht fundamentalen Formats gerecht und die aufgeplusterten Trivialitäten rauben einem großen Moment der Offenbarung jede Kraft.
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„Tenderness“ blickt außerdem, was die Figuren betrifft, nur bis hin zu einem sehr nahe gelegenen Horizont und leider ganz selten und irgendwann gar nicht mehr darüber hinaus. Das Potenzial, dass sich aus der Charakterkonstellation hätte ergeben können, ist in den stärksten Momenten des Films so deutlich zu erkennen, dass man es nur noch bedauern kann, wenn es dann wieder für lange Zeit hinter gehaltlosen und nicht selten unlogischen Sequenzen in Deckung gezwungen wird. Wenn Eric und Lori in einen verlassenen Wohnwagen steigen und Eric zum Hammer greift, während Lori auf der Toilette ist, wird nicht bloß die Dramatik dieses Augenblicks an sich total aufgegeben, mit dem Auftauchen Cristofuoros, der den umliegenden Wald absucht, statt zuerst in den Wohnwagen zu steigen, wird dessen Glaubwürdigkeit gleich mit begraben. Dass der Detective später ohne jeden konkreten Verdacht einen ganzen Trupp von Polizisten zur Verfügung hat, um Eric in eine Falle zu locken, macht nicht minder wenig Sinn.
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Für die Hauptrolle des desillusionierten Cristofuoros konnte Polson mit dem Oscarpreisträger Russell Crowe, dessen Geliebten er in „The Sum of Us“ (1994) gespielt hatte, einen Hochkaräter gewinnen, der in seinem Spiel von den Logikmängeln natürlich unangetastet bleibt. Seine kurzen Szenen am Krankenbett seiner Frau sind ohne Zweifel die am ehrlichsten berührenden des Films und in Crowes Gesicht liegt all der Schmerz, den „Tenderness“ zu oft ausdrücken WILL, ohne auf andere Mittel als jene der Behauptung zurückgreifen zu können. Zwar spielen auch Jon Foster und Sophie Traub ihre Rollen sehr gut, müssen aber damit zurechtkommen, dass ihre Charaktere um einiges zu vage und eben teils schlicht behauptet bleiben. Ihnen werden nur schemenhafte Hintergründe eingeräumt und obwohl im Prinzip nichts dagegen einzuwenden ist, dass ein Film Freiraum zum Machen eigener Gedanken und Interpretationen lässt, macht das jedoch nur dann Sinn, wenn Konkretes zumindest im Symbolischen und auf unterschiedlichen Ebenen Angedeutetem vorhanden ist. Dies mag in wirrster Form bei den Werken des Maximalanwenders des rein interpretativ erfahrbaren David Lynch vorhanden sein, bei „Tenderness“ aber nicht. Aussparung und Dahingestelltes bedeutet hier unrunde Charakterentwicklung.
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Mit seinem sehr gedrosselten Erzähltempo, den raren Spannungshöhepunkten und den vielen Momenten, in denen einem Dramatik suggeriert wird, obwohl fast gar nichts passiert, fordert „Tenderness“ eine Menge Geduld, deren Aufbringen sich nicht annähernd im gleichem Maße ausgleicht. Leider kann auch das eigentlich bittere Ende wenige der vorigen Versäumnisse rausreißen, da es auch hier an der Logik mangelt.
ACHTUNG SPOILER!
-----------Die Nichtschwimmerin Lori stürzt sich zum Schluss von einem Ruderboot aus in einen See und statt sofort hinterher zu springen versucht Eric sie erst mit der Hand, dann mit einem Ruder zu erreichen.------------------
SPOILER ENDE
So bleiben bei „Tenderness“ nur die starken Darstellerleistungen, der poetisch-schöne Score und der ein oder andere ausdrucksstarke Einzelmoment. Und die Gewissheit, dass wenn das Wörtchen „nur“ das beherrschende in einer Review ist, der Film dazu bestenfalls nur mäßig sein kann.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/02/13/review-tenderness/