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    Mann beißt Hund
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mann beißt Hund
    Von Alex Todorov

    Das belgische Kino liefert in feiner Regelmäßigkeit bitterböse Filme, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Werke wie Ex-Drummer oder Louise Hires A Contract Killer bieten schwarzen Humor an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, der unmittelbar als Vehikel gesellschaftskritischer Perspektiven dient. Im Blickpunkt stehen Protagonisten aus sozialen Randmilieus: Unterschichtler, Arbeitslose, Verlierer, Irre und Kranke. Aus dieser Randständigkeit destillieren sich scheinbar zwangsläufig moralische und ethische Handlungsansätze. Die Mockumentary „Mann beißt Hund“ von Benoit Poelvoorde (Narco), André Bonzel und Rémy Belveaux scheint den Genannten ein filmischer Gründervater zu sein. Im selben Jahr erschienen wie Michael Hanekes Bennys Video, reflektiert der Film nicht allein mediale Sensationsgier, Gewaltgeilheit und Voyeurismus, sondern führt auch den Anspruch auf Authentizität und Natürlichkeit des Dokumentarfilmgenres ad absurdum, indem er dieses Streben als Inszenierungsmechanismus demaskiert. serie,Stromberg oder Borat zeigen, welch fruchtbaren Nährboden Mockumentaries für beißende und entlarvende Satire bieten. Hinzu kommt jeweils ein selbstverliebter Protagonist, dem Pietät als Sünde gilt – hier Benoit Poelvoorde, der wie die anderen beiden Macher des Films unter seinem bürgerlichen Namen spielt und eine fast beispiellose und wahrlich denkwürdige Performance hinlegt.

    „Für das Versenken einer Leiche gibt es eine Regel. Sie besagt, der Ballast muss drei Mal so schwer sein. Für einen Mann wie diesen nimmt man drei Mal sein Gewicht. In anderen Fällen kann es anders sein. Zum Beispiel bei Kindern oder Zwergen […]“

    Ein Mann steht in einem Gang im Zug und schaut aus dem Fenster. Eine Frau kommt den Gang entlang, der Mann drückt sich ans Fenster, damit sie passieren kann, und gerade als sie vorbeigegangen scheint, nimmt er sie hinterrücks mit einem Strick in die Mangel, zerrt sie ins Abteil und erstickt sie qualvoll. Dies ist die erste Szene und der erste Mord, den Ben (Benoit Poelvoorde) vor der Kamera eines dreiköpfigen Filmteams begeht, das einen Dokumentarfilm über ihn dreht. Die Filmemacher sind dabei, wenn der selbstgefällige Serienkiller einen Postboten im Hauseingang totschlägt oder eine ganze Familie auslöscht, sie begleitet ihn bei den Beseitigungen der Leichen, beim Besuch seiner Eltern, beim Musizieren und beim Treffen mit seinen Freunden. Je länger die Crew um Rémy (Rémy Belvaux) den eitlen und besserwisserischen Ben mit der Kamera eskortiert, desto mehr werden sie zu seinen Erfüllungsgehilfen...

    Benoit Poelvoorde, Serienkiller von Beruf, ist ohne Abstriche der Clou des Films. Er singt, rezitiert selbst verfasste Gedichte, spielt Hausmusik und philosophiert über Politik, Kunst und Architektur. Er ist ein Schwadroneur und Selbstdarsteller vor dem Herrn und stolz wie Oskar, Mittelpunkt eines Films zu sein. Poelvoorde gibt ihn mit einer drolligen Bestimmtheit, dass man sich verwundert die Augen reibt. Comichaft reißt er die Augen auf, schneidet Grimassen und manch einmal reminisziert dieses Spiel die Stummfilmzeit. Gleichzeitig tötet er mit einer Vehemenz und Kaltschnäuzigkeit, die kaum Fragen offen lässt. Ein tödlicher Clown. Kurz stockt man, wenn Ben von Gaudi und Architektur spricht, doch entlarven sich all seine oberlehrerhaften Vorträge schnell als Halbwissen: Wenn er damit beauftragt würde, Sozialbauten zu entwerfen, dächte er an lichte Flachbauten à la Frank Lloyd mit hübschen Blumenbeeten. Ah ja, genau. Nach einem Mord überlässt er die Geldbeute gönnerhaft der Crew – er wisse ja nun um die Geldnöte der Filmproduktion –, und es ist dieser Punkt, der die Distanz zwischen dem Subjekt und den Beobachtern endgültig aufhebt und Abhängigkeiten installiert. Ben wird hier zum Produzenten des Films, die Handlung bestimmt er gleichermaßen, was ihn zum Autor macht, und Hauptdarsteller ist er sowieso schon.

    Was den Film so amüsant wie verstörend macht, ist seine absolute emotionale Unangemessenheit, die sich ähnlich in Adams Äpfel wiederfindet. Ben muss zum Morden nicht in einen anderen Geisteszustand schalten. Das Töten und Kommentieren wirkt wie ein lapidares Nebenher, der Tonfall und die Gesten beim Sinnieren über das Kindertöten würden auch zu Kochtipps passen. Diese Schräglage offenbart sich ebenfalls, wenn er über Schwarze, Frauen oder Schwule spricht. Die schlimmsten Diskriminierungen kommen unter dem Deckmantel der Toleranz daher. Ben hat nichts gegen die wie „Maultiere“ bestückten „Motumbos“, „Schwänze lutschende Luder“ oder die „vielen Schwulen in der Medienlandschaft“. Irgendwann kommt einem der Gedanke, dass nicht sein Metier das Erschreckendste an ihm ist, sondern vielmehr seine Anschauungen und Überzeugungen.

    „Ein schwarzer Nachtwächter. Das ist nicht nur hinterhältig, das ist ekelhaft. Nur damit man die nicht sieht.“

    Sorgen die Morde zu Beginn in ihrer tiefschwarzen Komik zunächst für einige Lacher, überkommt einen schon bei der Tötung der Rentnerin ein Schaudern: Ben erschrickt die herzkranke Frau zu Tode, um sich eine Kugel und den Nachbarn den Lärm zu ersparen und sich flugs seiner Cleverness zu rühmen. Schlimmer noch, gleich einem jovialen Moderator führt er das Team darauf zu den Geldverstecken in der fremden Wohnung. Der Höhepunkt der Perfidie ist die Vergewaltigung einer Frau durch Ben und die gesamte Crew vor den Augen ihres Freundes. Im letzten Drittel, wenn auch eine Handlung und dramaturgische Verdichtung zum Tragen kommt, bleibt einem das Lachen zunehmend im Halse stecken. Die letztgenannte Szene erinnert an den gewaltigsten filmischen Albtraum der vergangenen Jahre: Ex-Drummer und dessen finale Vergewaltigungssequenz.

    Man lasse sich kurz auf das Gedankenspiel ein, ein Kamerateam würde tatsächlich einen Killer bei Tötungsverrichtungen begleiten. Diese Vorstellung spitzt sämtliche Kontroversen um die Reinheit von Dokumentarfilmen aufs Äußerste zu, denn in ihr wird das Dogma der Natürlichkeit der moralischen Vernunft gegenübergestellt. Das vorsätzliche Morden im urbanen Raum zu Friedenszeiten spielt sich in Grauzonen der Gesellschaft ab, deren Dokumentation sich aus moralischen Aspekten absolut verbietet. Dem gleich kommt höchstens noch eine Reportage über die Produktion von Kinderpornografie. Der Film im Film weist in mehrfacher Hinsicht über seine Grenzen, denn Rémy und sein Team drehen zweifelsohne im Glauben, einen Abnehmer/Käufer zu finden, irgendein ethisch unbelastetes RTL-2-Abbreviat, das Geld und einen Sendeplatz bietet. Für dieses potentielle Publikum heuchelt Rémy tiefe Bestürzung ob des Verlustes der Tonassistenten. Würde man das Material heute gegen Überweisung zum Download ins partiell rechtsfreie Internet stellen (rotten.com), verhielt es sich 1992 noch analog, was die Filmessenz noch verschärft. Denn der stete Subtext des Films vermittelt, es handle sich um eine ganz normale Doku, die auch im rechtswirksamen Raum Käufer findet, womit „Mann beißt Hund“ einen distopischen Gesellschaftshintergrund à la Running Man, „Das Millionenspiel“ oder „Kopfjagd – Preis der Angst“ indiziert.

    „Mann beißt Hund“ geht es selbstredend um jenes Dogma des Dokumentarfilms, sich nie aktiv in die Handlung einzumischen, und gleichzeitig führt er dieses Ideal ad absurdum, wenn einerseits der selbstherrliche Ben sich für die Kamera als intellektueller Tatmensch aufspielt und somit jedwede Natürlichkeit aufhebt, andererseits das Kamerateam nicht unterbindend, sondern unterstützend einschreitet, eine helfende Hand zum Töten oder Leichenbeseitigen reicht. Ganz zu schweigen davon, dass vielen der Morde ein immanentes Motiv fehlt, sondern Ben quasi auf Wunsch der Crew Einblick gewährt, wie man eine alte Frau oder eine wohlhabende Familie um die Ecke bringt.

    Es ist eine weitere Perfidie des Films, den Zuschauer nicht nur zum Voyeur zu machen, sondern ihm gleich eine Täterschaft unterjubeln zu wollen. Ist man schon ein Rassist, weil einem bei Bens tölpelhaften Rassismen ein Grinsen übers Gesicht huscht? In erster Linie als Medienschelte zu deuten, greift der Film hier auch konkret auf den Rezipienten über. Das Lachen des Zuschauers entspricht innerhalb des Films dem stumpfen Gehorsam der Filmcrew. Beide, Zuschauer und Filmcrew, erliegen Bens entwaffnendem und doch gleichzeitig alarmierendem clownesken Charme und kuschen letztlich vor dessen ungestümer und unbeschwerter Eindringlichkeit.

    Immer wieder besticht „Mann beißt Hund“ durch geniale satirische Momente: So stoßen die vier einmal auf ein weiteres Kamerateam, das wiederum einen Mörderkollegen Bens begleitet. Den Vogel der Absurdität schießt jedoch die Suche nach Bens Kommunions-Armband ab. Auf der Hetzjagd nach einem Opfer verliert er nämlich eben dieses und da es ihm so viel bedeutet („Weil es sehr schwer zu stehlen ist. Einen Jungen mit meinem Vornamen findet man nicht alle Tage!“), bricht er die Jagd ab und lässt das Team überall danach suchen. So kommt es zu der grotesken Zuschauererfahrung und augenzwinkernden Selbstreferenz, dass Bild (Kamera) und Ton (Mikrophon) sich trennen und heilloses Chaos ausbricht.

    Natürlich ist „Mann beißt Hund“ im Grunde ein tief moralischer Film, der sich in all seiner bizarren Brutalität zu einer Klagemauer für all das aufbaut, was er porträtiert. Wer Uhrwerk Orange, Muxmäuschenstill oder Ex-Drummer liebt, kommt auch an diesem belgischen Kultfilm nicht vorbei.

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