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    Grüne Tomaten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Grüne Tomaten
    Von Tobias Diekmann

    Jon Avnets „Grüne Tomaten“ bleibt auch nach mehrmaligem Schauen ein opulentes Werk. Eine durch und durch nostalgische Reise voller großer Gesten. Ein meisterhafter Film über Frauen in den Südstaaten der 30er Jahre, aufgeladen mit einer permanent schwülen Atmosphäre. Und doch ist er bei genauerer Betrachtung sehr viel mehr als ein „Frauenfilm“. Er entwirft mit heiter-melancholischen Zwischentönen ein treffendes Bild in der Zeit der Depression, und erzählt mit geschickt montierten Rückblenden die Geschichte zweier Frauen, die eine tiefe Freundschaft verbindet und sich im Laufe ihrer Beziehung immer wieder gegen schwere Schicksalsschläge behaupten müssen. Eingebettet in eine gegenwärtige Rahmenhandlung, bietet der Film darüber hinaus einen der letzten Auftritte von Jessica Tandy (Miss Daisy und ihr Chauffeur), die noch zu Lebzeiten für ihre Rolle eine Oscarnominierung erhalten hat.

    Die Hausfrau Evelyn Couch (Kathy Bates) ist über alle Maße frustriert. Von ihrem Ehemann wird sie kaum beachtet und auch sonst scheint das Leben im kleinen Südstaatenkaff nichts Aufregendes mehr für sie bereit zu halten. Doch das soll sich ändern, als sie eines Tages die Tante ihres Mannes im Krankenhaus besuchen muss und dabei auf Ninny (Jessica Tandy) trifft, eine sympathische etwas schrullige alte Dame, die kurzerhand anfängt, Evelyn in ein Gespräch zu verwickeln. So erzählt sie die wahre Geschichte von Idgie Threadgoode (Mary Stuart Masterson) und Ruth Jameson (Mary-Louise Parker), die sich in den 30er Jahren über einen tragischen Vorfall kennen und lieben lernen und nach einer gewalttätigen Ehe von Ruth, aus der ein Kind hervorgeht, gemeinsam ein Café betreiben, das Whistle Stop Café. Im Laufe der Jahre kommt es immer wieder zu Problemen, die von den beiden Frauen gemeistert werden müssen. Ninny erzählt die Ereignisse von Idgie und Ruth detailliert, mit sehr viel Wärme und voller Hingabe. Die Besuche von Evelyn werden immer häufiger und veranlassen sie dazu, fasziniert von den Geschehnissen rund um Idgie und Ruth, ihr eigenes Leben neu zu ordnen.

    Jon Avnets „Grüne Tomaten“ ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Film. Zum einen schafft er es, zwei parallel laufende und zeitlich voneinander getrennte Handlungsverläufe so miteinander zu verweben, dass sie ein stimmiges Ganzes ergeben und sich der gegenwärtige Part mit Ninny und Evelyn ins Gesamtbild einfügt, ohne dass man ihn als Fremdkörper gegenüber der Flashbacks in die 30er Jahre empfindet. Beide Handlungsebenen sind in dem, was sie erzählen wollen sehr unterschiedlich angelegt, was die Probleme der jeweiligen Protagonisten betrifft. Doch in ihrem Kern haben sie letztlich einen wichtigen einheitlichen Verlauf: Es geht um die Emanzipation der Frau.

    „Grüne Tomaten“ gelingt es vor allem dann seine volle Wirkung zu entfalten, wenn man neben den offensichtlichen Handlungsabläufen versucht, sich auf den Subtext zu konzentrieren, der in seiner Vielschichtigkeit einiges mehr zu erzählen weiß. Dann entspinnt sich nämlich neben dem punktgenauen Abbild der 20er und 30er Jahre im Süden der USA vor allem das Psychogramm zweier starker Frauen, die in einer Zeit voller Missstände ihren eigenen Weg gehen, und sich nicht nur gegen Rassismus und Sexismus zur Wehr setzen, sondern darüber hinaus das festgefahrene Rollenverhalten Mann/Frau aufsprengen. Gerade der Charakter von Idgie erweist sich als interessant, da sie von Anfang an mit der Geschlechteridentität zu spielen scheint, und meistens mit „typisch männlichen“ Attributen besetzt wird. So bleibt sie sowohl als Kind als auch in den späteren Jahren eine burschikose rebellische Frau, die ganz klar den Gegenentwurf zur sehr weiblichen und ruhigeren Ruth bildet. Idgie trinkt, hängt mit Männern in der Kneipe ab und macht auch sonst keinerlei Anstalten, sich in die vorbestimmte Position einer Frau der 30er Jahre zu begeben, was hauptsächlich Ehe, Kinder und Herd beinhaltet. In einer Szene entgegnet sie selbstbewusst dem Dorfsheriff, dass sie weder mit ihm tanzen, noch ihn heiraten würde. Als sie später Ruth und ihrem Kind hilft, schreckt sie auch dort nicht vor körperlicher Gewalt zurück. Idgy fügt sich eigentlich in fast allen Handlungen vor allem in Bezug auf Ruth in das Bild eines beschützenden Mannes, der hin und wieder auch über das Ziel hinausschießt, sich oft impulsiv gibt und dadurch fast schon etwas trotzig-kindliches bekommt. Die Zeit im zusammen aufgebauten „Whistle Stop Café“ ist geprägt von Szenen, die einer gemeinsamen Beziehung nahezu identisch sind.

    Wer die dem Film zugrunde liegende Romanvorlage „Fried Green Tomatoes At The Whistle Stop Cafe“ der amerikanischen Autorin Fannie Flagg kennt, könnte im Vergleich zur Filmadaption folglich sicher auch das ein oder andere bemängeln. Handelt es sich im Buch nämlich ganz klar um eine lesbische Beziehung zwischen den beiden Frauen, sind homosexuelle Neigungen im Film höchstens als vage Tendenz zu erahnen, und in einigen Szenen allein anhand der Blicke auszumachen, die Idgie und Ruth austauschen. Die beiden Frauen stellen sich so vielen Missständen und Vorurteilen entgegen, behandeln im Café Schwarze und Weiße gleich, widersetzen sich letztlich sogar dem staatlichen Gesetz, sind füreinander da und lieben sich offensichtlich nicht nur rein platonisch. Gerade auf diesem sensiblen Feld hätte der Film ohne Probleme im Hinblick auf die Bildsprache eindeutiger Position beziehen können.

    Doch davon ab ist „Grüne Tomaten“ in seiner Komplexität ein stilsicher inszenierter Film, der über eine Laufzeit von über zwei Stunden die Spannung für den Zuschauer halten kann, und vor allem in der Rahmenhandlung rund um Evelyn und Ninny auch durchaus seinen Witz hat. Überhaupt werden vor allem in den Rückblenden sehr viele Themengebiete angeschnitten, die jene Zeit der 30er Jahre treffend ins Bild rücken, und sie in ihrer Fülle dennoch adäquat umsetzen.

    Darüber hinaus ist es ein Film der großen (versteckten) Gefühle zweier Frauen, die sich bedingungslos lieben, und dem Film eine permanent unterschwellige sexuelle Konnotation verleiht. Was genau es dann letztlich mit den titelgebenden grünen Tomaten auf sich hat, und wie die Freundschaft zwischen Idgy und Ruth, als auch Evelyn und Ninny endet, sollte jeder selbst herausfinden. Es lohnt sich allemal.

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